OGH 2Ob93/24a

OGH2Ob93/24a25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Mag. Dr. Franz Hafner, Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, gegen die beklagten Parteien 1. E*, und 2. W*, beide vertreten durch Mag. Dr. Axel Michael Dallinger, Rechtsanwalt in Wels, wegen zuletzt 15.000 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 11.893,70 EUR) und der beklagten Parteien (Revisionsinteresse: 3.106,30 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 7. Februar 2024, GZ 22 R 301/23f-14, mit dem einer Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 11. Oktober 2023, GZ 3 C 260/23f-9, teilweise Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00093.24A.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

1. Die Revisionen werden zurückgewiesen.

2. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien ihre mit jeweils 343,59 EUR (darin enthalten 57,27 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin begehrt die Zahlung von zuletzt 15.000 EUR an offen aushaftendem Verdienstentgang für den Zeitraum 14. 7. 2021 bis September 2023.

[2] Das Berufungsgericht ging davon aus, dass seit dem Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes im April 2022 mangels unfallkausaler Minderung des Verdiensts kein Verdienstentgangsanspruch besteht. Allerdings könnten die – aufgrund eines außergerichtlich abgeschlossenen Vergleichs – teils auch während dieses Zeitraums geleisteten Zahlungen aufgrund ihres Unterhaltscharakters und des gutgläubigen Verbrauchs durch die Klägerin nicht compensando zurückgefordert werden. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil die Entscheidung in Widerspruch zu 2 Ob 59/07a stehen könnte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich daher auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

I. Revision der Klägerin

[4] 1. Verdienstentgang im Sinn des § 1325 ABGB ist der aus der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten resultierende Einkommensverlust. Welches Einkommen der Geschädigte bei Ausnützung seiner Erwerbsfähigkeit ohne die Unfallfolgen erzielt hätte, kann nur aufgrund hypothetischer Feststellungen über einen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Geschehensablauf beurteilt werden. Der Verdienstentgang ist dabei durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei welcher der hypothetische Vermögensstand ohne schädigendes Ereignis mit dem tatsächlich nach dem schädigenden Ereignis gegebenen verglichen wird (2 Ob 251/23k Rz 8 mwN).

[5] Das Berufungsgericht ist unter Anwendung dieser Grundsätze zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin während der Zeit des Bezugs von (pauschalem) Kinderbetreuungsgeld kein unfallkausaler Schaden in Form verminderten Verdienstes entstanden ist, weil sie auch ohne dem Unfallereignis lediglich das (pauschale) Kinderbetreuungsgeld bezogen und kein Einkommen erzielt hätte. Einen allfälligen Schaden, der darin liegen könnte, dass sie aufgrund des Unfalls lediglich pauschales und nicht (höheres) einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bezogen hat, macht die Klägerin nicht geltend. Sie begehrt vielmehr die Differenz zwischen ihrem Verdienst aus der unfallkausalen Halbtagsbeschäftigung und dem fiktiven Vollerwerbsseinkommen. Dass sie trotz des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld ein sonstiges Einkommen erzielt oder ohne den Unfall früher wieder gearbeitet hätte, sodass ihr insoweit ein Schaden entstanden wäre, behauptet sie ebenso wenig.

[6] 2. Dem Umstand, dass ein schädigendes Ereignis dem Geschädigten auch Vorteile bringen kann, wird mit der Vorteilsausgleichung Rechnung getragen. Es sind jene Vermögensbestandteile des Geschädigten in den Kreis der Betrachtung einzubeziehen, die durch die Beschädigung irgendwie beeinflusst wurden, aber auch Vermögensbestandteile (Aktiven oder Passiven), die erst durch das schädigende Ereignis gebildet wurden oder deren Bildung durch dasselbe verhindert wurde; demnach ist auch ein Vorteil des Beschädigten, der ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wäre, grundsätzlich zugunsten des Schädigers zu buchen. Allerdings sind nicht jegliche Vorteile des Geschädigten auf Schadenersatzansprüche anzurechnen, sondern es kommt immer auf die ganz besondere Art des erlangten Vorteils und den Zweck der Leistung des Dritten an. Es ist zu prüfen, ob bei wertender Betrachtung eine Entlastung des Schädigers sachlich gerechtfertigt erscheint. Anzurechnen sind solche Vorteile, die mit dem Schadenersatzanspruch in einem besonderen Zusammenhang stehen. Dass Schade und Vorteil nicht aus demselben Ereignis entsprungen sind, schließt die Vorteilsausgleichung nicht aus, weil es genügt, wenn beide im selben Tatsachenkomplex wurzeln, wenn also das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch zu einem Vorteil des Geschädigten führt. Die Berücksichtigung von Vorteilen kommt aber nur gegenüber sachlich und zeitlich kongruenten Schadenersatzansprüchen in Betracht (2 Ob 70/20p Rz 16 mwN).

[7] Fragen der Vorteilsanrechnung in Bezug auf das Kinderbetreuungsgeld stellen sich im konkreten Fall schon deshalb gar nicht, weil aus den Feststellungen kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bezug von Kinderbetreuungsgeld abzuleiten ist.

[8] 3. In der Entscheidung 2 Ob 59/07a war ein Verdienstentgangsanspruch einer bei einem Verkehrsunfall verletzten Frau zu beurteilen, die nach den Feststellungen ohne den Unfall weniger lang in Karenz geblieben wäre und daher wieder ein Einkommen erzielt hätte. Die dort Beklagte hielt dem Verdienstentgangsanspruch (nur mehr) entgegen, die Klägerin habe es unter Verletzung ihrer Schadensminderungsobliegenheit unterlassen, nach der Geburt ihrer Kinder Kinderbetreuungsgeld zu beziehen, das auf ihren Verdienstentgangsanspruch im Rahmen des Vorteilsausgleichs anzurechnen gewesen wäre. Der Senat wies darauf hin, dass Verdienstentgang und Kinderbetreuungsgeld nicht sachlich kongruent sind, weil es es sich beim Kinderbetreuungsgeld um eine Familienleistung handelt, die an den Bezug der Familienbeihilfe anknüpft und in erster Linie die Betreuungsleistung der Eltern bzw die mit einer außerhäuslichen Betreuung von Kindern verbundene finanzielle Belastung teilweise abgelten soll. Mangels sachlicher Kongruenz wäre aber auch eine Anrechnung eines während der unfallkausal längeren Karenzzeit bezogenen Kinderbetreuungsgeldes als Vorteil abzulehnen gewesen, sodass der von der Beklagten erhobene Vorwurf ins Leere ging. In der Entscheidung war daher ein unfallkausaler Verdienstentgang und ein ebenso auf das Unfallereignis zurückzuführender (bzw erlangbarer) Vorteil (möglicher Bezug von Kinderbetreuungsgeld während unfallkausal längerer Karenzzeit) zu beurteilen, während es im vorliegenden Fall schon an einem unfallkausalen Verdienstentgang oder einem auf den Unfall zurückzuführenden Vorteil in Form des bezogenen Kinderbetreuungsgeldes mangelt.

II. Revision der Beklagten

[9] 1. Nach § 1431 ABGB (Zahlung einer Nichtschuld) kann, wenn jemandem aus einem Irrtum, wäre es auch ein Rechtsirrtum, eine Sache geleistet worden, wozu er gegen den Leistenden kein Recht hat, in der Regel die Sache zurückgefordert werden. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ein ohne Rechtsgrundlage gezahlter Unterhalt nur dann mangels echter Bereicherung nicht zurückgefordert werden, wenn er gutgläubig verbraucht wurde (RS0033609 [T4]).

[10] 2. Unter Unterhaltsleistung sind auch solche Leistungen zu verstehen, die wirtschaftlich gesehen – ohne Rücksicht auf ihre rechtliche Konstruktion – die Funktion hatten, dem Lebensunterhalt des Empfängers zu dienen, was auch auf schadenersatzrechtliche Verdienstentgangsansprüche zutrifft (vgl 2 Ob 9/96).

[11] 3. Der Empfänger von Unterhalt ist dann schlechtgläubig, wenn er bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt an der Rechtmäßigkeit des empfangenen Betrags Zweifel hätte haben müssen; die Unredlichkeit bezieht sich auf die Existenz des Kondiktionsanspruchs (RS0103057 [T7]). Die Redlichkeit fehlt nicht erst bei auffallender Sorglosigkeit oder gar bei Vorsatz, sondern schon dann, wenn der Empfänger der Leistung zwar nicht nach seinem subjektiven Wissen, wohl aber bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit der ihm rechtsgrundlos ausgezahlten Beträge auch nur zweifeln hätte müssen (vgl RS0103057 [T4]).

[12] 4. Gemäß § 1437 Satz 1 ABGB wird der Empfänger einer bezahlten Nichtschuld als ein redlicher oder unredlicher Besitzer angesehen, je nachdem, ob er von diesem Irrtum des Gebers gewusst hat, oder aus den Umständen vermuten musste, oder nicht. Gemäß § 328 ABGB streitet die Vermutung für die Redlichkeit des Besitzes; die Unredlichkeit hat der Kläger zu beweisen (RS0010186). Die Vermutung der Redlichkeit gilt auch im Bereich des § 1437 ABGB (RS0010186 [T3]). Ein Rechtsirrtum bewirkt für sich aufgrund der ausdrücklichen Bestimmung des § 326 Satz 3 ABGB, wonach man aus Irrtum in [über] Tatsachen oder aus Unwissenheit der gesetzlichen Vorschriften ein unrechtmäßiger und doch ein redlicher Besitzer sein kann, noch nicht zwangsläufig Fahrlässigkeit (8 Ob 38/19z Pkt 2.2.). Die Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums kann insbesondere dann ausgeschlossen sein, wenn fachkundiger Rat einer verlässlichen, sachlich kompetenten Stelle, die über den gesamten Sachverhalt informiert wird, eingeholt wird (RS0089613).

[13] 5. Die Frage, ob es dem Kondiktionskläger gelungen ist, die Unredlichkeit des Leistungsempfängers zu beweisen, stellt zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (vgl RS0033826 [T5]; RS0010271 [T25]).

[14] 6. Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Beratung durch die Steuerberaterin, die vollständige Bekanntgabe aller Informationen an die Zweitbeklagte und die dennoch erfolgte Weiterauszahlung der Verdienstentgangsrente von einem gutgläubigen Verbrauch der Leistung mit Unterhaltscharakter ausgegangen ist, ist – dies unabhängig von der Möglichkeit der aufrechnungsweisen Geltendmachung (vgl RS0048332; Kerschner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1437 Rz 53; 7 Ob 246/18d) – dies zumindest vertretbar.

[15] III. Die Streitteile haben jeweils auf die Unzulässigkeit der Revision der Gegenseite hingewiesen, sodass sich nach gebotener Saldierung der wechselseitigen Kostenersatzansprüche (2 Ob 246/23z Rz 44) der aus dem Spruch ersichtliche Zuspruch zu Gunsten der Beklagten ergibt. Ihnen steht aufgrund der gemeinsamen Prozessführung und ihres gleichen Anteils am Streitgegenstand Ersatz nach Kopfteilen zu (2 Ob 190/22p Rz 11).

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