European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00106.24P.0725.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Antragstellerbegehrt als seit 13. 10. 2022 bis zum Ableben der Erblasserin ua für den Bereich Vermögensverwaltung bestellter Erwachsenenvertreter, ihm Einsicht in den Verlassenschaftsakt zu gewähren, weil ihm die Einkünfte und das Vermögen der Erblasserin aufgrund der erst kurzen Tätigkeit zur Geltendmachung seines Entschädigungsanspruchs (§ 276 ABGB) nicht vollständig bekannt seien.
[2] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag ab. Der Antragsteller sei nicht Partei des Verlassenschaftsverfahrens. Auch sein nach dem Einkommen der Erblasserin und deren Vermögen zu bemessender Entschädigungsanspruch nach § 276 ABGB begründe kein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht, weil der Antragsteller ohnehin auch für den Bereich der Vermögensverwaltung bestellt gewesen sei, sodass ihm die für die Entschädigungsbemessung maßgeblichen Umstände ohnehin bekannt gewesen sein mussten und auch bekannt waren. Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.
[4] 1. Die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht bzw Übermittlung einer Aktenkopie ist kein „verfahrensleitender Beschluss“ iSd § 45 Satz 2 AußStrG und damit grundsätzlich selbständig anfechtbar (3 Ob 221/23f Rz 8).
[5] 2. Die Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO. Nach dieser Bestimmung steht den Parteien und dritten Personen mit Zustimmung aller Parteien die volle Akteneinsicht zu. Ohne diese Zustimmung steht dritten Personen das Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 219 Abs 2 ZPO zu.
3. Parteistellung des ehemaligen Erwachsenenvertreters im Verlassenschaftsverfahren
[6] 3.1 Nach gesicherter Rechtsprechung reichen Reflexwirkungen (bzw Tatbestandswirkungen) allein nicht aus, um eine materielle Parteistellung iSd § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG zu begründen (RS0123028; RS0120841 [T2, T3]). Die in § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG vorausgesetzte „rechtlich geschützte Stellung“ ist noch nicht jede Rechtsstellung oder jegliches rechtliches Interesse, sondern es ist auf den jeweiligen Verfahrenszweck Bedacht zu nehmen (RS0128451). Die rechtlich geschützte Stellung einer Person wird (nur) dann unmittelbar beeinflusst, wenn die in Aussicht genommene Entscheidung oder gerichtliche Tätigkeit Rechte oder Pflichten dieser Person ändert, ohne dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss. Die Rechtsstellung ist daher unmittelbar vom Ausgang des Verfahrens abhängig (RS0128451 [T3]).
[7] 3.2 Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt im Verlassenschaftsverfahren – von Ausnahmen abgesehen (Interessenbekundung und Unterbleiben der Erbantrittserklärung aus nicht in der Sphäre des potenziellen Erben liegenden Gründen; RS0006398 [T22]) – den Erben ab Abgabe einer Erbantrittserklärung (RS0007926; RS0106608) Parteistellung zu. Pflichtteilsberechtigte sind in ihrer Parteistellung nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB (Anwesenheit bei Schätzungen, Antrag auf Inventarisierung oder Nachlassseparation) beschränkt (2 Ob 238/22x Rz 8 mwN). Andere Verlassenschaftsgläubiger sind an und für sich keine Parteien des Nachlassverfahrens (RS0006611). Ihnen kommt nur soweit Parteistellung zu, soweit sie von ihren Rechten nach den §§ 811 ff ABGB beziehungsweise §§ 174 f AußStrG nF Gebrauch machen (RS0006611 [T17, T18, T21]). Auch der Verlassenschaft kommt in dem über sie abgewickelten Nachlassverfahren keine Parteistellung zu (RS0006384).
[8] 3.3 Ob dem Antragsteller Parteistellung zukommt, kann ausgehend von den ohnehin vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden, sodass in diesem Zusammenhang keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird (vgl RS0042656 [T48]). Wenn die Vorinstanzen dem ehemaligen Erwachsenenvertreter des Erblassers keine Parteistellung im Nachlassverfahren zugebilligt haben, entspricht dies den dargelegten Grundsätzen.
4. Rechtliches Interesse
[9] 4.1 Einem Dritten kann Einsichtnahme und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis des Antragstellers selbst nicht ausreicht. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse hinausreicht (vgl RS0079198). Liegt die Zustimmung der Parteien – wie hier – nicht vor, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten, der Einsicht begehrt, besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt (RS0079198 [T6]).
[10] 4.2 Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben. Die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Das rechtliche Interesse kann unter den angeführten Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (RS0037263). Dabei genügt es, wenn der Akteninhalt den Rechtskreis des Antragstellers auch nur mittelbar berührt; angezeigt ist insoweit eine weitherzige Handhabung (RS0037263 [T5]). Ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht kann insbesondere durch die Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen begründet sein (RS0037263 [T21]).
[11] 4.3 Ob die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht Dritter erfüllt sind, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage dar (2 Ob 21/22k Rz 11).
[12] 4.4 Die Verneinung der Akteneinsicht durch die Vorinstanzen ist schon deshalb nicht korrekturbedürftig, weil das Erstgericht – wenn auch disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, aber vom Antragsteller unbekämpft – in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen ist, dass er über die Vermögensverhältnisse bestens in Kenntnis war. Die gegenteilige Behauptung des Antragstellers, keine vollständige Kenntnis der Vermögenslage gehabt zu haben, entfernt sich vom vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt.
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