OGH 7Ob213/23h

OGH7Ob213/23h24.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. DI R* und 2. K*, beide vertreten durch Mag. Dieter Koch und Mag. Natascha Jilek, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei R*‑AG, *, vertreten durch Mag. Karin Leitner, Rechtsanwältin in Leoben, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 3. November 2023, GZ 2 R 149/23h‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00213.23H.0124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger waren bei der Beklagten von 1. Dezember 2006 bis 1. Dezember 2017 aufrechtrechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003) zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Artikel 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[…]

3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.

Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich,

[…]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

[…]

1.8. im Zusammenhang mit

– der Errichtung oder baubehördlich genehmigungspflichtigen Veränderung von Gebäuden, Gebäudeteilen, Grundstücken oder Wohnungen, die sich im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befinden oder von ihm erworben werden;

– der Planung derartiger Maßnahmen;

– der Finanzierung des Bauvorhabens einschließlich des Grundstückserwerbes.

[…]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

[…]

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[…]

Artikel 24

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

[…]

4. Wartefrist

Für Versicherungsfälle, die vor Ablauf von drei Monaten ab dem vereinbarten Versicherungsbeginn eintreten, besteht kein Versicherungsschutz.

[…]“

[2] Die Kläger schlossen mit der R*bank * am 27. Februar 2007 einen Abstattungskreditvertrag über 300.000 EUR (in Form eines Schweizer Franken Kredits) zur Finanzierung des Baus ihres Einfamilienhauses. Am 24. Oktober 2007 schlossen sie mit derselben Bank einen weiteren Abstattungskreditvertrag über 90.000 EUR (ebenfalls in Form eines Schweizer Franken Kredits) ab.

[3] Die Kläger begehren die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die Geltendmachung von bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsansprüchen gegen die R*bank * im Zusammenhang mit dem Abschluss des Kreditvertrags vom 24. Oktober 2007 im Umfang des Rechtsschutzversicherungsvertrags bis zum vertraglich vereinbarten Höchstbetrag.

[4] Die Vorinstanzengaben der Deckungsklage statt.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Beklagte zeigt mitihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

[6] 1. Die Beklagte releviert in ihrer Revision neuerlich, dass den Klägern in erster Instanz kein Auftrag zur Vorlage ihrer Kontoauszüge erteilt worden sei. Diesen behaupteten Verfahrensmangel hat bereits das Berufungsgericht verneint. Ein vom Gericht zweiter Instanz verneinter angeblicher Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens kann nach ständiger Rechtsprechung in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371).

[7] 2.1. Der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung nach Art 2.3. ARB 2003 liegt vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetz- oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Bei mehreren Verstößen ist nach den ARB 2003 grundsätzlich der erste Verstoß maßgeblich (RS0114001 [T1, T3]).

[8] 2.2. Die Vorinstanzen haben den ersten Kreditvertrag vom Februar 2007 nicht als Rahmenvertrag, mit dem im Vorhinein bestimmte generelle Vertragspflichten auch für den später abgeschlossenen zweiten Kreditvertrag vereinbart worden wären, beurteilt, sondern sind von einem davon unabhängigen zweiten Kreditvertrag ausgegangen (vgl RS0117821), der damit außerhalb der Wartefrist gemäß Art 24 ARB 2003 liegt. Das ist nicht korrekturbedürftig.

[9] 2.3. Der erste Verstoß (behauptete unwirksame Klausel im ersten Kreditvertrag) war hier für sich allein betrachtet jedenfallsnicht geeignet, den Rechtskonflikt über den zweiten später geschlossenen (zum Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Kreditvertrags noch nicht geplanten) Kreditvertrag zumindest mitauszulösen (vgl RS0111811).

[10] 3. Die Beklagte beruft sich weiters auf eine Verletzung der Auskunftsobliegenheit gemäß Art 8.1.1. ARB 2003.

[11] 3.1. Die Aufklärungspflicht und Belegpflicht ist eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, der seinen Vertragspartner über alle für die Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Versicherungsleistung notwendigen Umstände nach Treu und Glauben aufzuklären hat (RS0080203 [T1]). Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung von Bedeutung sein können (RS0080185). In diesem Sinn ist auch Art 8.1.1. ARB 2003 auszulegen. Die Auskünfte und Belege des Versicherungsnehmers sollen den Versicherer in die Lage versetzen, sachgemäße Entscheidungen über die Abwicklung des Versicherungsfalls zu treffen und insbesondere Art und Umfang seiner Leistung möglichst genau und frühzeitig überprüfen zu können (RS0080205; RS0080833; RS0080203).

[12] 3.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Kläger dieser Obliegenheit durch die Übermittlung beider Kreditverträge – wobei der Verwendungszweck des ersten Kreditvertrags zur Finanzierung eines Bauvorhabens diesem Vertrag eindeutig zu entnehmen war– mit der ersten Deckungsanfrage an die Beklagte ausreichend nachgekommen seien, hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, zumal die Ablehnung der Deckung bereits aus einem anderen Grund erfolgte. Deshalb ist auch die aufgeworfene Frage der Verletzung der Anzeige- und Auskunftspflicht dann, wenn in einem vorgelegten Unterlagenkonvolut ein Deckungsausschluss „versteckt“ worden wäre, nicht relevant, war diese Information doch nicht mehr erforderlich, um ihre Leistungspflicht im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung überprüfen zu können.

[13] 3.3. Auch die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Kläger nach der Deckungsablehnung während des Deckungsprozesses keine weiteren Obliegenheiten verletzt haben, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Fachsenats (vgl dazu jüngst 7 Ob 143/23i mwN).

[14] 4.1. Zu mit Art 7.1.8. ARB 2003 („Bauherrenklausel“) vergleichbaren Bestimmungen führte der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach aus, dass zur Finanzierung genehmigungspflichtiger Bauvorhaben regelmäßig Vereinbarungen mit dem Zweck, Fremdmittel für solche meist kostenintensiven Maßnahmen zu erhalten, geschlossen werden. Wirtschaftlicher Zweck des zu beurteilenden Risikoausschlusses ist daher erkennbar, die Rechtsschutzdeckung nicht nur für erfahrungsgemäß aufwändige und deshalb teure Bau-(mängel-)Prozesse auszunehmen, sondern auch Streitigkeiten, die – wegen der häufigen Notwendigkeit, große Beträge fremdzufinanzieren – hohe Streitwerte zum Gegenstand haben und zwischen den Parteien der Finanzierungsvereinbarung auftreten, in der Regel also Streitfragen aus dem geschlossenen Kreditvertrag zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Grund dafür ist, dass nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der in der Risikogemeinschaft zusammengeschlossenen Versicherungsnehmer ein solches Risiko entstehen kann. Selbstverständlich ist, dass nicht jeder auch noch so ferne Zusammenhang mit der Finanzierung ausreicht, sondern zumindest ein ursächlicher Zusammenhang im Sinn der conditio sine qua non‑Formel zwischen der Finanzierung und jenen rechtlichen Interessen, die der Versicherungsnehmer mit Rechtsschutzdeckung wahrnehmen will, bestehen muss. Dabei bedarf es – wie im Schadenersatzrecht zur Haftungsbegrenzung – eines adäquaten Zusammenhangs zwischen Rechtsstreit und Baufinanzierung, es muss also der Rechtsstreit, für den Deckung gewährt werden soll, typische Folge der Finanzierung eines Bauvorhabens sein (RS0126927; jüngst 7 Ob 31/23v mwN).

[15] 4.2. Wenn die Vorinstanzen den zweiten Kreditvertrag aus Oktober 2007 nicht (mehr) als vom Risikoausschluss gemäß Art 7.1.8. ARB 2003 (Finanzierung eines Bauvorhabens) umfasst angesehen haben, bedarf dies vor dem Hintergrund der Feststellungen, wonach das Einfamilienhaus der Kläger im September 2007 schlüsselfertig übergeben, im selben Monat von ihnen bezogen und die Kreditvaluta für Einrichtungsgegenstände, die Gartengestaltung und die Anschaffung eines Fahrzeugs – jedenfalls aber nicht mehr für den bereits ausfinanzierten Bau des Hauses – aufgewendet wurde, keiner Korrektur im Einzelfall.

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