European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00057.23G.0424.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache dahin erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 609,67 EUR (darin 101,61 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Beklagte war bei der Klägerin als Angestellter beschäftigt. Am 24. 1. 2020 unterschrieb er eine „Rückzahlungserklärung für die Kosten von Ausbildungsveranstaltungen“, die von der Klägerin nicht unterschrieben wurde.
[2] In dieser heißt es unter anderem:
„Ich verpflichte mich hiermit zur Rückzahlung sämtlicher entstandener Kosten von Ausbildungsveranstaltungen, wenn das Dienstverhältnis innerhalb von 36 Monaten ab dem Ende der Ausbildung durch
• Dienstnehmerkündigung
(... )
beendet wird.
Besteht eine Ausbildung aus mehreren Teil (veranstaltung)en, werden die Gesamtkosten berücksichtigt. In diesem Fall läuft die 36‑Monatsfrist ab dem Ende der letzten Veranstaltung.
Die Basis des Rückzahlungsbetrages beträgt 100 % der Kursgebühren und der angefallenen Reise- und Unterbringungskosten und verringert sich um jeweils 1/36 für jeden vollen Kalendermonat innerhalb der 36‑Monatsfrist.
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Lehrgangs-Kosten. 4.026,00 + ca. 800,00 Reisekosten“.
[3] Weiters werden die einzelnen Veranstaltungen des Lehrgangs aufgelistet.
[4] Das Dienstverhältnis endete durch Dienstnehmerkündigung zum 31. 10. 2021.
[5] Die Klägerin begehrt auf Basis der Erklärung vom 24. 1. 2020 die Rückzahlung eines Teils der Ausbildungskosten, 3.578,67 EUR sA.
[6] Der Beklagte wendet unter anderem ein, dass es sich bei der Rückzahlungserklärung um keine gültige Vereinbarung iSd § 2d AVRAG handle, weil das zwingende Schriftformerfordernis nicht eingehalten worden sei. Unter Schriftlichkeit sei „Unterschriftlichkeit“ zu verstehen.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 2d Abs 2 AVRAG schütze den Arbeitnehmer nicht nur vor Übereilung, sondern auch vor der Geltendmachung (weiterer) Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers. Nur eine schriftliche Vereinbarung, die auch vom Arbeitgeber unterfertigt sei, biete dem Arbeitnehmer Rechtssicherheit. Die Verletzung des Schriftformerfordernisses führe zur gänzlichen Nichtigkeit der Vereinbarung, sodass die Ausbildungskosten nicht zurückgefordert werden könnten.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Gemäß § 2d Abs 2 AVRAG sei eine Rückerstattung von Ausbildungskosten nur in einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zulässig. Das Gebot der Schriftlichkeit bedeute im Allgemeinen „Unterschriftlichkeit“ im Sinne einer eigenhändigen Unterschrift. Zweck des § 2d AVRAG sei, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Er solle nicht unüberlegt eine solche Verpflichtung eingehen. Das Schriftlichkeitsgebot diene zusätzlich auch Beweissicherungszwecken, insbesondere betreffend die Höhe des maximal vom Arbeitgeber rückforderbaren Ausbildungskostenrückersatzes. § 2d AVRAG stelle daher eine Schutzbestimmung für den Arbeitnehmer dar. Das Argument, wonach das Schriftlichkeitsgebot auch vor der Geltendmachung (weiterer) Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers schütze und dem Arbeitnehmer Rechtssicherheit biete, sei entgegenzuhalten, dass ein Arbeitgeber keine Ausbildungskosten zurückfordern könne, die nicht Gegenstand einer Vereinbarung iSd § 2d AVRAG gewesen seien. Der Schutzzweck der Bestimmung sei aber in gleicher Weise erfüllt, wenn eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur vom Arbeitnehmer unterschrieben worden sei und der Arbeitgeber seine Willenserklärung anders, zB mündlich oder konkludent durch Verfassen des Schriftstücks und Entgegennahme des vom Arbeitnehmer unterschriebenen Schriftstücks, abgebe. Damit sei ein Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung anteiliger Ausbildungskosten nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die Rückzahlungserklärung nicht die Unterschrift der Klägerin aufweise. Da aber Feststellungen fehlten, um beurteilen zu können, ob die übrigen Voraussetzungen eines Rückzahlungsanspruchs vorlägen, sei das erstgerichtliche Urteil aufzuheben.
[9] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine schriftliche Vereinbarung iSd § 2d Abs 2 AVRAG zwingend auch eigenhändig vom Arbeitgeber zu unterschreiben sei.
[10] Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts wendet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.
[11] Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.
[12] Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[13] 1. Nach § 2d Abs 2 AVRAG kann eine Rückerstattung von Ausbildungskosten nur auf Basis einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer verlangt werden (vgl auch IA 605/A 22.GP 8).
[14] 2. Ein Vertrag, für den Gesetz oder Parteiwille Schriftlichkeit bestimmt, kommt nach § 886 ABGB durch Unterschrift der Parteien zustande. Das Gebot der Schriftlichkeit bedeutet im Allgemeinen „Unterschriftlichkeit“ und erfordert die eigenhändige Unterschrift unter dem Text, es sei denn, das Gesetz sieht ausdrücklich eine Ausnahme vor (RS0017221, vgl auch RS0078934 [T1]).
[15] 3. Nur im Einzelfall kann einem gesetzlichen Schriftlichkeitsgebot auch ohne Unterfertigung einer Erklärung entsprochen werden; die Zulässigkeit derartiger Ausnahmen richtet sich nach dem Zweck des jeweiligen Formgebots (RS0017221 [T18]). Die teleologische Reduktion von Formvorschriften ist allerdings mit größter Vorsicht zu handhaben (RS0017221 [T1, T4, T17]). Allgemein soll das Erfordernis der Schriftform gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können (RS0017221 [T7]). Darüber hinaus liegt der Zweck der Schriftform etwa im Übereilungsschutz, in der Beweissicherung oder in der Rechtssicherheit des Geschäftsverkehrs (4 Ob 6/19i mwN). Bei bloßen Informationspflichten spricht der Zweck eher für Textform ohne eigenhändige Unterschrift (Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4 § 886 Rz 5), geht es doch darum, dem Empfänger bestimmte Angaben in dauerhafter Weise zur Verfügung zu stellen (Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB7 § 886 ABGB Rz 7; 5 Ob 71/16a Pkt 5.1).
[16] 4. Bei einem zweiseitig verbindlichen Vertrag ist dem Formerfordernis der Schriftlichkeit grundsätzlich nur dann entsprochen, wenn beide Parteien den Vertrag unterzeichnet haben (RS0017232), kommt ein dem Schriftlichkeitsgebot unterliegender Vertrag doch kraft ausdrücklicher Anordnung des § 886 ABGB erst mit der Unterschrift „der Parteien“ zustande (5 Ob 2085/96w; RS0101797).
[17] Zu einseitig verbindlichen Verträgen wird in der Lehre vertreten, dass das Schriftformgebot nach dem Formzweck ausnahmsweise auch dadurch erfüllt sein kann, dass der ausschließlich Verpflichtete ein Schriftstück unterschreibt und der Berechtigte sich damit, wenn auch formlos, einverstanden erklärt (Berger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB3 [2022] § 886 ABGB Rz 13; Kalss in Kletečka/Schauer [Hrsg], ABGB‑ON1.06 § 886 Rz 3).
[18] In der Rechtsprechung wurde in Fällen der gewillkürten Schriftform ebenfalls bejaht, dass diese dadurch erfüllt ist, dass der ausschließlich Verpflichtete unterschreibt und der Berechtigte sich damit, wenn auch formlos, einverstanden erklärt (RS0017300).
[19] 5. § 2d AVRAG verlangt eine „schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“. Daraus lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Vereinbarung über den Ausbildungskostenrückersatz sowohl vom Arbeitgeber als auch vom Arbeitnehmer zu unterzeichnen ist (vgl auch Geiblinger, ASoK 2012, 130; Reissner in ZellKomm3 § 2d AVRAG Rz 15).
[20] Die Bestimmung stellt eine Schutzbestimmung zu Gunsten des Arbeitnehmers dar. Die dem Arbeitnehmer daraus gebührenden Rechte sind nach § 16 AVRAG unabdingbar, die Inhalte des § 2d AVRAG stellen relativ zwingendes Recht dar (9 ObA 85/21x). Zweck des § 2d AVRAG ist, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Ihm soll ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur so kann eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers vermieden werden (9 ObA 48/23h mwN).
[21] 6. Für eine interpretative Beschränkung der Schriftlichkeit in § 2d AVRAG auf den Arbeitnehmer besteht allerdings keine Grundlage. Die teleologische Reduktion verschafft der „ratio legis“ gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung. Die (verdeckte) Lücke besteht im Fehlen einer nach der „ratio legis“ notwendigen Ausnahmeregel (RS0008979 [T4]). Zwar richtet sich die Reichweite des Formgebots auch nach dem Formzweck. Dieser liegt, wie zuvor dargestellt, im Schutz des Arbeitnehmers, dem die Reichweite der Verpflichtung, die er eingeht, deutlich gemacht werden soll, aber letztlich auch in der Erleichterung und Sicherung des Beweises des Umfangs der Vereinbarung. Wenn daher der Gesetzgeber die Schriftlichkeit nicht auf die Verpflichtungserklärung des Arbeitnehmers beschränkt, kann das nicht als planwidrig überschießend und unsachlich angesehen werden.
[22] 7. Eine Rückzahlungsvereinbarung wie die vorliegende ist auch nicht nur einseitig verbindlich. Selbst wenn sich in ihr der Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen zum Kostenersatz verpflichtet, resultiert daraus auch die Verpflichtung des Arbeitgebers für den Fall, dass der Arbeitnehmer die in Aussicht genommene Ausbildung absolviert, zumindest vorläufig die Kosten dafür zu übernehmen. Weiters ergibt sich daraus die Verpflichtung des Arbeitgebers, sofern die Bedingungen für den Kostenersatz nicht eintreten, diese Ausbildungskosten endgültig zu tragen.
[23] 8. Die Klägerin argumentiert damit, dass der Ausbildungskostenrückersatz bereits in dem auch von ihr unterfertigten Dienstvertrag aus dem Jahr 2012 zugrunde gelegt war und die nur vom Beklagten unterfertigte „Verpflichtungserklärung“ nur die Konkretisierung dieser Rückersatzvereinbarung behandelt, für die eine nochmalige Unterschrift des Arbeitgebers nicht notwendig sei.
[24] Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass ein Ausbildungskostenrückersatz in Form einer Rahmenvereinbarung mit nachfolgender ergänzender Vereinbarung für die konkreten Kosten einer bestimmten Ausbildung wirksam vereinbart werden kann, ist daraus für die Klägerin nichts zu gewinnen. Sieht das Gesetz eine bestimmte Form der Vereinbarung vor, dann muss diese schriftliche Vereinbarung jedenfalls die wesentlichen Vertragspunkte umfassen (Berger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB3 [2022] § 886 ABGB Rz 16). Das sind aber bei der Rückzahlungsvereinbarung die konkrete Ausbildung und die Gesamtkosten, deren Rückzahlung gefordert werden kann. Da diese erst in der „Rückzahlungserklärung“ enthalten waren, ist allein dadurch, dass die Grundlagenvereinbarung von beiden Parteien unterfertigt wurde, nicht von der Einhaltung des Schriftformerfordernisses auszugehen.
[25] Demnach liegt auch in der Vereinbarung im Dienstvertrag keine von beiden Parteien unterfertigte Rückzahlungsvereinbarung.
[26] 9. Die Verletzung des Schriftformerfordernisses führt zur (gänzlichen) Unwirksamkeit (Nichtigkeit) der Vereinbarung (9 ObA 121/20i Pkt 5 mwN).
[27] 10. Dem Rekurs war daher Folge zu geben und das klagsabweisende erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen.
[28] 11. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei beträgt die Erhöhung der Entlohnung nach § 23a RATG 2,10 EUR bzw 2,60 EUR. In dritter Instanz besteht nur Anspruch auf den einfachen Einheitssatz.
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