OGH 8ObA12/24h

OGH8ObA12/24h25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T*, Bakk.art, BEd, *, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Land Wien, Bildungsdirektion, *, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2024, GZ 9 Ra 91/23b‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00012.24H.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde beim beklagten Land als Vertragslehrperson an einer Neuen Mittelschule als Professorin beschäftigt, und zwar befristet von 7. 1. 2019 bis 1. 9. 2019, und in der Folge jeweils verlängert bis 6. 9. 2020, bis 5. 9. 2021 und zuletzt bis 4. 9. 2022; von einer weiteren Verlängerung des Dienstverhältnisses über den 4. 9. 2022 hinaus nahm der beklagte Dienstgeber Abstand.

[2] Anlässlich ihrer Aufnahme hatte die Klägerin am 18. 1. 2019 gemäß § 2 Abs 2 Landesvertrags-lehrpersonengesetz 1966 (LVG), BGBl 1966/172 (in der durch die Dienstrechts‑Novelle 2013 – Pädagogischer Dienst, BGBl I 2013/211 geltenden Fassung), festgelegt, dass auf ihr Dienstverhältnis die Bestimmungen für Vertragsbedienstete im Pädagogischen Dienst nach dem 2. Abschnitt des LVG („Neurecht“, und nicht das „Altrecht“ dessen 3. Abschnittes [§§ 26 ff] oder das Vertragsbedienstetengesetz 1948, BGBl 1948/86 [VBG]), Anwendung finden.

[3] Gegen die von beiden Vorinstanzen übereinstimmend erfolgte Abweisung des auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses über den 4. 9. 2022 hinaus gerichteten Klagebegehrens zeigt die außerordentliche Revision der Klägerin keine erheblichen Rechtsfragen auf:

Rechtliche Beurteilung

[4] 1.1. Nach Art 30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – GRC („Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung“) haben jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung.

[5] 1.2. Nach Art 1 Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. 6. 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (Befristungs‑RL) soll die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung vom 18. 3. 1999 über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Befristungs-RL enthalten ist, durchgeführt werden. In § 5 Nr 1 der Rahmenvereinbarung („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“) ist vorgesehen, dass, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu vermeiden, die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen ergreifen:

a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen;

b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse;

c) die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

[6] 1.3. Nach § 4 LVG („Dienstvertrag“) gilt das Dienstverhältnis von Landesvertragslehrpersonen (an öffentlichen Volksschulen, Mittelschulen, Sonderschulen, Polytechnischen Schulen sowie Berufsschulen mit Ausnahme der land‑ und forstwirtschaftlichen Berufsschulen, sofern diese Schulen nicht vom Bund erhalten werden – § 1 LVG) auch dann auf bestimmte Zeit eingegangen (§ 4 Abs 3 VBG), wenn es von vornherein auf Unterrichtsperioden (zB Schuljahr, Semester) abgestellt ist (Abs 1). Nach § 4 Abs 3 LVG ist § 4 Abs 4 VBG (wonach ein auf bestimmte Zeit eingegangenes Dienstverhältnis nur einmal um maximal drei Monate verlängert werden darf und ein darüber hinaus fortgesetztes Dienstverhältnis als von da ab wie ein auf unbestimmte Zeit eingegangenes angesehen wird) nicht anzuwenden; übersteigt die Dauer eines oder mehrerer mit einer Landesvertragslehrperson eingegangenen befristeten Dienstverhältnisse fünf Jahre, gilt das zuletzt eingegangene Dienstverhältnis ab diesem Zeitpunkt als unbefristetes Dienstverhältnis.

[7] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu Befristungsbestimmungen in den §§ 24, 27 Theaterarbeitsgesetz, BGBl I 2010/100 (TAG), in den Entscheidungen 8 ObA 58/22w, 9 ObA 11/22s und 9 ObA 21/23p eingehend Stellung genommen. Dabei kam er zum Ergebnis, dass die Anwendbarkeit der Befristungs‑RL sowie die Frage, inwieweit die Befristungsbestimmungen des TAG mit § 5 Nr 1 Befristungs‑RL in Widerspruch stünden, nicht abschließend geklärt werden müsse, weil selbst die positive Annahme einer richtlinienwidrigen Umsetzung zu keiner Stattgebung eines Klagebegehrens auf Feststellung eines aufrechten, unbefristeten Dienstverhältnisses führen könne.

[8] Die Grundsätze dieser Rechtsprechung gelten auch hier:

[9] 3.1. Art 30 GRC unterliegt einem Ausgestaltungsvorbehalt: Das Recht auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung ist nur insofern und insoweit garantiert, als es sich aus dem Unionsrecht und den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ergibt (9 ObA 21/23p Rz 24; vgl die zahlreichen Nachweise aus der Rsp des EuGH bei KröllinHoloubek/Lienbacher, GRC‑Komm2 Art 30 [2019] Rz 9).

[10] 3.2. Weder der Unions‑ noch der nationale Gesetzgeber haben aber für den Fall eines Verstoßes gegen dieses Grundrecht das Bestehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses normiert, sodass Art 30 GRC keine Rechtsgrundlage für ein Begehren auf Feststellung eines unbefristeten Dienstverhältnisses bildet (9 ObA 21/23p Rz 25 f), ohne dass hier die Frage der Anwendbarkeit von Art 30 GRC auf befristete Dienstverhältnisse abschließend geklärt werden muss.

[11] 3.3. Ließe man, wie von der Klägerin in ihrer Revision angestrebt, § 4 Abs 3 LVG als unionsrechtswidrig unangewandt, könnte dies dem Klagebegehren nicht zum Erfolg verhelfen, weil letztlich offen bliebe, was dann gelten sollte (vgl 9 ObA 11/22s Rz 53) und woraus die Klägerin ihr Feststellungsbegehren auf Vorliegen eines unbefristeten Vertrags dann ableiten möchte (vgl 9 ObA 21/23p Rz 26), zumal auch die Anwendung des VBG zufolge der von der Klägerin anlässlich ihres Dienstantritts getroffenen Festlegung gegen das „Altrecht“ nicht in Frage käme.

[12] 3.4. Auch die Befristungs‑RL ist nicht unbedingt und genau genug, um daraus konkrete Ansprüche ableiten zu können und einem Einzelnen zu ermöglichen, sich vor einem nationalen Gericht darauf zu berufen (vgl 8 ObA 58/22w Rz 41; 9 ObA 21/23p Rz 26; 9 ObA 11/22s Rz 40 mwN aus der Rsp des EuGH).

[13] 3.5. Die Befristungs‑RL verpflichtet (nur) die Mitgliedstaaten, eine oder mehrere der in § 5 Nr 1 lit a bis c der Rahmenvereinbarung in der Befristungs‑RL genannten Maßnahmen zu erlassen, um die missbräuchliche Verwendung von aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen wirksam zu verhindern, sofern ihr innerstaatliches Recht keine „gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen“ zur Verhinderung eines solchen Missbrauchs umfasst; die Mitgliedstaaten verfügen über einen Spielraum, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenken (8 ObA 58/22w Rz 31 mwN). Solange ein Mitgliedstaat von (zumindest) einer dieser Methoden Gebrauch macht, erfüllt er nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl 26. 1. 2012, C‑586/10 , Kücük , Rn 25 f; 8. 3. 2012, C‑251/11 ,Huet , Rn 34, 36 und 42; 23. 4. 2009, C‑378/07 bis C‑380/07 , Angelidaki ua , Rn 74 und 151 mwN) die unionsrechtlichen Anforderungen der Befristungs‑RL.

[14] 3.6. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, § 4 Abs 3 LVG schreibe im Sinne von § 5 Nr 1 lit b der Rahmenvereinbarung eine maximale Gesamtdauer von befristeten Dienstverhältnissen von fünf Jahren vor, womit den unionsrechtlichen Anforderungen der Befristungs‑RL Genüge getan werde, hält sich daher im Rahmen der dargelegten Unionsrechtslage und der Rechtsprechung. Auf die Frage einer zusätzlichen sachlichen Rechtfertigung der Nichtverlängerung kommt es damit unter diesen Umständen nicht an.

[15] 3.7. Dass dem Berufungsgericht bei Lösung der erörterten Fragen des Unionssrechts eine gravierende Fehlbeurteilung unterlief, welche die Anrufung des Obersten Gerichtshofs erlauben würde (RS0117100), zeigt die Revision nicht auf; auch ein Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs würde daher – ebenso wie bei einem acte clair – nicht schaden (vgl RS0133681).

[16] 4.1. In einer „Nichtverlängerungserklärung“ des Dienstgebers – wie sie hier vom beklagten Land Ende August 2022 abgegeben wurde – ist nach ständiger Rechtsprechung keine auf Beendigung eines auf unbefristete Zeit abgeschlossenen Dienstvertrags gerichtete Erklärung, sondern nur die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Dienstvertrags nach Ablauf der Befristung zu erblicken (RS0063980; vgl RS0063963; 8 ObA 68/20p Pkt 1.1 und 1.2 mwN).

[17] 4.2. Zwar bietet der nationale Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit, Kettenarbeitsverhältnisse im Einzelfall im Hinblick auf eine allfällige Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB überprüfen zu lassen; dies scheitert hier aber daran, dass die (fortlaufenden) Befristungen nicht nur nicht dem Gesetz (§ 4 Abs 3 LVG) widersprechen, sondern dieses selbst die Anwendung der restriktiveren Befristungsbeschränkung in § 4 Abs 4 VBG (welche selbst einen gesetzlichen Ausschluss von sonst an sich zulässigen Kettenverträgen normiert – RS0031374) ausschließt und mehrere Befristungen bis zu einer von ihm selbst bestimmten längeren Gesamtdauer ausdrücklich zulässt (vgl 9 ObA 225/01f = RS0028327 [T5]; vgl auch 9 ObA 21/23p Rz 26; 9 ObA 11/22s Rz 50).

[18] Zu Ausnahmebestimmungen vom in § 4 Abs 4 VBG normierten Verbot von Kettenarbeitsverträgen hat aber der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass im Anwendungsbereich jener Bestimmungen Kettenverträge ohne Prüfung auf deren sachliche Rechtfertigung erlaubt sind, weil ihnen sachliche Gründe für die Befristung im Sinn der vom EuGH judizierten Grundsätze immanent sind (vgl 9 ObA 94/22x = RS0028327 [T21, T22]).

[19] 4.3. Wenn aber eine positivgesetzliche Regelung die Verlängerung eines befristeten Dienstverhältnisses im dargelegten Sinne ausdrücklich zulässt, sind Kettenarbeitsverträge grundsätzlich zulässig (vgl RS0028327 [T5]). Im Übrigen ist auch sonst aus dem nationalem Recht kein durchzusetzender Anspruch auf Einstellung oder Beförderung oder ein Kontrahierungszwang abzuleiten (vgl schon RS0029686 [insb T1]). Die Revision zeigt solches auch nicht auf. Auch insofern kommt es auf die Frage einer zusätzlichen sachlichen Rechtfertigung der Nichtverlängerung nicht an.

[20] 5. Die auch noch in der Revision gerügte Aktenwidrigkeit wäre für die Entscheidungsfindung völlig irrelevant und kann daher keinen Revisionsgrund bilden (vgl RS0043265; RS0043347 [T9]), worauf ebenfalls bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat.

[21] 6. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO; § 2 Abs 1 ASGG).

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