OGH 22Ds2/24z

OGH22Ds2/24z12.6.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. Juni 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Pressl und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Loibl LL.M. (WU), BSc in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 25. September 2022, GZ D 2/23, DV 4/23‑11, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Kammeranwalts Rechtsanwalt Mag. Schöndorfer und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0220DS00002.24Z.0612.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

 

*, Rechtsanwalt in *, ist schuldig, er hat im Verfahren AZ 3 Cg 76/20z des Landesgerichts St. Pölten die beklagte Partei sowie deren Rechtsvertreter beleidigt und sich einer im gerichtlichen Verfahren unangemessenen Schreibweise bedient, indem er in seinem Schriftsatz vom 25. August 2020 vorbrachte,

(1) „das Vorbringen der beklagten Partei in deren Einspruch ist – gelinde gesagt – wirr und ist nicht wirklich erkennbar, was diese weitwendigen seltsamen und realitätsfernen Ausführungen überhaupt bezwecken sollen“,

(2) „es macht es daher etwas schwierig, auf die schriftlichen Seltsamkeiten der beklagten Partei einzugehen“,

(3) „die sinnfreien Ausführungen, dass durch den Kaufvertrag Gewährleistungsansprüche abgetreten worden seien, sind nicht wirklich nachvollziehbar, es ist unerfindlich ...“ und

(4) „diese Behauptungen sind allenfalls als tragikomisch zu werten“,

hiedurch die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt begangen und wird hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von

2.000 (in Worten: zweitausend) Euro

verurteilt.

Gemäß § 54 Abs 5 DSt fallen dem Beschuldigten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, vom Vorwurf freigesprochen, er habe im Verfahren AZ 3 Cg 76/20z des Landesgerichts St. Pölten die beklagte Partei sowie deren Rechtsvertreter beleidigt und sich einer im gerichtlichen Verfahren unangemessenen Schreibweise bedient, indem er in seinem Schriftsatz vom 25. August 2020 vorbrachte,

(1) „das Vorbringen der beklagten Partei in deren Einspruch ist – gelinde gesagt – wirr und ist nicht wirklich erkennbar, was diese weitwendigen seltsamen und realitätsfernen Ausführungen überhaupt bezwecken sollen“,

(2) „es macht es daher etwas schwierig, auf die schriftlichen Seltsamkeiten der beklagten Partei einzugehen“,

(3) „die sinnfreien Ausführungen, dass durch den Kaufvertrag Gewährleistungsansprüche abgetreten worden seien, sind nicht wirklich nachvollziehbar, es ist unerfindlich ...“ und

(4) „diese Behauptungen sind allenfalls als tragikomisch zu werten“.

[2] Der Disziplinarrat stellte die inkriminierten Äußerungen als durch die diesbezügliche Urkunde (Beilage ./G der D‑Akten) objektiviert fest (ES 3 bis 5), wobei die Äußerungen in einem Verfahrensschriftsatz enthalten gewesen und solcherart jedenfalls dem zuständigen Richter und mehreren Kanzleibediensteten zur Kenntnis gelangt sind (ES 7).

[3] Zur subjektiven Tatseite konstatierte der Disziplinarrat, dass der Beschuldigte um die aus § 9 RAO resultierenden Verpflichtungen, insbesondere das Gebot zu sachlicher Ausdrucksweise, und die damit verbundene Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung wusste und er demzufolge die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens jedenfalls hätte erkennen müssen (ES 5 iVm ES 7).

[4] Ausgehend von diesen Feststellungen erachtete der Disziplinarrat in seiner rechtlichen Beurteilung die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt in objektiver wie in subjektiver Hinsicht als verwirklicht (ES 6 f), gelangte aber aus dem Grund des § 3 DSt zu einem freisprechenden Erkenntnis (ES 7 f).

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen (der Sache nach) wegen des Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes (dazu RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Berufung des Kammeranwalts ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – im Recht:

[6] Zutreffend zeigt die Berufung auf, dass der Disziplinarrat in Ansehung der inkriminierten – zu Recht auch im angefochtenen Erkenntnis als gegen das Gebot der sachlichen Ausdrucksweise (vgl RIS‑Justiz RS0055208 und RS0072230) verstoßend bewerteten – Äußerungen verfehlt von einem „gerade noch“ geringfügigen und im Vergleich zu typischen Fällen der Deliktsverwirklichung zurückbleibenden Verschulden ausgegangen ist und § 3 DSt demzufolge zu Unrecht angewendet hat.

[7] Für die Annahme geringfügigen Verschuldens im Sinn des § 3 DSt genügt es nicht, dass den Täter bloß kein schweres Verschulden trifft, es muss vielmehr ein Sorgfaltsverstoß vorliegen, dessen Gewicht im Vergleich zu den Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung deutlich abfällt (RIS‑Justiz RS0056585 und RS0089974).

[8] Hiebei ist insbesondere zu beachten, dass das geschriebene Wort und die Sprache des Anwalts dessen nach außen dringende Angriffsmittel und Verteidigungsmittel darstellen, bei deren Verwendung ein besonderes Maß an Sorgfalt angewendet werden muss. Eine diffamierende Schreibweise kann deshalb grundsätzlich nicht als eine Bagatelle abgetan werden, aus welchem Grund die Anwendung des Instituts der mangelnden Strafwürdigkeit insoweit in aller Regel ausscheidet (RIS‑Justiz RS0101396). Zudem spricht eine (auch fallbezogen gegebene) Häufung von (hier den Prozessgegner) herabsetzenden Äußerungen gegen eine Beurteilung des Verschuldens als geringfügig (vgl RIS‑Justiz RS0056135).

[9] Der vom Kammeranwalt bekämpfte Freispruch war daher infolge fehlerhafter Anwendung der Bestimmung des § 3 DSt aufzuheben.

[10] Der Oberste Gerichtshof gab dem Beschuldigten Gelegenheit, gegen die Konstatierungen des Disziplinarrats Einwände im Sinn des § 281 Abs 1 Z 2 bis 5 StPO oder des § 464 Z 2 erster Fall StPO vorzubringen.

[11] Indem die diesbezügliche Äußerung Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) des Erkenntnisses einwendet, ohne in der Disziplinarverhandlung (TB‑Nr 9) vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO) zu bezeichnen, die aus ihrer Sicht Feststellungen über entscheidende Tatsachen (dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff) erörterungsbedürftig entgegenstehen, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0118316).

[12] Entsprechendes gilt für das unter dem Aspekt des § 464 Z 2 erster Fall StPO Vorgebrachte, weil die Äußerung insoweit nicht erklärt, den Ersatz welcher konkreten, in den Entscheidungsgründen festgestellten und hier subsumtionsrelevanten Konstatierungen sie begehrt (Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 6 und 8).

[13] Da sich die Äußerung somit insgesamt nicht an den Kriterien der herangezogenen Anfechtungskategorien orientiert, waren die Feststellungen des Disziplinarrats der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0114638 [T2]).

[14] Auf dieser Basis hat der Beschuldigte durch die aus dem Spruch ersichtlichen schriftlichen Äußerungen in objektiver wie in subjektiver Hinsicht die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und – als Folge der Konstatierungen zur Publizität (dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 14 mwN) – der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt verwirklicht.

[15] Bei der Strafbemessung waren die diesbezüglichen Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[16] Demzufolge war der Umstand, dass der Beschuldigte je ein Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt begangen hat (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) erschwerend, der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) mildernd.

[17] Hievon ausgehend (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion als angemessen.

[18] Mit Blick auf die Intensität und die Redundanz der – zudem schriftlich vorgetragenen – beleidigenden Äußerungen ist nicht anzunehmen, dass die bloße Androhung der Geldbuße genügen werde, um den Beschuldigten von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten.

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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