OGH 14Os35/24i

OGH14Os35/24i19.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2024 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Loibl LL.M., BSc, in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. März 2024, GZ 44 Hv 164/23t‑220, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00035.24I.0619.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 dritter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A/I/) und nach § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (A/II/), sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 (erster Fall) StGB (B/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

A/ (richtig:) von einem unbekannten Ort in Thailand aus (zur mit Blick auf die serbische und russische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nach § 64 Abs 1 Z 4 StGB bestehenden inländischen Gerichtsbarkeit vgl RIS‑Justiz RS0092207) als Mitglied einer neben ihm aus einer Vielzahl im angefochtenen Urteil teils namentlich genannter, teils unbekannter weiterer Mitglieder bestehenden kriminellen Vereinigung

I/ vom 24. März bis zum 21. Mai 2021 in acht, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen zur vorschriftswidrigen Einfuhr von Suchtgift in einer jeweils das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge nach Österreich durch andere dadurch beigetragen, dass er gemeinsam mit anderen die Lieferung von insgesamt 43 Kilogramm Kokain (Reinsubstanz 30,1 Kilogramm Cocain) und 39 Kilogramm Heroin (Reinsubstanz 17,55 Kilogramm Diacetylmorphin) nach Österreich organisierte, indem er vor Beginn jeder Lieferung Kontakt zu den Suchtgiftlieferanten aufnahm, diesen Ort und Zeit der Lieferungen bekanntgab sowie für Übernahme und „weitere Verbringung“ des Suchtgifts durch „ihm untergeordnete Mitglieder“ der kriminellen Vereinigung sorgte (US 9 f);

II/ vom 15. April bis zum 17. Mai 2021 in vier, im angefochtenen Urteil einzeln angeführten Fällen vorschriftswidrig Suchtgift in einer jeweils das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt 6.997 Gramm Kokain (Reinsubstanz 4.897,9 Gramm Cocain), anderen verschafft, indem er teils namentlich genannte Mitglieder der kriminellen Vereinigung anwies, das Suchtgift einem bekannten und drei unbekannten Abnehmern zu übergeben, wobei er Suchtgiftmenge, Übernahmezeit und ‑ort sowie Übernehmer vorgab (US 10 f);

B/ am 28. Juli 2023 den Justizwachebeamten * H* unter anderem durch die Äußerung, „was er davon halten würde, wenn er seinen Kollegen draußen sagen würde, dass sie ihm morgen in den Hals schießen sollen, wenn er morgen früh aus dem Haus gehen würde“, gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 9 lit a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert – ersichtlich gemeint – das Vorkommen der Ergebnisse aus einer Überwachung der auf dem Mobiltelefon des Beschwerdeführers durchgeführten verschlüsselten Kommunikation (sogenannte „ANOM‑Chats“) in der Hauptverhandlung durch Verlesung (ON 219 S 21 ff).

[5] Zur Entwicklung der in Rede stehenden Verschlüsselungssoftware („ANOM App“), dem Vertrieb mit dieser ausgestatteter Mobiltelefone („ANOM‑Handys“), deren Entschlüsselung und Überwachung durch das US‑amerikanische Federal Bureau of Investigation (kurz: FBI) und dessen Information österreichischer Strafverfolgungsbehörden über die Existenz strafrechtlich relevanter Sachverhalte mit Bezug zu Österreich, die sich aus der Überwachung und Auswertung überwachter Chatnachrichten ergaben, wird zunächst auf die Ausführungen in der zu AZ 14 Os 106/22b ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verwiesen, die auch für das vorliegende Verfahren Gültigkeit haben (vgl insbesondere ON 77).

[6] Auf Basis dieser (prozessualen) Sachverhaltsgrundlage geht der erkennende Senat – mangels Klarstellung der Sachverhaltsgrundlage für die kritisierte prozessleitende Verfügung durch den Vorsitzenden (im Hauptverhandlungsprotokoll) – davon aus (vgl RIS‑Justiz RS0118977 [T14]; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 46 und 51), dass die von der Verfahrensrüge thematisierte Ermittlungsmaßnahme (die Überwachung verschlüsselter Kommunikation) von ausländischen (US‑amerikanischen) ohne Ersuchen inländischer Strafverfolgungsbehörden durchgeführt wurde. Dafür, dass Letztere im Rechtshilfeweg nicht bloß um Übermittlung aus dieser Überwachung bereits gewonnener Ergebnisse ersucht, sondern deren Durchführung erst veranlasst hätten, liefern die Verfahrensergebnisse keinen Hinweis. Solches wird im Übrigen vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.

[7] Rechtlich folgt aus diesem Sachverhalt, dass es sich bei den in Rede stehenden Kommunikationsdaten nicht um Ergebnisse einer nach dem fünften Abschnitt des achten Hauptstücks der StPO durchgeführten Ermittlungsmaßnahme handelt. Das in § 140 Abs 1 StPO normierte, vom (taxativen [RIS‑Justiz RS0099118]) Nichtigkeitsgrund der Z 3 abgesicherte Verwendungsverbot findet daher vorliegend keine Anwendung (RIS‑Justiz RS0119110 [insbesondere T10 zur Verwendung von Ergebnissen einer Überwachung sogenannter „ANOM‑Handys“]; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 182 [zur Z 2]; Reindl‑Krauskopf, ebd § 140 Rz 30 f).

[8] Die von der Rüge aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit der Verwendung von Daten aus einer Überwachung von Nutzern „besonders präparierter“ Mobiltelefone „auf österreichischem Hoheitsgebiet“ (vgl Pilnacek, Verwendung von Daten einer Kommunikation in einem österr Strafverfahren, die durch eine im Ausland angeordnete Überwachungsmaßnahme gewonnen wurden, ÖJZ 2023, 721) kann dahingestellt bleiben, weil sich der Beschwerdeführer im (gesamten) Tat- und Überwachungszeitraum in Thailand aufhielt (US 9; vgl auch ON 219 S 10). Dass sich der von der Ermittlungsmaßnahme des FBI betroffene Server (vgl § 138 Abs 2 und 3 StPO) in Österreich befunden habe, hat weder das Erstgericht angenommen, noch wird dies vom Beschwerdeführer behauptet.

[9] Die Verfahrensrüge bleibt auch erfolglos, soweit sie das Vorkommen dieser Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung unter dem Aspekt der Z 4 bekämpft. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, dass sich ein Angeklagter gegen eine – nicht unter ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion stehende – Beweisverwendung durch eine auf die Sicherung eines fairen Verfahrens im Sinn des Art 6 MRK abzielende (im Rechtsmittelverfahren aus dem Grund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO durchsetzbare) Antragstellung wehren kann (erneut RIS‑Justiz RS0119110). Der Erfolg einer solchen Rüge setzt jedoch einerseits die Argumentation voraus, dass der ins Treffen geführte Gesetzesverstoß jenen annähernd gleichwertig ist, an welche das Gesetz ausdrücklich eine Beweisverbotskonsequenz knüpft (RIS‑Justiz RS0124168 [T3], RS0125172 [T3]; Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 245 Rz 75 und § 246 Rz 163; Ratz, ebd § 281 Rz 337). Andererseits muss ein darauf gerichteter (in der Hauptverhandlung gestellter) Antrag allgemeinen Begründungserfordernissen entsprechen, also ein Vorbringen enthalten, zu welchem Zweck die beantragte Verfügung begehrt wird, warum diese zum angestrebten Zweck tauglich ist und weshalb dieser mit einer (Fall‑)Norm in Verbindung steht, die ihrerseits aus dem (rechtlichen) Zweck der Absicherung eines fairen Verfahrens zur Feststellung der entscheidenden Tatsachen auf die konkrete Verfahrenssituation hin gebildet wurde (RIS‑Justiz RS0130796; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 333 ff).

[10] Die (alleinige) Äußerung des Verteidigers in der Hauptverhandlung, er spreche „sich gegen die Verlesung der“ (nicht näher bezeichneten) „restlichen Chatprotokolle“ aus, denn diese „Beweismittel“ dürften „bei sonstiger Nichtigkeit nicht verwendet werden“, „weil sie gegen § 140 StPO verstoßen würden“ (ON 219, 22), wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Abgesehen davon, dass vom FBI überwachte und ausgewertete Chatnachrichten zuvor vom Verteidiger selbst im Rahmen einer Zeugenvernehmung vorgehalten (ON 219, 12 und 15; vgl RIS‑Justiz RS0113446 [T3]) sowie vom Vorsitzenden – ohne Widerspruch des Beschwerdeführers – teils wörtlich verlesen (ON 219, 21), teils einverständlich in Form eines zusammenfassenden Berichts der Kriminalpolizei vorgetragen worden waren (ON 219, 19), legte die Verteidigung nicht dar, inwiefern Grundsätze eines fairen Verfahrens (Art 6 MRK) durch die Verlesung (nicht konkretisierter) weiterer Chatnachrichten hintangesetzt würden, zumal Art und Weise der Beweisgewinnung durch das FBI zuvor in der Hauptverhandlung von der Verteidigung nicht problematisiert wurden, die Behauptung eines Verstoßes gegen § 140 StPO (durch eine Ermittlungsmaßnahme des FBI) – wie oben dargelegt – unschlüssig ist und (rechtliche) Argumente erst in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragen wurden (vgl aber RIS‑Justiz RS0099618).

[11] Entgegen der weiteren Verfahrensrüge wurde auch der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des * Se* zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte nicht Mitglied einer kriminellen Vereinigung mit den jeweiligen Zeugen/Beschuldigten ist und, dass er mit ihnen keinen Suchtgifthandel betrieben hat“ (ON 219, 18), zu Recht abgewiesen. Denn einem Beweisantrag muss neben Beweisthema und Beweismittel – soweit dies nicht auf der Hand liegt – stets zu entnehmen sein, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, widrigenfalls das Begehren auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet ist (RIS‑Justiz RS0118444 [T6]). Genau dies wurde in der Hauptverhandlung nicht dargetan; die ergänzenden Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde unterliegen abermals dem Neuerungsverbot.

[12] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt mit der Behauptung, bei der zu Punkt B/ des Schuldspruchs inkriminierten Äußerung habe es sich um eine nicht tatbestandsmäßige „milieubedingte Unmutsäußerung“ gehandelt, die gebotene (vgl RIS‑Justiz RS0099810) Bezugnahme auf die Feststellungen zu Bedeutungsinhalt und darauf bezogenem Vorsatz des Beschwerdeführers (US 12).

[13] Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) moniert – gestützt auf eine Literaturstelle (Ebner in WK2 StGB [Stand bis 31. 5. 2018] § 32 Rz 26) – einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), weil das Erstgericht generalpräventive Erfordernisse bei der Strafbemessung berücksichtigt habe, die bereits bei Festlegung der gesetzlichen Strafdrohung maßgeblich gewesen seien. Abgesehen davon, dass dieses Verbot nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung ausschließlich eine Verdoppelung für die Subsumtion relevanter Umstände (Tatbestandselemente) im Rahmen der Strafbemessung erfasst (RIS‑Justiz RS0130193, RS0119249; Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 60), haben die Tatrichter diese Überlegungen keineswegs als Grund einer Strafschärfung, sondern – auch nach der von der Rüge zitierten Literaturstelle zulässig – als Argument gegen eine Reduzierung der als schuldangemessen erachteten Strafe angeführt (US 23; vgl allgemein zur Zulässigkeit der Berücksichtigung generalpräventiver Aspekte bei der Strafbemessung RIS‑Justiz RS0090592 [T1]; Riffel in WK2 StGB § 32 Rz 24 ff).

[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[15] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[16] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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