OGH 15Os130/23s

OGH15Os130/23s14.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Mag. Sekljic als Schriftführerin in der Strafsache gegen M* D* und R* D* wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 5. September 2023, GZ 52 Hv 65/23k‑94.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00130.23S.1214.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Schlepperei/FPG

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden M* D* der „Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3 und Abs 4 erster Fall FPG“ (I und II) sowie R* D* der „Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Z 3 und Abs 4 erster Fall FPG“ (I und III) schuldig erkannt.

[2] Danach haben M* D* und R* D* die rechtswidrige Einreise von Fremden, nämlich asylsuchenden Drittstaatsangehörigen ohne gültige Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis für die Europäische Union, in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

I. im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 [erster Fall] StGB) am 16. März 2023, indem sie 30 Fremde versteckt in einem von ihnen gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger in einer rund 24‑stündigen Fahrt ohne Pause, ohne Toilettenmöglichkeiten, ohne Nahrung, ohne ausreichend Frischluft und zusammengepfercht zwischen dem Ladegut von Rumänien nach Österreich, H*, beförderten;

II. M* D*

1. am 21. Februar 2023, indem er sieben Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn bis nach Österreich, D*, beförderte;

2. am 11. November 2022 im Zusammenwirken mit einem bislang unbekannten Täter, indem er 31 Fremde versteckt in einem von ihnen gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn nach Österreich, M*, beförderte;

3. am 2. Dezember 2022, indem er zwölf Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn und Österreich nach Deutschland beförderte;

III. R* D* am 24. Jänner 2023, indem er 14 Fremde versteckt in einem von ihm gelenkten Sattelzugfahrzeug samt Sattelanhänger von Rumänien über Ungarn bis nach Österreich, L*, beförderte;

wobei sie die Taten nach § 114 Abs 1 FPG jeweils als Mitglied einer – aus ihnen beiden sowie weiteren unbekannten Tätern bestehenden – kriminellen Vereinigung, in Bezug auf jeweils mindestens drei Fremde, zu Punkt I. auf eine Art und Weise, durch die die Fremden, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, und M* D* überdies „gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB)“ begingen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die gemeinsam und inhaltsgleich ausgeführten, nominell auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die jedoch nicht berechtigt sind.

[4] Inhaltlich wird geltend gemacht, dass die getroffenen Feststellungen die Annahme der Tatbegehung jeweils als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG) nicht tragen würden (der Sache nach ausschließlich Z 10; RIS‑Justiz RS0117437).

[5] Die Tatrichter trafen Feststellungen zu den Merkmalen einer kriminellen Vereinigung, insbesondere zur Anzahl („mehr als zwei“) der den gewillkürten Zusammenschluss bildenden Personen, zur zeitlichen Komponente („auf eine längere Zeit von zumindest mehreren Monaten“) und zur kriminellen Zielsetzung dieses Zusammenschlusses (Schleppung möglichst vieler Fremder ohne gültige Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis für die Europäische Union von Rumänien über Ungarn in Richtung Österreich und Deutschland gegen ein adäquate Fuhrlöhne übersteigendes Entgelt von mehreren Tausend Euro pro Person). Ebenso wurde festgestellt, dass die Rechtsmittelwerber sich diesem Zusammenschluss angeschlossen und die urteilsgegenständlichen Schleppungen als dessen Mitglieder durchgeführt hatten (US 4 ff).

[6] Die Beschwerdeführer behaupten unter Bezugnahme auf ein Urteil eines anderen Gerichts in einem anderen Verfahren, dass diese Feststellungsbasis nicht genügen würde. Warum es zusätzlicher Feststellungen bedürfte, aus wie vielen weiteren Personen die kriminelle Vereinigung bestanden habe, oder welche konkreten Konstatierungen sonst in den Entscheidungsgründen für die Bejahung der Qualifikation nach § 114 Abs 4 erster Fall FPG fehlen sollten, wird allerdings nicht dargetan. Damit gelangen die Subsumtionsrügen – einer inhaltlichen Erwiderung entgegenstehend – nicht prozessförmig zur Ausführung (RIS‑Justiz RS0118342).

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[8] Bleibt – auch mit Blick auf die Stellungnahme der Generalprokuratur – Folgendes anzumerken:

[9] Gewerbsmäßige Begehung nach § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB – wie laut dem Referat entscheidender Tatsachen bei M* D* angenommen (US 2) – kann zwar erst ab der dritten Tat vorliegen (RIS‑Justiz RS0130966 [T3]). Allerdings transportierte dieser Beschwerdeführer nach den für die Subsumtion maßgebenden Entscheidungsgründen (RIS‑Justiz RS0099810 [T24, T28]) die Fremden auch bei den ersten beiden Taten (II.2 und II.3) verborgen in einem Sattelfahrzeug samt Sattelanhänger (US 4 f, 7, 9). Nach den dazu getroffenen Feststellungen beging er diese Taten also unter Einsatz eines nicht für den Personentransport vorgesehenen, sondern einen solchen situationsbezogen verdeckenden Fahrzeugs, somit eines besonderen, wiederkehrende Begehung nahelegenden Mittels im Sinn des § 70 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB (vgl 12 Os 50/18x; RIS‑Justiz RS0132006; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 114 FPG Rz 4; zur Gleichwertigkeit der in § 70 Abs 1 Z 1 und Z 3 StGB genannten Fälle vgl 14 Os 143/22v [Rz 13]).

[10] Aufgrund der Feststellungen des Schöffengerichts zu den auch bei diesen Taten vorliegenden subjektiven Merkmalen gewerbsmäßiger Tatbegehung (US 6) ist ein M* D* betreffender Subsumtionsfehler in Ansehung der Gewerbsmäßigkeitsqualifikation nach § 114 Abs 3 Z 1 FPG nicht auszumachen.

[11] Zutreffend ist, dass hinsichtlich beider Rechtsmittelwerber die Feststellungen zu den Transportbedingungen (US 5) nur zu I die Subsumtion auch nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG (Versetzung des oder der Geschleppten in einen qualvollen Zustand) tragen (vgl 12 Os 56/18d).

[12] Solcherart hat M* D* (nicht die, sondern) das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1, Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG (I) und die Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (II) verwirklicht.

[13] R* D*, bei dem die Tatrichter gewerbsmäßige Tatbegehung nicht annahmen (US 12), hat demnach das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und Z 3, Abs 4 erster Fall FPG (I) und das Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (III) verwirklicht.

[14] Dieser in der unterbliebenen Unterscheidung der jeweils verwirklichten (Qualifikations-)Tatbestände zu erblickende Subsumtionsfehler bewirkte jedoch keine darüber hinausgehenden konkreten Nachteile, insbesondere bei der Strafbemessung (US 11 f), für die Angeklagten im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO. Aufgrund dieser Klarstellung besteht bei der Entscheidung über die Berufung keine Bindung an die fehlerhafte Subsumtion (RIS‑Justiz RS0118870).

[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte