European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00021.22K.0316.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die 2020 verstorbene Erblasserin hinterlässt an potenziellen gesetzlichen Erben ihre Mutter sowie den Antragsteller, ihren väterlichen Halbbruder. Diesem wurden im Verlassenschaftsverfahren gemäß § 152 Abs 2 Satz 3 AußStrG Fotokopien der notariellen Protokolle vom 11. 6. 2014 über ein mündliches Testament sowie einer älteren mündlichen letztwilligen Verfügung zugestellt. Er gab keine Erbantrittserklärung ab. In der Folge wurde der Mutter der Erblasserin als testamentarischer Alleinerbin aufgrund des Testaments vom 11. 6. 2014 die Verlassenschaft zur Gänze rechtskräftig eingeantwortet.
[2] Der Antragsteller begehrte nach Rechtskraft der Einantwortung Einsicht in den Verlassenschaftsakt, insbesondere in das Protokoll der Verlassenschaftsabhandlung und das Inventar. Die Alleinerbin sprach sich gegen diesen Antrag aus.
[3] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag ab.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 1. Ob im Verlassenschaftsverfahren ein Verfahrensmangel darin gelegen ist, dass der Gerichtskommissär den Antragsteller als potenziellen gesetzlichen (Hälfte-)Erben nicht nach § 157 Abs 1 AußStrG zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufgefordert hat (zu § 75 AußStrG 1854 bei unbedenklichem formgültigem Testament eine Pflicht zur Aufforderung verneinend: RS0007679 [T2]; RS0007686 [T1]; in diesem Sinn zu § 157 Abs 1 AußStrG nunmehr auch Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 157 Rz 2 f; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2 § 157 Rz 1 FN 2), ist nicht entscheidungsrelevant, weil das Verlassenschaftsverfahren mit der rechtskräftigen Einantwortung beendet ist. Will somit der Antragsteller Erbansprüche geltend machen, kann er dies nicht mehr im Verlassenschaftsverfahren tun, sondern ist auf die Erbschaftsklage verwiesen.
[6] 2. Die Akteneinsicht im Verlassenschafts‑verfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO. Nach dieser Bestimmung steht den Parteien und dritten Personen mit Zustimmung aller Parteien die volle Akteneinsicht zu. Ohne diese Zustimmung steht dritten Personen das Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 219 Abs 2 ZPO zu (vgl RS0128538). Es ist daher entscheidungswesentlich, ob der Antragsteller Partei oder Dritter ist.
[7] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung haben Parteien im Verlassenschaftsverfahren grundsätzlich erst dann Parteistellung, wenn sie eine Erbantrittserklärung abgegeben haben (RS0007926; RS0106608); vorher sind sie von jeder Einflussnahme auf den Gang der Abhandlung ausgeschlossen (RS0006398). Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regel wird in besonders gelagerten Fällen für zulässig erachtet, vor allem, wenn der potenzielle Erbe bereits aktiv sein Interesse am Erbantritt bekundet hat und das Fehlen einer förmlichen Erbantrittserklärung auf einem Fehler im Verfahren beruht (2 Ob 53/18k mwN; RS0006544 [T13]).
[8] 2.2. Abgesehen davon, dass aus den schon in Punkt 1. genannten Gründen hier nicht von einem Verfahrensfehler auszugehen ist, fehlt es auch an der aktiven Bekundung des Interesses am Erbantritt durch den Antragsteller in erster Instanz. Dass er vor der Einantwortung lediglich die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts zur „Wahrung seiner Interessen“ angezeigt hat (ON 46), genügt dafür nicht, lässt dies doch keinen Rückschluss darauf zu, ob er das Erbe auch tatsächlich antreten will (vgl 2 Ob 53/18k ErwGr 3.2. lit a).
[9] 2.3. Daraus folgt, dass der Antragsteller hier nicht Partei, sondern Dritter iSd § 219 Abs 2 ZPO ist.
[10] 2.4. Einem Dritten kann Einsichtnahme und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden selbst nicht ausreicht. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RS0079198).Liegt die Zustimmung der Parteien – wie hier – nicht vor, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten, der Einsicht begehrt, besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt (RS0079198 [T6]). Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich‑rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Das rechtliche Interesse kann unter den angeführten Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (RS0037263). Dabei genügt es, wenn der Akteninhalt den Rechtskreis des Antragstellers auch nur mittelbar berührt; angezeigt ist insoweit eine weitherzige Handhabung (RS0037263 [T5]).
[11] 3. Ob die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht Dritter erfüllt sind, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage dar.
[12] 3.1. Da dem Antragsteller die Protokolle über die letztwilligen Verfügungen in Ablichtung, darunter auch das für die Einantwortung maßgebliche Protokoll, zugestellt wurden, kann er sich selbst ein Urteil über die Gültigkeit dieser letztwilligen Verfügungen bilden und benötigt insoweit die Akteneinsicht nicht. Er hat zwar (entgegen den Ausführungen des Rekursgerichts schon in erster Instanz) nach der Einantwortung mitgeteilt (ON 62), dass er unter Umständen Erbansprüche geltend machen möchte. Er hat aber weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren auch nur ansatzweise angedeutet, worauf er die Ungültigkeit des Testaments vom 11. 6. 2014 oder der älteren – ebenfalls nicht zu seinen Gunsten abgegebenen – letztwilligen Verfügung stützen will, was hier aber notwendige Voraussetzung für eine schlüssige Erbschaftsklage wäre.
[13] 3.2. Der Antragsteller hat nur vorgebracht, er hätte prüfen wollen, ob die Abgabe der Erbantrittserklärung in Anbetracht des vorhandenen Vermögens in seinem Interesse sei. Er wollte und will also (nur) die Höhe des Reinnachlasses erfahren, um abschätzen zu können, ob sich die Mühen und Risiken einer Erbantrittserklärung oder nunmehr einer Erbschaftsklage „lohnen“.
[14] 3.3. Damit spricht der Antragsteller aber kein rechtliches, sondern ein bloß wirtschaftliches Interesse an, das nach der dargestellten Rechtsprechung die Akteneinsicht nicht rechtfertigt: Die Erbschaftsklage ist auf Herausgabe der Erbschaft oder einer entsprechenden Quote davon gerichtet (§ 823 ABGB; RS0013130 [T1]), sodass weder die Bezeichnung einzelner verlassenschaftszugehöriger Gegenstände (RS0013137 [T3]) noch die Nennung eines zu zahlenden Geldbetrags erforderlich ist. Der Erbschaftskläger muss daher zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen die Höhe des Reinnachlasses nicht wissen.
[15] 3.4. Schließlich benötigt hier der Antragsteller die Akteneinsicht auch für die Kenntnis der mit der Erbschaftsklage zu belangenden Person nicht, wurde ihm doch der Einantwortungsbeschluss zugestellt.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)