European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00218.23V.0124.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger wurde im April 2012 stationär wegen einer psychischen Störung durch multiplen Substanzgebrauch (Cannabis, LSD, Kokain) und Konsum anderer psychotroper Substanzen mit polymorph psychotischer Störung behandelt. Nach seiner Entlassung nahm er etwa drei Monate Psychopharmaka ein und unterzog sich im Zeitraum Juni 2012 bis September 2013 insgesamt vier Kontrolluntersuchungen. Dann war seine Behandlung abgeschlossen, er nahm keine Medikamente mehr und hatte keine Beeinträchtigungen.
[2] Mit 1. August 2014 schloss der Kläger bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Die Vermittlung des Vertrags erfolgte durch den Agenten der Beklagten, über den der Kläger bereits zuvor Versicherungsverträge abgeschlossen hatte. In Kenntnis der dort vom Kläger bereits beantworteten Gesundheitsfragen füllte der Agent der Beklagten den Antrag auf Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung vorab aus und brachte ihn zur Besprechung mit dem Kläger mit. Die darin enthaltenen Fragen nach Drogenkonsum, regelmäßigen Behandlungen oder Kontrollen in den letzten fünf Jahren, stationären Aufenthalten sowie psychischen Erkrankungen in den letzten zehn Jahren waren verneint. Der Agent las dem Kläger die jeweiligen Fragen vor. Dieser erhob keine Einwände dagegen und wies somit nicht auf deren fälschliche Verneinung hin.
[3] Der Kläger beantwortete die Fragen zu seinem früheren Drogenkonsum und der psychischen Erkrankung deshalb unrichtig, weil ihm bewusst war, dass die wahrheitsgemäße Beantwortung Einfluss auf den Abschluss des Versicherungsvertrags haben kann. Wären der Beklagten der Drogenkonsum und die psychiatrische Erkrankung des Klägers bekannt gewesen, hätte sie den Vertragsabschluss abgelehnt.
[4] Die Beklagte trat per 1. August 2021 wegen arglistiger Täuschung vom Vertrag zurück.
[5] DasErstgericht gab den Klagebegehren auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente sowie Feststellung des aufrechten Bestehens des Versicherungsvertrags und Ruhens der Prämienzahlungsverpflichtung statt, das Berufungsgericht wies sie nach Durchführung einer Beweiswiederholung ab.
[6] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision ist nicht zulässig.
[8] 1. Nach dem für die Lebensversicherung geltenden § 163 VersVG kann der Versicherer wegen einer Verletzung der dem Versicherungsnehmer beim Abschluss des Vertrags obliegenden Anzeigepflicht vom Vertrag nicht mehr zurücktreten, wenn seit dem Abschluss drei Jahre verstrichen sind. Das Rücktrittsrecht bleibt aber bestehen, wenn die Anzeigepflicht arglistig verletzt worden ist. Wegen der gleichgelagerten Interessenlage wie in der Lebens‑ und Krankenversicherung sind auf die Berufsunfähigkeitsversicherung im Hinblick auf die Berührungspunkte zur Lebensversicherung die §§ 163, 178 VersVG analog anzuwenden (RS0112258 [T2] = 7 Ob 21/18s).
[9] 2. Nach ständiger Rechtsprechung hat der den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung über Gefahrenumstände im Sinn des § 22 VersVG anfechtende Versicherer das Vorliegen der Arglist durch den Täuschenden zu beweisen (RS0103030). Arglist ist die (bedingt) vorsätzliche Herbeiführung oder die Ausnützung eines schon vorhandenen Irrtums (7 Ob 136/08p; vgl auch RS0130762). Eine arglistige Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gemäß § 22 VersVG ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer nicht nur die verschwiegene oder unrichtig angezeigte Tatsache kannte, sondern um die Erheblichkeit dieser Tatsache für den Versicherer wusste. Arglist liegt demnach vor, wenn der Getäuschte absichtlich oder doch bewusst durch unrichtige Vorstellungen zur Einwilligung in einen Vertragsabschluss gebracht wurde (7 Ob 136/08p; 7 Ob 119/17a). Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (RS0080637 [T2]).
[10] Ob die Voraussetzungen für die Annahme von Arglist vorliegen, ist eine Tatfrage. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz, dass ein Versicherungsnehmer, der Antragsfragen bewusst unrichtig beantwortet, regelmäßig auch mit Arglist in Bezug auf die Willensbildung des Versicherers gehandelt hat (7 Ob 119/17a; RS0103030). Vielmehr erfordert Arglist im Sinn des § 22 VersVG, dass der Versicherungsnehmer durch die Falsch- oder Nichtbeantwortung auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen wird, wenn er (vollständig) die Wahrheit sagt (7 Ob 38/95; 7 Ob 34/16z; RS0080027 [T2]; vgl Fischer in Fenyves/Perner/Riedler § 22 VersVG [Dezember 2021] Rz 4).
[11] Bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 870 ABGB erfüllt sind, kommt es maßgeblich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an (RS0014829 [T4]; 7 Ob 70/12p).
[12] 3. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag nicht zu Recht bestehe, weil der Kläger arglistig einen Gefahr erhöhenden Umstand nicht angegeben habe, hält sich im Rahmen der Judikatur. Es steht nämlich fest, dass der Kläger die Fragen zu seinem früheren Drogenkonsum und der psychischen Erkrankung deshalb unrichtig beantwortete, weil ihm bewusst war, dass die wahrheitsgemäße Beantwortung Einfluss auf den Abschluss des Versicherungsvertrags haben kann. Er unterließ also bewusst jeden Hinweis auf früheren Drogenkonsum und die psychische Krankheit, damit der Versicherer den Versicherungsantrag nicht ablehnt oder nur unter erschwerten Bedingungen annimmt. Er verschwieg damit einen Gefahr erhöhenden Umstand, von dem er wusste, dass er Einfluss auf die Entscheidung des Versicherers, den Versicherungsantrag in dieser Form anzunehmen, haben würde. Somit liegt der von der Revision behauptete sekundäre Feststellungsmangel nicht vor.
[13] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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