OGH 6Ob163/23y

OGH6Ob163/23y21.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und den Hofrat Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*, vertreten durch Mag. Wolfgang Vinatzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch andreewitch & partner rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.135.531,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Mai 2023, GZ 1 R 149/22x-268, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00163.23Y.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin legte der Beklagten am 31. 7. 2002 ein schriftliches Angebot, das einerseits „Unterstützungsleistungen“ bei Teilprojekten der Beklagten im Bereich Software Developement umfasste und andererseits den „Leistungsbereich Aufbau und Durchführung von Software-QM“ [Qualitätsmanagement]. Die Laufzeit war mit August 2002 bis März 2003 veranschlagt, die „Projektpauschale“ von 1.960.420 EUR (netto) sollte monatlich abgerechnet werden.

[2] Im ersten Rechtsgang wurde abschließend geklärt, dass zwischen den Streitteilen ein wirksamer Vertrag um diese Pauschale zustande gekommen war, den die Beklagte am 16. 1. 2003 zum 31. 1. 2003 kündigte. Während das Erstgericht das Klagebegehren übersechs Monatspauschalen abwies, sprach das Berufungsgericht der Klägerin 1.617.331,50 EUR für den Zeitraum 1. 8. 2002 bis 16. 1. 2003 zu und wies den Mehrbetrag von 147.046,50 EUR für die Kündigungsfrist ab.

[3] Der Oberste Gerichtshof hob mit Beschluss vom 28. 8. 2014 zu 6 Ob 93/14s dieses Urteil im Anfechtungsumfang von 1.617.331,50 EUR auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin auf.

[4] Begründend wurde festgehalten:

2.1 […] Die Festlegung von Pauschalraten dient zwar der Vereinfachung der Abrechnung und erübrigt den Nachweis des konkreten jeweils geleisteten Aufwands. Keinesfalls kann aber die Regelung dahin verstanden werden, dass damit auch die Folgen der Nicht- oder Schlechterfüllung durch die klagende Partei abschließend geregelt sein sollten. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts würde dazu führen, dass die beklagte Partei, wenn sie erst am Ende der Projektlaufzeit erkennt, dass die Leistungen der klagenden Partei nicht ordnungsgemäß erbracht wurden, zwar kündigen könnte, dennoch aber das vertraglich vorgesehene Entgelt - je nach Kündigungszeitpunkt - zur Gänze oder nahezu zur Gänze bezahlen müsste.

2.2. Die vertragliche Regelung, wonach bis zur Kündigung die vorgesehene Monatspauschale zu bezahlen ist, stellt eine Abweichung von § 1168 ABGB dar, weil sie eine Beendigung der Zusammenarbeit vor Fertigstellung des Werks ermöglicht, ohne dass die beklagte Partei in diesem Fall den gesamten noch ausständigen Werklohn zu zahlen hätte. Insoweit ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichts zuzustimmen. Nicht gefolgt werden kann der Rechtsansicht des Berufungsgerichts jedoch dahin, dass es sich dabei auch um eine abschließende Regelung für den Fall handelt, dass die von der klagenden Partei geschuldeten Leistungen nicht oder nicht ordnungsgemäß erbracht wurden.

2.3. Dass sich die beklagte Partei in ihrer Kündigung nicht ausdrücklich auf § 918 ABGB berufen hatte, ist unschädlich. Der Sache nach lagen im Übrigen nach dem festgestellten Sachverhalt die Voraussetzungen für einen Rücktritt nach § 918 ABGB vor. Nach den bisher getroffenen Feststellungen waren, obwohl schon fünfeinhalb Monate von insgesamt acht Monaten Projektdauer verstrichen waren, die Arbeiten der klagenden Partei über eine Vorbereitungsphase nicht hinausgekommen. Das Projekt hätte überhaupt nicht innerhalb absehbarer Zeit beendet werden können, sodass eine Nachfristsetzung entbehrlich war […]. Im Hinblick darauf kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob eine Nachfristsetzung auch wegen der Erschütterung des Vertrauens der beklagten Partei […] entfallen konnte.“

[5] Das Berufungsgericht habe sich daher mit den weiteren Rechtsmittelausführungen der Klägerin zu befassen. Sofern es den Beweis- und Mängelrügen sowie dem Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen keine Folge gäbe und die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen übernähme, bestehe der Anspruch der Klägerin, soweit er die Entwicklung eines Software-Qualitätsmanagement-Systems betreffe, nicht zu Recht. Die Unterstützungsleistungen, die auch nach dem Vorbringen der Beklagten erbracht worden und zweckmäßig gewesen seien, könnten hingegen auf Basis von § 273 ZPO zugesprochen werden.

[6] Im zweiten Rechtsgangsprach das Berufungsgericht der Klägerin 481.800 EUR als Entgelt für Unterstützungsleistungen zu und hob das klagsabweisende Urteil zum noch offenen Anspruch für das Qualitätsmanagement im Zeitraum 1. 8. 2002 bis 16. 1. 2003 über 1.135.531,50 EUR zur neuerlichen Entscheidung auf.

[7] Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren (wiederum) ab. Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass es sich um ein Endurteil handle, und ließ die ordentliche Revision wegen der Einzelfallbezogenheit nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf und ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

[9] 1. Es erweisen sich sämtliche Revisionsausführungen zu angeblichen Nichtigkeiten, Aktenwidrigkeiten und Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens als – jedoch unzulässige – Versuche, den in erster Instanz festgestellten Sachverhalt zu bekämpfen.

[10] 2. Von diesem ausgehend vermag auch die Rechtsrüge keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:

[11] 2.1 Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, kommt doch der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RS0042776).

[12] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus dem objektiven Erklärungswert des Anbots sowie der Vorgänge und Gespräche nach dessen Legung (entgegen dem Standpunkt der Beklagten) der gesamte Leistungsinhalt unverändert beauftragt wurde, dafür einschließlich des von der Klägerin vorgeschlagenen Anhangs samt „Erfolgskriterien zum Laufzeitende“, ist keineswegs unvertretbar.

[13] Schon im ersten Rechtsgang wurde vom Vorliegen eines Werkvertrags und einem grundsätzlich berechtigten Rücktritt der Beklagten zur Teilleistung (vgl RS0018438) „Software-Qualitätsmanagement“ nach § 918 ABGB ausgegangen, und der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass diese Einschätzung aufgrund des nunmehr verbreiterten, jedoch nicht wesentlich anders gelagerten Sachverhalts nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte.

[14] Dies resultiert nicht aus den – vermeintlich falsch interpretierten – Begriffen „Software-Qualitätsmanagement“ und „Software-Qualitätsmanagement-System“, sondern aus der – jedenfalls vertretbaren – Auslegung, dass die Klägerin nach dem Wortlaut des Anbots keineswegs nur ein „training on the job“ im Sinne von Schulungs-, Test- und Ausbildungsleistungen, sondern den „Aufbau“ von Qualitätsmanagement einschließlich „Tools“ und „Prozessen“ sowie die Erreichung von näher genannten „Zielen“ bis März 2003 zusagte, die sie nach den Feststellungen jedoch nicht einmal ansatzweise erreichen konnte.

[15] Selbst wenn man im Sinne der Revision davon ausginge, dass der Auftrag die „Deliverables und überprüfbare Ergebnisse“ nicht ausreichend definiere, bedeutet dies nicht, dass keine Arbeitsergebnisse geschuldet gewesen wären. Nicht zuletzt kann man solche anhand gewöhnlich vorausgesetzter Umstände konkretisieren, was die Vorinstanzen – etwa beim Handbuch – in vertretbarer Weise taten.

[16] Auch dass die Streitteile eine Kündigungsmöglichkeit vereinbarten, spricht, wie bereits zu 6 Ob 93/14s herausgearbeitet, nicht gegen die Qualifikation als Werkvertrag, sondern ist als Abweichung von § 1168 ABGB zu verstehen; die Abbestellung eines Werks ist grundsätzlich immer zulässig (vgl RS0025771).

[17] Die von der Revision wiederholt ins Treffen geführte Einschätzung des Sachverständigen, dass die Beklagte darstellen müsse, welche Kriterien nicht erfüllt worden seien, ist in rechtlicher Hinsicht unbeachtlich. Es stellt sich nämlich kein Beweislastproblem oder eine Detailfrage zum (technischen) Auftragsumfang, weil schon ganz generell feststeht, dass noch im Jänner 2003 keine substanziellen, sach- und fachgerechten Umsetzungsergebnisse vorlagen, die aus einer methodischen Analyse und Befassung zur Konzeption eines Qualitätsmanagements resultierten, und auch keine adäquate Projektstruktur, die konkrete Ergebnisse bis März 2003, wie etwa ein Handbuch (sei es nun nach dem „Top down-“ oder „Bottom Up-Ansatz“), ermöglicht hätte. Ob allenfalls einzelne Arbeitsergebnisse, etwa zum „V-“ und „CMM-Modell“, vorhanden waren, spielt insofern keine besondere Rolle.

[18] 2.2 Soweit die Revision das Scheitern des Projekts der Sphäre der Beklagten zuordnen und § 1168a ABGB angewendet wissen will, weil dessen Abschluss wegen fehlender Ressourcen auf Beklagtenseite und einem „Systemwechsel“ unterblieben sei, geht sie – unzulässiger Weise – nicht von festgestellten Sachverhalt aus.

[19] Selbst wenn personelle Ressourcen bei der Beklagten gefehlt hätten, hätte dies die Klägerin auch nicht entbunden, ihre eigenen Leistungen zu erbringen, wozu unter anderem eine adäquate Projektstruktur und ein Konzept gehört hätte, das eine sinnvolle Personalplanung überhaupt erst ermöglicht hätte.

[20] Wenn die Werkerstellung durch Umstände verhindert wird, die der Sphäre des Bestellers zugehören, jedoch auf schuldhaftes Verhalten des Unternehmers zurückzuführen sind, sind sie im Übrigen nicht als Umstände auf Seite des Bestellers zu werten (RS0021934 [T6]).

[21] 2.3 Die Klägerin ist schließlich der Meinung, dass der Verweis in ihrem Angebot auf die Geltung der „allgemeinen Bedingungen für den Verkauf und die Lieferung von Organisations-, Programmierungsleistungen und Werknutzungsbewilligungen von Softwareprodukten“ des Fachverbands Unternehmensberatung und Datenverarbeitung der Wirtschaftskammer Österreich für deren vertragliche Vereinbarung ausreiche und das Berufungsgericht insofern in unvertretbarer Weise von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (insb RS0014506) abgewichen sei.

[22] Ob dies zutrifft, kann jedoch offen bleiben, weil damit schon nach dem Klagsvorbringen die Zurückbehaltung von Zahlungen „wegen nicht vollständiger Gesamtlieferung, Garantie- oder Gewährleistungsansprüchen oder Bemängelungen“ iSd § 1052 ABGB ausgeschlossen werden sollte. Warum diese Bestimmung einem Rücktritt nach § 918 ABGB entgegenstünde, der die Zahlungspflicht der Beklagten schuldrechtlich ex tunc beseitigt (vgl RS0018414), kann die Revision nicht begründen. Auch der Verweis, dass die Rücktrittserklärung der Beklagten das Leistungsverweigerungsrecht zum Erlöschen bringe, geht daher ins Leere, weil es hier eben nicht um die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags, sondern eine Vertragsauflösung geht. Bereits zu 6 Ob 93/14s wurde klargestellt, dass die Beklagte keineswegs das monatlich geschuldete Entgelt zu zahlen hat, wenn die Klägerin die ihrerseits geschuldeten Leistungen nicht oder nicht ordnungsgemäß erbringt.

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