European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00121.23G.0827.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.833,40 EUR (darin 313,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte im Jahr 2018 von einem Händler ein von der Erstbeklagten hergestelltes FIAT Wohnmobil als Neuwagen. Es ist mit einem – von der Zweitbeklagten entwickelten – Dieselmotor des Typs F1AGL411C der Abgasklasse Euro 6b ausgestattet, samt Abgas- bzw NOx‑Reduktionsstrategie, die die Abgasrückführung nach Beendigung der Typ 1‑Prüfung bzw einer Fahr- und Betriebszeit des Motors von 22 Minuten erheblich reduziert oder überhaupt unterbindet. Zudem ist das Fahrzeug mit einem „Thermofenster“ ausgestattet. Außerhalb der Umgebungstemperaturen von 20 Grad Celsius bis 30 Grad Celsius wird der NEFZ‑Grenzwert nicht eingehalten.
[2] Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche aus Schadenersatz geltend; er begehrt 30 % des von ihm bezahlten Kaufpreises. Das Fahrzeug sei wegen der zwei unzulässigen Abschalteinrichtungen mangelhaft. Zudem erhebt er ein Feststellungsbegehren bezüglich künftiger, aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultierender Schäden. Die Abgasstrategie der Beklagten verstoße gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , welcher auch reine Vermögensinteressen des Klägers schütze (§ 1311 Satz 2 ABGB). Angesichts des möglichen Verlusts der Typengenehmigung sowie wegen allfälliger Schäden aus Verbesserungsversuchen bestehe auch ein Feststellungsinteresse.
[3] Die Beklagten bestritten das Klagebegehren.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es verneinte das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor dem Hintergrund des vorliegenden Typengenehmigungsbescheids und somit einen Mangel des Fahrzeugs bzw einen Schaden des Klägers.
[5] Das Berufungsgericht gab dem Zahlungsbegehren (abgesehen von einem Zinsenmehrbegehren) und dem Feststellungsbegehren jeweils gegen die Erstbeklagte statt und hob das Urteil des Erstgerichts hinsichtlich der Zweitbeklagten auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß es mit 30.000 EUR übersteigend und die Revision erklärte es mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines gegen den Hersteller gerichteten Schadenersatzbegehrens für zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die gegen die Zusprüche zu Lasten der Erstbeklagten von dieser erhobene und vom Kläger beantwortete Revision ist, entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts, in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[7] 1.1. Inzwischen besteht zur Frage von Abschalteinrichtungen reichhaltige Rechtsprechung des Europäischen wie des Obersten Gerichtshofs (vgl ua 4 Ob 165/23b, Rz 4–11).
[8] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat auch Fahrzeuge (Wohnmobile) mit derselben oder vergleichbaren Motortype wie jener des klagsgegenständlichen Fahrzeugs bereits wiederholt als grundsätzlich mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen qualifiziert (vgl 8 Ob 70/23m; 7 Ob 83/23s; 2 Ob 122/23i; 4 Ob 165/23b).
[9] 1.3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, das das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen und damit das Bestehen eines Sachmangels und die Verletzung des Schutzgesetzes nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG bejaht, steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Erhebliche Rechtsfragen stellen sich in diesem Zusammenhang nicht (mehr; vgl RS0112921 [T5]).
[10] 1.4. Da sich der Kläger bereits in erster Instanz ausdrücklich darauf berufen hat, dass die VO 715/2007/EG als Schutzgesetz anzusehen sei, liegt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung durch das Berufungsgericht vor (vgl 5 Ob 166/23g, Rz 11). Die gerügte Mangelhaftigkeit ist somit nicht gegeben.
[11] 2. Den Schädiger trifft die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass ihn an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft (RS0112234 [T1]). Dazu zeigt die Erstbeklagte auch im Verfahren dritter Instanz nicht auf, welche ihr zurechenbaren Personen aufgrund welcher Umstände darauf vertrauen durften und auch vertraut haben, dass die von ihr verbaute Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers unionsrechtlich zulässig sei (9 Ob 26/23y Rz 40; 8 Ob 109/23x Rz 29 ff). Sie kann damit auch keine Fehlbeurteilung dieser Frage durch das Berufungsgericht darlegen.
[12] 3.1. Bei Geltendmachung eines Minderwerts des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kfz wird der Ersatz iSd § 273 Abs 1 ZPO in der Regel innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des Kaufpreises zugesprochen (vgl RS0134498). Dies schließt aber nicht aus, dass die Wertminderung exakt festgestellt wird und der Käufer Ersatz derselben verlangen kann (RS0134498 [T6]).
[13] 3.2. Im vorliegenden Fall wurde auf Basis eines technischen Sachverständigengutachtens festgestellt, dass ein Minderwert von 10 % anzunehmen wäre, wenn ein geprüftes und freigegebenes Software‑Update binnen angemessener Frist in Aussicht gestellt werde, hingegen könne ein Wertminderungsabschlag von 30 % erreicht werden, wenn trotz Aufforderung der zuständigen Zulassungsbehörde kein Software‑Update vorgenommen würde. Daraus schloss das Berufungsgericht, dass ohne Software‑Update ein Minderwert von 30 % gerechtfertigt sei.
[14] 3.3. Die hier geltend gemachte Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[15] 3.4. Wenn das Berufungsgericht aufgrund dieser Feststellungen und des Umstands, dass beim gegenständlichen Fahrzeug kein Software‑Update durchgeführt wurde, davon ausgegangen ist, dass dem Kläger der Nachweis einer Wertminderung von 30 % gelungen sei, wirft das keine Frage von erheblicher Bedeutung auf. Im Anlassfall umfasst der in Form einer Wertminderung geltend gemachte Schadenersatz auch die Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (vgl 4 Ob 171/23k, Rz 29), die insbesondere deshalb vorliegt, weil der verordnungswidrige Zustand mangels Software‑Update nicht beseitigt wurde.
[16] 4. Die Stattgabe des Feststellungsbegehrens wird in der Revision nicht inhaltlich thematisiert, jedenfalls in seinem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt (RS0102059). Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Begehren kann daher auf sich beruhen.
[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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