OGH 9ObA85/21x

OGH9ObA85/21x2.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Oblasser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner ua, Rechtsanwälte in Melk, gegen die beklagte Partei C***** H*****, vertreten durch Mag. Andreas Friedl, Rechtsanwalt in St. Pölten, wegen 3.672,42 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2021, GZ 7 Ra 11/21w‑23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00085.21X.0902.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Beklagte war vom 1. 4. 2017 bis 30. 4. 2019 bei der Klägerin angestellt. Das Dienstverhältnis endete durch Kündigung des Beklagten. Im Beschäftigungszeitraum nahm der Beklagte an verschiedenen Ausbildungskursen (Schulungen) teil, deren Kosten die Klägerin zahlte. Die schriftlichen Ausbildungskostenrückersatzvereinbarungen schlossen die Parteien erst nach Absolvierung der jeweiligen Ausbildung ab. Vor Absolvierung der Schulungen war der Beklagte weder über die konkrete Höhe der jeweils damit verbundenen Kurskosten und sonstigen zurückzuerstattenden Kosten, noch über die Modalitäten und Voraussetzungen eines etwaigen Rückersatzes oder dessen Höhe informiert.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren der Klägerin auf Ausbildungskostenrückersatz, bestehend aus den Kurskosten sowie der Gehaltsfortzahlung für die Dauer der Schulungen ab. Es sei unstrittig, dass dem Beklagten durch die absolvierten Ausbildungen Fähigkeiten und Kenntnisse vermittelt worden seien, die seine Berufschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhöhten. Das Klagebegehren sei aber dennoch nicht berechtigt, weil die von der Klägerin zur Begründung ihres Klagsanspruchs geführten Ausbildungskostenrückersatzvereinbarungen nicht vor den jeweiligen Ausbildungen des Beklagten geschlossen worden seien.

[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Soll der Arbeitnehmer im Sinne des § 2d Abs 2 erster Satz AVRAG zum Rückersatz von Ausbildungskosten (und des während einer Ausbildung fortgezahlten Entgelts) verpflichtet werden, muss nach ständiger Rechtsprechung darüber noch vor einer bestimmten Ausbildung eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen werden, aus der auch die konkrete Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht (RS0127499). Der Oberste Gerichtshof begründet diese Rechtsprechung mit dem Zweck des § 2d AVRAG, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Ihm soll ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur so kann eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers vermieden werden (9 ObA 125/11i [Pkt 2.4., 2.5.]; 8 ObA 92/11d; 9 ObA 7/18x; 9 ObA 124/19d [Pkt 1.2.]; 9 ObA 61/20d [Pkt 1.]; zust Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG³ § 2d Rz 8, 11; aA Reissner in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 2d AVRAG Rz 16). Neue überzeugende Argumente, die den Senat zu einem Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung veranlassen könnten, zeigt die außerordentliche Revision nicht auf.

[5] 2. § 2d AVRAG stellt eine Schutzbestimmung für den Arbeitnehmer dar. Die dem Arbeitnehmer daraus gebührenden Rechte sind nach § 16 AVRAG unabdingbar, die Inhalte des § 2d AVRAG stellen relativ zwingendes Recht dar. Richtig ist zwar, dass der Wortlaut des § 2d AVRAG nicht ausdrücklich einen Zeitpunkt bzw Zeitraum für den Abschluss der nach § 2d AVRAG erforderlichen Vereinbarung normiert. Dem Gesetzeszweck entsprechend sichert aber nur eine vor der Ausbildung abgeschlossene Vereinbarung dem Arbeitnehmer eine selbstbestimmte Entscheidung, sich auf eine Ausbildung einzulassen, die unter bestimmten Umständen zu einem Ausbildungskostenrückersatz führen kann. Der Arbeitnehmer soll sich nicht erst nach absolvierter Ausbildung im aufrechten Arbeitsverhältnis mit der vom Arbeitgeber zur Unterschrift vorgelegten Vereinbarung über die Rückforderbarkeit der bereits vom Arbeitgeber getragenen Kosten und erfolgten Gehaltsfortzahlung konfrontiert sehen. Er kann dadurch unter Umständen in eine Drucksituation gelangen, die seinem schützenswerten Interesse, sich frei und sachlich über die Teilnahme an einer Ausbildung entscheiden zu können, entgegen steht.

[6] Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Stichworte