OGH 10ObS110/23h

OGH10ObS110/23h21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba und David Hobel, LL.M. (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, geboren * 1956, *, vertreten durch Mag. Franz Eckl, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Alterspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Juli 2023, GZ 10 Rs 58/23 g‑26.2, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 19. Jänner 2023, GZ 7 Cgs 43/22i‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00110.23H.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Dem * 1956 geborenen Kläger wurde mit Bescheid der (damaligen) Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 20. November 2007 ab 1. Jänner 2007 eine Erwerbsunfähigkeitspension zuerkannt, die er in Folge tatsächlich ausgezahlt erhielt. Dennoch war der Kläger weiterhin berufstätig und erwarb bis zum Stichtag 1. Oktober 2021 weitere (richtig) 165 Beitragsmonate zur Pensionsversicherung.

[2] Die Gesamtkontogutschrift des Klägers am Stichtag 1. Oktober 2021 betrug 28.853,60 EUR, davon 19.438,86 EUR als Kontoerstgutschrift und 9.414,74 EUR als Kontogutschrift seit 1. Jänner 2014. Zum Stichtag bezog der Kläger eine um 13,8 % verminderte Erwerbsunfähigkeitspension.

[3] Mit Erreichen des Regelpensionsalters stellte er den Antrag auf Umwandlung dieser Erwerbsunfähigkeitspension in eine Alterspension.

[4] Mit Bescheid vom 11. Februar 2022 erkannte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen die Erwerbsunfähigkeitspension als Alterspension ab 1. Oktober 2021 an und sprach aus, dass die Pension ab 1. Oktober 2021 monatlich 1.776,56 EUR und ab 1. Jänner 2022 monatlich 1.808,54 EUR betrage, dies unter Berücksichtigung des Abschlags von 13,8 %.

[5] Der Kläger begehrt die Zahlung einer Erwerbsunfähigkeitspension als Alterspension ab 1. Oktober 2021 im gesetzlichen Ausmaß ohne Abschlag, somit von monatlich zumindest 1.976,56 EUR und ab 1. Jänner 2022 von monatlich zumindest 2.008,54 EUR. Der vorgenommene Abschlag von 13,8 % sei nicht gerechtfertigt, ungesetzlich und gleichheitswidrig. Der Kläger sei auch nach Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension in Vollzeit berufstätig gewesen. Deshalb sei ihm die Erwerbsunfähigkeitspension auch nur vermindert zur Auszahlung gebracht worden. Der Kläger habe zahlreiche zusätzliche Pensionszeiten bei der Pensionsversicherung erworben. Der Kläger sei insofern schlechter gestellt, als er trotz massiver gesundheitlicher Einschränkungen, die zur Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension geführt hätten, weiterhin über nahezu 15 Jahre gearbeitet und Pensionsbeiträge geleistet habe. Ohne Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension ergäbe sich, insbesondere im Hinblick auf die zusätzlich erworbenen Pensionszeiten und damit einhergehend geleisteten Beiträgen, nunmehr eine deutlich höhere Pension. Der beim Kläger vorgenommene Abschlag sei auch gleichheitswidrig, zumal einem Versicherten mit denselben Pensionszeiten, wie sie beim Kläger vorlägen, insbesondere denselben Beitragszeiten und derselben Beitragshöhe, eine höhere Pension zur Auszahlung komme, als dies beim Kläger nunmehr der Fall sei.

[6] Die Beklagte bestritt, sie habe die Pensionshöhe richtig berechnet. Werde eine Leistung vor dem Monatsersten nach Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch genommen, sei die Leistung zu vermindern, wobei die Verminderung mit einem Höchstausmaß von 13,8 % der Leistung begrenzt sei. Bestehe bei Eintritt eines Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit oder des Alters ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pension aus eigener Pensionsversicherung, so gelte die Verminderung für diese Pension auch für die hinzutretende Leistung. Da der Kläger bei Antritt der Alterspension bereits eine verminderte Erwerbsunfähigkeitspension bezogen habe, sei auch erstere um den entsprechenden Betrag zu vermindern. Das sei nicht gleichheitswidrig, weil die Regelung beabsichtige, den wesentlich längeren Leistungsbezug des Klägers auszugleichen. Bei Nichtberücksichtigung des Abschlags würde er im Vergleich zu versicherten Personen, die eine Leistung erstmals zum Regelpensionsalter in Anspruch nähmen, günstiger gestellt.

[7] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung einer monatlichen Alterspension ab 1. Oktober 2021 von 1.776,56 EUR und ab 1. Jänner 2022 von 1.808,54 EUR. Das auf Zahlung einer höheren Alterspension gerichtete Mehrbegehren wies es ab. Der dem Kläger in der Erwerbsunfähigkeitspension auferlegte Abschlag von 13,8 % sei auch bei der Berechnung der Höhe seiner Alterspension heranzuziehen. Daran änderten auch die während des Bezugs der Erwerbsunfähigkeitspension erworbenen (richtig) 165 Beitragsmonate nichts, zumal Hintergrund der Abschläge letztlich versicherungsmathematische Erwägungen seien und der vorgesehene Abschlag die Verlängerung der Bezugsdauer der Pension ausgleichen solle. Davon ausgehend habe die Beklagte die Pensionshöhe richtig berechnet.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung, dass ein in der Höhe der bescheidmäßig zuerkannten Direktpension, die bei Eintritt eines neuen Versicherungsfalls tatsächlich in Anspruch genommen werde, berücksichtigter Abschlag bei der Berechnung der Pensionsleistung aus dem neuen Versicherungsfall zur Anwendung komme. Mit der Regelung des § 5 Abs 2 APG solle der Vorteil, den eine versicherte Person durch den früheren Pensionsantritt und damit längeren Leistungsbezug habe, unter Heranziehung versicherungsmathematischer Prinzipien ausgeglichen werden. Der Vorteil bestehe darin, dass durch das Vorziehen von Pensionsleistungen im Durchschnitt mehr Pensionsbezüge und damit eine höhere Pensionsgesamtsumme aus dem System lukriert werden könne. Die Argumentation des Klägers, er werde insgesamt weniger Pension ausbezahlt erhalten, als wenn er die Erwerbsunfähigkeitspension gar nicht zuerkannt bekommen hätte, treffe nicht zu. Im Übrigen habe auch der Verfassungsgerichtshof eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes mit dem Hinweis darauf verneint, das Modell der Leistungsgerechtigkeit beinhalte, dass jener, der die Pension vor Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch nehme, mit versicherungsmathematisch berechneten Abschlägen rechnen müsse, weil nur diese Berechnungsweise sicherstelle, dass sich die Gesamtaufwendungen der Pensionsversicherung nicht veränderten, gleichgültig ob die Versicherten früher oder später in Pension gingen. Auch dass der Kläger während des Bezugs der Erwerbsunfähigkeitspension weiter gearbeitet und Versicherungsmonate erworben habe, vermöge eine solche Gleichheitswidrigkeit nicht aufzuzeigen. Die Einkünfte aus dieser Zeit führten tatsächlich zu einer höheren Alterspension des Klägers, weil sie in die Bemessungsgrundlage für die Kontogutschrift eingeflossen seien. Die auf Basis dieser Bemessungsgrundlage ermittelte Gesamtkontogutschrift sei um den Abschlag von 13,8 % gekürzt worden, die Kürzung umfasse somit die vor und nach Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension erworbenen Beitragsmonate gleichermaßen. Im Übrigen hätten Geldleistungen der Sozialversicherung primär die Aufgabe, das durch den Eintritt des Versicherungsfalls weggefallene Erwerbseinkommen zu ersetzen, nicht jedoch, ein über das bisherige Erwerbseinkommen hinausgehendes Gesamteinkommen zu ermöglichen, indem eine Leistung der Sozialversicherung ungeschmälert neben einem oder mehreren Erwerbseinkommen bezogen werden könne.

[9] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn einer Stattgabe des Klagebegehrens anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[12] 1. Der Kläger wendet sich in der Revision gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass bei der Berechnung der Alterspension der bei der Erwerbsunfähigkeitspension auferlegte Abschlag von 13,8 % zur Gänze bei der Berechnung der Alterspension zu berücksichtigen sei. Dies bedeute im Ergebnis, dass der Abschlag sowohl die vor als auch die nach Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension erworbenen Beitragsmonate erfasse. Der Vorteil des Erhalts der früheren Erwerbsunfähigkeitspension werde bereits dadurch ausgeglichen, dass ein Abschlag hinsichtlich des Teils der Bemessungsgrundlage erfolge, der sich aus den vor Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitspension erworbenen Beitragsmonaten ergebe.

Dazu wurde erwogen:

[13] 2.1. Auf den Pensionsanspruch des Klägers ist unstrittig das Allgemeine Pensionsgesetz (APG) anzuwenden (vgl § 1 Abs 1 und 3 APG), das teilweise wiederum auf die Bestimmungen des ASVG, GSVG, FSVG und BSVG verweist (§ 1 Abs 2 APG).

[14] Für Personen (wie den Kläger), die nach dem 31. Dezember 1954 geboren sind und bis zum Ablauf des 31. Dezember 2004 mindestens einen Versicherungsmonat nach dem ASVG, GSVG, FSVG oder BSVG erworben haben, gelten für die Ermittlung der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters auch die Bestimmungen des ASVG, GSVG, FSVG und BSVG, sofern dies für die versicherte Person günstiger ist (§ 16 Abs 3 APG). Dieser Günstigkeitsvergleich gilt aber nur für die – hier nicht strittige – Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und nicht für die Berechnung der Pension; infolge der Kontoerstgutschrift wird auch im Falle der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem „Altrecht“ die Pensionsberechnung allein nach den Bestimmungen für das Pensionskonto vorgenommen (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 16 APG Rz 5 [Stand 1. 12. 2021, rdb.at]). Der gegenständliche Pensionsanspruch berechnet sich daher im vorliegenden Fall grundsätzlich nach den Bestimmungen des APG und, soweit darin nichts anderes bestimmt (§ 1 Abs 2 APG) oder nicht ohnehin darauf verwiesen wird (vgl etwa § 15 APG), nach den Bestimmungen des ASVG, GSVG, FSVG oder BSVG.

[15] 2.2. Das Ausmaß der Alterspension wird in § 5 APG geregelt, wonach sich das Ausmaß der monatlichen Bruttoleistung – unbeschadet eines besonderen Steigerungsbetrags nach den § 248 Abs 1 ASVG, § 141 Abs 1 GSVG und § 132 Abs 1 BSVG – aus der bis zum Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) ermittelten Gesamtgutschrift (§ 11 Z 5) geteilt durch 14 ergibt (§ 5 Abs 1 APG).

[16] Bei einem Pensionsantritt vor dem Monatsersten nach der Erreichung des Regelpensionsalters vermindert sich der nach § 5 Abs 1 APG ermittelte Wert gemäß § 5 Abs 2 APG um einen von der Dauer des im Vergleich zum Regelpensionsalter früheren Pensionsantritts und der Art der Alterspension abhängigen Abschlag (im Fall des Klägers: 0,35 % pro Monat).

[17] Besteht bei Eintritt des Versicherungsfalls ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine Pensionsleistung aus eigener Pensionsversicherung, so gilt die Verminderung nach § 5 Abs 2 APG für diese Pensionsleistung auch für die hinzutretende Leistung (§ 5 Abs 3 APG).

[18] 2.3. Der Kläger tritt die Alterspension nach Erreichung des Regelpensionsalters an, sodass kein Abschlag nach § 5 Abs 2 APG zu berechnen ist. Er hatte aber beim Eintritt des Versicherungsfalls unstrittig einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine Pensionsleistung aus eigener Pensionsversicherung, weil er seit 1. Jänner 2007 eine Erwerbsunfähigkeitspension bezog. Eine dafür herangezogene Verminderung gilt nach § 5 Abs 3 APG somit auch für die nunmehr hinzutretende Leistung (die Alterspension ab 1. Oktober 2021).

[19] Für die Erwerbsunfähigkeitspension war der Stichtag 1. Jänner 2007 maßgeblich. Nach dem damals in Geltung stehenden § 5 APG idF BGBl I 2006/130, wonach sich das Ausmaß der Erwerbsunfähigkeitspension des Klägers bestimmte (§ 6 Abs 1 und 2 APG idF BGBl I 2004/142), war die Erwerbsunfähigkeitspension um 0,35 % pro Monat zu vermindern (§ 5 Abs 2 APG idF BGBl I 2006/130). Diese Verminderung durfte aber 15 % nicht überschreiten (§ 5 Abs 3 APG idF BGBl I 2006/130; die Begrenzung der Abschlagshöhe mit 13,8 % der Leistung wurde [erst] mit der 7. Novelle zum APG eingeführt [Art 118 Z 1 BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111]).

[20] 3. Der Kläger bestreitet nicht (mehr), dass für die Alterspension ein Abschlag beizubehalten ist. Er wendet sich lediglich gegen die Verminderung der Alterspension, soweit diese auf Beitragsmonate nach Inanspruchnahme der Erwerbsunfähigkeitspension zurückgeht.

[21] 3.1. Mit dem Abschlag nach § 5 Abs 2 APG soll der Vorteil, den eine versicherte Person durch den früheren Pensionsantritt und damit längeren Leistungsbezug hat, unter Heranziehung versicherungsmathematischer Prinzipien ausgeglichen werden. Der Vorteil besteht darin, dass durch das Vorziehen von Pensionsleistungen im Durchschnitt mehr Pensionsbezüge und damit eine höhere Pensions-Gesamtsumme aus dem System lukriert werden kann (10 ObS 4/17m ErwGr 5.2.; Pinggera/Pöltner/Stefanits, Das neue Pensionsrecht [2005] Rz 155; Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 5 APG Rz 28 [Stand 1. 7. 2022, rdb.at]). Andererseits sollen Personen, die ihre Pension erst zum Regelpensionsalter oder später in Anspruch nehmen, nicht gegenüber jenen, die vorzeitig in Pension gehen, durch eine geringere Pensions-Gesamtsumme benachteiligt werden (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 5 APG Rz 28 [Stand 1. 7. 2022, rdb.at]). Im Ergebnis soll der frühere Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Pension also (außerhalb – hier nicht relevanter – privilegierender Regelungen wie bei Korridor‑ oder Schwerarbeitspension) auf die Summe der Pensionsleistungen möglichst wenig Einfluss haben.

[22] 3.2. Die Regelung des § 5 Abs 3 APG über die Beibehaltung des bisherigen Abschlags geht auf § 261 Abs 7 ASVG idF ASRÄG 1997, BGBl I 1997/139, zurück, der mit dem 2. SVÄG 2003, BGBl I 2003/145, umformuliert wurde, womit nach den Materialien (ErläutRV 310 BlgNR 22. GP  18) klarer zum Ausdruck kommen sollte, dass der Abschlag bei Inanspruchnahme einer Pensionsleistung vor dem Regelpensionsalter auch für eine spätere Invaliditäts‑(Berufsunfähigkeits‑)pension oder eine Erwerbsunfähigkeitspension bzw für eine Alterspension heranzuziehen ist (vorausgesetzt, die vorangehende Leistung gebührt noch bei Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalls).

[23] Bei einem Übergang in eine normale Alterspension ist diese Leistung daher grundsätzlich neu festzustellen (Neumann/Seidenberger, Die Abschläge im österreichischen Pensionsrecht, ASoK 2011, 97 [105]), aber der einmal zur Anwendung gelangte Abschlag anzuwenden (Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 5 APG Rz 82 [Stand 1. 7. 2022, rdb.at]).

[24] Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass trotz eines bescheidmäßig zuerkannten Anspruchs auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit die Verminderung nach § 261 Abs 4 ASVG nicht eintritt, wenn die Leistung vom Versicherten tatsächlich nicht in Anspruch genommen wurde. Die Abschlagsregelung ist somit nicht anzuwenden, wenn die Versicherte erstmals mit Eintritt des Regelpensionsalters eine Pensionsleistung tatsächlich in Anspruch nimmt und damit eine Verlängerung der Bezugsdauer der Pension, welche durch die Anwendung der Abschlagsregelung ausgeglichen werden soll, tatsächlich gar nicht vorliegt (10 ObS 184/08v [ErwGr 5.] SSV‑NF 23/8). In der Folge wurde entschieden, dass § 5 Abs 3 APG nicht anders als § 261 Abs 7 ASVG idF 2. SVRÄG 2003 auszulegen ist (10 ObS 4/17m [ErwGr 7.4.] SSV‑NF 31/18); enthält daher eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit keine Verminderung der Pensionsleistung, dann vermindert sich auch die daran anschließende, nach Erreichung des Regelpensionsalters in Anspruch genommene Alterspension nicht (RIS‑Justiz RS0131333).

[25] 3.3. Mit der Beibehaltung des für die bisherige Leistung geltenden Abschlags auch für die nunmehrige Leistung führt § 5 Abs 3 APG erkennbar den Zweck des § 5 Abs 2 APG fort, indem auch die Neuberechnung der Pensionsleistung nicht zu einer Erhöhung der Summe der Pensionsleistungen führt, die § 5 Abs 2 APG verhindern wollte. Würde der bisherige Abschlag nicht beibehalten, würde dies der Intention dieses Abschlags zuwider laufen, dass der frühere Zeitpunkt des Pensionsantritts möglichst wenig Einfluss auf die Summe der Pensionsleistungen haben soll.

[26] 3.4. Dieser Zweck des § 5 Abs 3 APG steht dem von den Vorinstanzen vertretenen Auslegungsergebnis entgegen, wonach der Abschlag auch für den Teil der bis zum Stichtag ermittelten Gesamtgutschrift beizubehalten sei, dem Beitragszeiten zugrunde liegen, die nach der Inanspruchnahme der Erwerbsunfähigkeitspension liegen. Solche Beitragszeiten beeinflussten die Erwerbsunfähigkeitspension des Klägers weder dem Grunde noch der Höhe nach. Die Absicht des Gesetzgebers zu verhindern, dass die Summe der dem Kläger zustehenden Gesamtpensionsleistungen durch das Vorziehen des Pensionsantritts möglichst nicht erhöht wird, kann nur für jene Pensionsleistungen gelten, die „vorgezogen“ werden, weil nur insofern eine Verlängerung der Bezugsdauer (und damit eine Erhöhung der Summe aller Pensionsleistungen) eintritt. Nach dem Zeitpunkt des „vorgezogenen“ Bezugs einer Pensionsleistung erworbene Beitragszeiten werden aber erst später (im Fall des Klägers: bei Inanspruchnahme der Alterspension) leistungswirksam, sodass in diesem Umfang die Gefahr einer Verlängerung der Bezugsdauer durch einen früheren Pensionsantritt nicht besteht. Nur dieser Gefahr wollen die Bestimmungen des § 5 Abs 2 und 3 APG aber entgegen wirken.

[27] Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass der Bezug eines Erwerbseinkommens dazu führen kann, dass sich der Anspruch auf Pension aus geminderter Arbeitsfähigkeit in einen Anspruch auf Teilpension wandelt (vgl § 254 Abs 6 ASVG für die Invaliditätspension, § 271 Abs 3 iVm § 254 Abs 6 ASVG für die Berufsunfähigkeitspension und § 132 Abs 5 GSVG für die Erwerbsunfähigkeitspension). Nach Antritt einer Erwerbsunfähigkeitspension erworbene Beitragsmonate führen daher nicht nur nicht zu einer Erhöhung der laufenden Pensionsleistung, sondern gegebenenfalls sogar zu ihrer Verringerung. Im Fall des Klägers ist auch unstrittig, dass ihm aufgrund der Ausübung seiner Erwerbstätigkeit nach § 132 Abs 6 GSVG lediglich eine 50%ige Teilpension gebührte (./13). Würden auch die auf diese Erwerbstätigkeit zurückgehenden Pensionsleistungen wegen der Inanspruchnahme der Erwerbsunfähigkeitspension um einen Abschlag vermindert, würde diese Erwerbstätigkeit doppelt zum Nachteil des Klägers (und der Summe aller ihm zukommenden Pensionsleistungen) berücksichtigt, einmal durch Verringerung der Bezüge aus der Erwerbsunfähigkeitspension und ein weiteres Mal durch den Abschlag von der Alterspension. Ein nachvollziehbarer Grund dafür ist nicht ersichtlich.

[28] 4. Es sind daher die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs 3 APG gegeben:

[29] Bei der teleologischen Reduktion wird ein vom Gesetzgeber zu weit gefasstes Gesetz eingeschränkt (RS0008979); eine Rechtsnorm wird dabei auf einen bestimmten Fall nicht angewendet, auf den sie nach ihrem Wortlaut innerhalb ihres Begriffskerns anzuwenden wäre (G. Kodek in Rummel/Lukas 4 § 7 ABGB Rz 60). Vorausgesetzt ist stets der Nachweis, dass eine umschreibbare Fallgruppe von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht getroffen wird und dass sie sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen soweit unterscheidet, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RS0008979; RS0106113).

[30] Der Zweck der Beibehaltung des für die bisherige Leistung geltenden Abschlags rechtfertigt die vom Wortlaut des § 5 Abs 3 APG erfasste Rechtsfolge hinsichtlich solcher Pensionsleistungen, die auf nach der Inanspruchnahme der bisherigen Leistung erworbene Beitragsmonate zurückgehen, nicht, weil solche Beitragsmonate erst später leistungswirksam werden. Es bestehen auch sonst keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber den Fall des Erwerbs weiterer Beitragszeiten nach Inanspruchnahme der Pensionsleistung bedachte und diesen Abschlag auch in Bezug auf solche Pensionsleistungen vorsehen wollte.

[31] 5.1. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen ist die Verminderung nach § 5 Abs 2 APG für einen zuerkannten Pensionsbezug für die hinzutretende Leistung nach § 5 Abs 3 APG nur insofern heranzuziehen, als diesen Leistungen dieselben Beitragszeiten zugrunde liegen. Pensionsleistungen, denen nach der Inanspruchnahme des bisherigen Pensionsanspruchs erworbene und für diesen nicht leistungswirksam gewordene Beitragszeiten zugrunde liegen, sind folglich ohne einen Abschlag nach § 5 Abs 3 APG zu ermitteln. Die vom Kläger begehrten ergänzenden Feststellungen, welcher Teil der bis zum Stichtag (1. Oktober 2021) ermittelten Gesamtkontogutschrift auf die nach dem 1. Jänner 2007 erworbenen Beitragsmonate zurückzuführen ist, betreffen somit entscheidungswesentliche Tatsachen, sodass die Entscheidungen der Vorinstanzen infolge sekundärer Feststellungsmängel aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.

[32] 5.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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