OGH 9ObA48/23h

OGH9ObA48/23h28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Albert Kyncl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W* GmbH, *, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. P*, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 7.362 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. April 2023, GZ 9 Ra 9/23v‑15, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00048.23H.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Soll der Arbeitnehmer im Sinne des § 2d Abs 2 erster Satz AVRAG zum Rückersatz von Ausbildungskosten verpflichtet werden, muss nach ständiger Rechtsprechung darüber noch vor einer bestimmten Ausbildung eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen werden, aus der auch die konkrete Höhe der zu ersetzenden Ausbildungskosten hervorgeht (RS0127499). Der Oberste Gerichtshof begründet diese Rechtsprechung mit dem Zweck des § 2d AVRAG, für den Arbeitnehmer Transparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten seiner Ausbildung zu schaffen. Ihm soll ersichtlich sein, auf welche Verpflichtungen er sich künftig einlässt, weil er nur so die finanzielle Tragweite der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in jenem Zeitraum ermessen kann, für den eine Kostentragungspflicht vereinbart wurde. Nur so kann eine sittenwidrige Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers vermieden werden (9 ObA 85/21x Rz 4 mwN; zuletzt 8 ObA 22/23b Rz 1 f).

[2] 1.2. Die übereinstimmende Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass auch in der vorliegenden Konstellation das auf eine erst nach Beginn der Ausbildung abgeschlossene (schriftliche) Vereinbarung gestützte Begehren der Klägerin auf Rückersatz von Ausbildungskosten nicht berechtigt ist, ist vertretbar und steht mit der herrschenden Rechtsprechung in Einklang. Eine vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt nicht vor.

[3] 1.3. VölligeTransparenz über die Bedingungen für den Rückersatz der Kosten der Ausbildung war – entgegen der Ansicht der Klägerin – für den Beklagten vor Beginn der Ausbildung nicht gegeben. Richtig ist zwar, dass dem Beklagten die Höhe der Ausbildungskosten bekannt und die Ausbildung zeitlich fixiert war, die Modalitäten über einen allfälligen Rückersatz wurden zwischen den Parteien aber erst in der nach Beginn der Ausbildung abgeschlossenen Vereinbarung über den Ausbildungskostenrückersatz festgelegt. Das Gesetz selbst gibt in § 2d Abs 3 Z 3 AVRAG nur einen Mindestrahmen für eine zwingende (§ 16 AVRAG) Aliquotierung vor. Auch wenn man davon ausginge, dass dem Beklagten schon vor Beginn der Ausbildung bekannt sein musste, dass die Klägerin ihre Erklärung zur Übernahme der Ausbildungskosten an eine (erst abzuschließende) Vereinbarung über den Rückersatz dieser Kosten knüpfte, so würde auch dies dem Gesetzeszweck nicht gerecht werden, dem Arbeitnehmer eine selbstbestimmte Entscheidung, sich auf eine Ausbildung einzulassen, die unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Ausbildungskostenrückersatz führen kann (vgl 9 ObA 85/21x Rz 5), zu überlassen. Der Arbeitnehmer soll sich auch nach bereits begonnener Ausbildung im aufrechten Arbeitsverhältnis nicht mit einer vom Arbeitgeber zur Unterschrift vorgelegten Vereinbarung über die Rückforderbarkeit der bereits vom Arbeitgeber übernommenen Kosten konfrontiert sehen. Er kann auch dadurch unter Umständen in eine Drucksituation gelangen, die seinem schützenswerten Interesse, sich frei und sachlich für oder gegen die Teilnahme an einer Ausbildung entscheiden zu können, entgegen steht.

[4] 1.4. Diese enge Auslegung des § 2d Abs 2 AVRAG ist auch deshalb geboten, um den Arbeitsvertragsparteien im aufrechten Arbeitsverhältnis Klarheit über die Voraussetzungen einer rechtswirksamen Ausbildungskostenrückersatzvereinbarung zu verschaffen und Streitigkeiten darüber, welches Detailwissen der Arbeitnehmer vor Beginn der Ausbildung über eine erst danach abgeschlossene Vereinbarung hatte, zu vermeiden.

[5] 2.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt. Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (9 Ob 102/22y Rz 30 mwN). Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalles zu klärende Rechtsfrage (RS0110900; RS0009759 [T13]).

[6] 2.2. Mit der bloßen Behauptung, der Beklagte wolle eine geringfügige Verzögerung bei der Präzisierung der Rückerstattungsvereinbarung ausnützen, um die eindeutig vereinbarte Rückzahlungsvereinbarung „auszuhebeln“, wird ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beklagten aber nicht ausreichend dargetan.

[7] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Stichworte