OGH 9ObA124/19d

OGH9ObA124/19d26.2.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W*****GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Burgstaller & Preyer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Mag. Franjo Schruiff, LL.M. Rechtsanwalt in Wien, wegen 14.927,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. August 2019, GZ 10 Ra 33/19z‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00124.19D.0226.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsverfahren ist, ob die Klägerin als ehemalige Dienstgeberin der Beklagten zur Rückforderung des während einer ausbildungsbedingten Dienstfreistellung der Beklagten weiterbezahlten Entgelts berechtigt ist.

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Soll der Arbeitnehmer iSd § 2d Abs 2 erster Satz AVRAG zum Rückersatz von Ausbildungskosten verpflichtet werden, muss nach ständiger Rechtsprechung darüber noch vor einer bestimmten Ausbildung eine schriftliche Vereinbarung geschlossen werden, aus der auch die konkrete Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht (RS0127499).

1.2 Zweck des § 2d AVRAG ist, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Ihm soll ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur so kann eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers vermieden werden.

1.2 Diese Grundsätze sind auf die Vereinbarung der Rückforderung des während einer Ausbildung fortgezahlten Entgelts übertragbar, weil auch diese Vereinbarung nach dem Gesetzeszweck so ausgestaltet sein muss, dass sie zu keiner wesentlichen und einseitigen Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers führt (9 ObA 7/18x mwN; Initiativantrag 605/A 22. GP  7).

2. Die Frage, ob eine zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffene Vereinbarung iSd § 2d Abs 2 AVRAG dem Transparenzgebot entspricht, kann regelmäßig nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.

3.1 In dem vergleichbaren Fall 9 ObA 7/18x wurde die Rechtsansicht des damaligen Berufungsgerichts gebilligt, dass die Vereinbarung der Rückforderung eines aliquoten Anteils „der Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“ dem Transparenzgrundsatz nicht ausreichend Rechnung trage, weil der Rückzahlungsvereinbarung jede betragliche Präzisierung fehle, sodass daraus die konkrete Höhe des zu ersetzenden Entgelts nicht hervorgehe. Da die Vereinbarung selbst auch keinen Hinweis auf das zeitliche Ausmaß der kursbedingten Dienstfreistellung enthalte, bleibe für den Arbeitnehmer das Ausmaß des zu erwartenden Rückersatzanspruchs aus dem Titel der Kosten der Dienstfreistellung weitgehend im Dunkeln (zust Eypeltauer , Zum Transparenzgebot beim Ausbildungskostenrückersatz, ecolex 2018, 1020).

4.1 Aus welchen Gründen die Vereinbarung der Rückforderung eines aliquoten Anteils „der Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“ im vorliegenden Fall anders zu beurteilen wäre, zeigt die Revisionswerberin in ihrem Rechtsmittel nicht auf:

4.2 Dass der Beklagten das zeitliche Ausmaß der Ausbildung und auch das Ausmaß des rückzuzahlenden Entgelts im Fall des Ausscheidens vor Ablauf der Bindungsfrist ohnehin bekannt war und der schriftlichen Vereinbarung zugrunde lag, findet in den Feststellungen keine Deckung. Wurden – wie hier – zu einem bestimmten Thema (positive oder negative) Tatsachenfeststellungen getroffen, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, kann ein rechtlicher Feststellungsmangel nicht erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]).

4.3 Dem Argument, aus § 69 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz BGBl I 1997/108 (GuKG) und der Anlage 8 der Gesundheits‑ und Krankenpflege‑Spezialaufgaben-Verordnung (GuK‑SV BGBl II 2005/452) wäre der Beklagten das zeitliche Ausmaß der erforderlichen Dienstfreistellung zumindest erkennbar gewesen, weil dort die Ausbildungsdauer der „Sonderausbildung in der Pflege im Operationsbereich“ von mindestens 1.000 Stunden genannt ist, ist entgegenzuhalten, dass das dort vorgeschriebene Stundenausmaß lediglich eine Mindestdauer für die „Sonderausbildung in der Pflege im Operationsbereich“ darstellt, die außerdem nicht das für die Beklagte vorgesehene Zusatzmodul „Sterilgutversorgung Teil II“ umfasst.

4.4 Auch mit ihrem Revisionsvorbringen, die bisherige Rechtsprechung erachte die Verpflichtung zur Rückzahlung des dem Arbeitnehmer während der Freistellung zu Ausbildungszwecken weiter gewährten Bruttoentgelts als ausreichend transparent (RS0126389), ohne dass notwendigerweise der konkrete Betrag der möglichen Rückersatzpflicht genannt sein muss, zeigt die Revisionswerberin kein vom Obersten Gerichtshof zu korrigierendes Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung auf. Die im vorliegenden Fall abgeschlossene Vereinbarung stellt nicht auf das Bruttoentgelt ab, sondern spricht nur vage von „Kosten der bezahlten Dienstfreistellung“. Wie bereits in der Entscheidung 9 ObA 7/18x ausgeführt, ist einzuräumen, dass eine exakte Ausweisung des Rückzahlungsbetrags „auf den Cent genau“ oft nicht möglich sein wird. Eine solche ist aber nicht erforderlich, um eine Rückzahlungsvereinbarung in Bezug auf das während der Ausbildung fortgezahlte Entgelt transparent zu gestalten.

4.5 Die Entscheidung 8 ObA 73/14i betrifft die Ausbildungskostenrückersatzverpflichtung eines Vertragsbediensteten des Landes Steiermark, auf die das AVRAG nicht anwendbar ist.

5. Eine in der Revision angesprochene geltungserhaltende Reduktion in dem Sinn, dass die Rückzahlungsverpflichtung nicht per se unwirksam sein soll, sondern nur hinsichtlich des sich für die Beklagte jedenfalls ergebenden Rückzahlungsbetrags (= Nettogehalts) muss schon daran scheitern, dass der Beklagten dieser Betrag mangels Kenntnis über das Ausmaß der ausbildungsbedingten Dienstfreistellung nicht bekannt und auch nicht erschließbar war.

Die außerordentliche Revision war daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Stichworte