OGH 24Ds9/23t

OGH24Ds9/23t3.11.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 3. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann als weitere Richterin und die Rechtsanwälte Dr. Wachter und Dr. Konzett als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats vom 3. Mai 2023, AZ D 150/22, D 45/23, D 46/23 und D 47/23, in nichtöffentlicher Sitzung (§ 62 Abs 1 OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00009.23T.1103.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

[1] Mit Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 3. Mai 2023 zu AZ D 150/22, D 45/23, D 46/23 und D 47/23 wurde über * gemäß § 19 Abs 1a DSt die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verhängt (ON 26 in AZ D 150/22). Diese Maßnahme wurde mit „Berichtigungsbeschluss“ vom 8. Mai 2023 aufrechterhalten (ON 28 in AZ D 150/22).

[2] Folgender Verdacht liegt dem Beschluss des Disziplinarrats – zusammengefasst – zugrunde:

[3] 1./ Rechtsanwalt * habe laut Anzeige der Raiffeisenbank W* eGen (kurz: Raiffeisenbank W*) im Zusammenhang mit einem von ihm errichteten und als Treuhänder abgewickelten Liegenschaftskaufvertrag den von der Raiffeisenbank W* für deren Kreditnehmerin V* GmbH (kurz: V*) treuhändig überwiesenen Betrag von 2.050.000 Euro an die Verkäuferin L* GmbH (kurz: L*) ausbezahlt, obwohl die Auszahlungsbedingungen gemäß Treuhandauftrag der Raiffeisenbank W* vom 28. September 2021, nämlich die (Sicherstellung der) Einverleibung von Eigentum für die Käuferin und auf deren Anteilen die Verbücherung eines Pfandrechts im ersten Rang für die Kreditgeberin, nicht erfüllt gewesen seien (KA 94/23 in AZ D 46/23).

[4] Aus dem zum elektronischen Treuhandbuch der Rechtsanwaltskammer Wien (kurz: eATHB) vorgelegten – dem BTVG unterliegenden – Kaufvertrag (vgl KA 94/23 in AZ D 46/23) ergebe sich, dass die L* der V* Miteigentumsanteile an der Liegenschaft *, verbunden mit dem (zukünftigen) Wohnungseigentum an den zwei Wohneinheiten Top 3B und 3C um einen Kaufpreis von 2.603.664 Euro veräußert habe. 553.664 Euro seien bereits vor Unterfertigung des Vertrags direkt an die Verkäuferin zu bezahlen gewesen; der Rest von 2.050.000 Euro sei binnen drei Wochen nach Unterfertigung des Kaufvertrags durch Erlag auf das Treuhandkonto des einvernehmlich von beiden Vertragsparteien zum Treuhänder bestellten Disziplinarbeschuldigten zu begleichen gewesen. Eine Auszahlung an die Verkäuferin nach einem § 10 Abs 2 Z 2 BTVG entsprechenden Ratenplan (nach Baufortschritt, bestätigt von einem Prüfer) sei ausbedungen worden.

[5] Im Zuge der Untersuchungen habe sich * auf eine von DI * P* ausgestellte Baufortschrittsbestätigung berufen, die aber in Teilen „erkennbar falsch“ sei (vgl ON 5, 6, 7 in AZ D 46/23).

Rechtliche Beurteilung

[6] Darüber hinaus ergebe sich aufgrund der Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten samt den vorgelegten Urkunden, dass die Vertragsparteien des Grundgeschäfts (L* und V*) am 5. Oktober 2021 einen „erkennbar vom Disziplinarbeschuldigten errichteten“, nicht aber dem eATHB vorgelegten – „Nachtrag“ zum Kaufvertrag unterfertigt hätten (ON 5 und 7 in AZ D 46/23); demnach solle „im Hinblick auf die grundbücherliche Sicherstellung“ das BTVG – das in seinem § 9 Abs 2 die Anmerkung der Einräumung von Wohnungseigentum für den Erwerber nach § 40 Abs 2 leg cit vorsieht – nicht zur Anwendung gelangen, sondern eine solche vielmehr durch eine „Rangordnung der beabsichtigen Veräußerung“ erfolgen. Der Verkäuferin (L*) stehe auch die vereinbarte „Anzahlung“ nicht „zur Verfügung“, weil die Käuferin (V*) sie nicht bezahlt habe. Ein neuer Ratenplan „lt BTVG“ – beinhaltend nunmehr auch den nicht vorweg entrichteten Betrag der Anzahlung – sei vereinbart und der Disziplinarbeschuldigte angesichts der zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegende Baufortschritts-bestätigung des Ziviltechnikers mit der Auszahlung – dem Baufortschritt entsprechend in Höhe von 1.874.638,08 Euro – beauftragt worden. Darüber hinaus habe der Nachtrag die Vereinbarung enthalten, dass der Rest des Erlags (175.361,32 Euro) für vorgeblich „bevorschusste Grunderwerbsteuer und Eintragungsgebühr sowie anteilig für bereits jetzt feststehende Sonderwünsche“ fällig sei, sodass der Disziplinarbeschuldigte (am 5. Oktober 2020 und am 29. Oktober 2020) den gesamten treuhändig erlegten Betrag von 2.050.000 Euro der Verkäuferin (L*) ausgezahlt habe.

[7] Zwischenzeitlich habe die L* die Verwertung des Projekts „*“ der Sch* Rechtsanwälte GmbH übertragen. Mit Hilfe dieser seien – laut Grundbuch – die hier in Rede stehenden Miteigentumsanteile samt (zu begründendem) Wohnungseigentum Mag. * S* und der B* GmbH verkauft worden; für diese sei eine Anmerkung nach § 40 Abs 2 WEG vorgenommen worden (ON 3 in AZ D 46/23).

[8] Die Auszahlung des bei Rechtsanwalt * treuhändig erliegenden Kaufpreises an die L* sei erfolgt, obwohl zum Zeitpunkt deren Durchführung keine Anmerkung gemäß § 40 Abs 2 WEG zugunsten der Käuferin (V*) im Grundbuch eingetragen gewesen sei. Aus der Vorgehensweise des Disziplinarbeschuldigten resultiere die Unmöglichkeit der Erfüllung der gegenüber der V* und – insbesondere – der Raiffeisenbank W* eingegangenen treuhändigen Verpflichtungen; die Kaufvertragsurkunde vom 24./25. August 2021 habe zu keiner Verbücherung oder Anzeige beim Finanzamt geführt.

[9] Bemühungen des Disziplinarbeschuldigten zur Lastenfreistellung der Liegenschaft * (vorrangig sei das Pfandrecht der den Ankauf der Liegenschaft für die L* finanzierenden St* AG mit einem Höchstbetrag von insgesamt 39.350.000 Euro einverleibt) seien (zunächst) „aus dem Akt“ nicht ersichtlich gewesen.

[10] Mit „Berichtigungsbeschluss“ vom 8. Mai 2023 „ergänzte“ der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien unter Aufrechterhaltung der vorläufigen Maßnahme, er habe die Löschungserklärung in Ansehung des im ersten Rang zugunsten der St* AG einverleibten Pfandrechts betreffend das Projekt „*“ in einem vom Disziplinarbeschuldigten vorgelegten Konvolut „gefunden“.

[11] Es bestehe weiterhin der Verdacht, die vorliegende Vertragsgestaltung habe – unter Mitwirkung des Disziplinarbeschuldigten – dazu gedient, der L* liquide Mittel zu verschaffen, die dann beim „Weiterverkauf der Objekte“ zurückgeführt werden sollten; die L* (und nicht die Kreditnehmerin V*) habe nämlich im April 2023 600.000 Euro des bei der Raiffeisenbank W* (weiterhin) aushaftenden Kredits der V* getilgt.

[12] 2./ Auch die Raiffeisenkasse O* eGen (kurz: Raiffeisenkasse O*) habe bei der Rechtsanwaltskammer Wien zur Anzeige gebracht (AZ D 47/23), dass der Disziplinarbeschuldigte eine Treuhandschaft vereinbarungs- und gesetzwidrig abgewickelt habe:

[13] Die L* habe (erneut) mit Kaufvertrag vom 24./25. August 2021 der V* Miteigentumsanteile an der Liegenschaft in *, verbunden mit dem (zukünftigen) Wohnungseigentum an der Wohneinheit Top 2B für einen Kaufpreis von 1.205.740,30 Euro veräußert. 255.740,30 Euro seien bereits vor Unterfertigung des Vertrags zu bezahlen gewesen, der Rest von 950.000 Euro binnen drei Wochen nach Unterfertigung durch Erlag auf das Treuhandkonto des einvernehmlich von beiden Vertragsparteien zum Treuhänder bestellten Disziplinar-beschuldigten. Abermals sollte das BTVG zur Anwendung gelangen und die Auszahlung des Treuhanderlags an die Verkäuferin nach einem § 10 Abs 2 Z 2 BTVG entsprechenden Ratenplan erfolgen.

[14] Mit der den Kaufpreis finanzierenden Raiffeisenkasse O* sei die Einverleibung eines Höchstbetragspfandrechts über 850.000 Euro im ersten Rang auf den (zu begründenden) Miteigentumsanteilen der Käuferin vereinbart gewesen. Der Disziplinarbeschuldigte habe sich dieser gegenüber verpflichtet, den Treuhanderlag von 717.450 Euro erst nach vollständiger Erfüllung der Treuhandbedingungen, nämlich der Sicherstellung der vereinbarten Einverleibung, der Treugeberin auszuzahlen (vgl KA 95/23 in AZ D 47/23; ON 6 und 24 in AZ D 47/23).

[15] Auch hier hätten die Vertragsparteien am 29. Oktober 2021 einen – nicht dem eATHB vorgelegten – Nachtrag zum Kaufvertrag vereinbart. Ein neuer Ratenplan (unter Einrechnung der auch hier „nicht zur Verfügung“ stehenden Anzahlung) sei festgelegt, die Anwendung des BTVG abbedungen, die Auszahlung des Treuhanderlags (entsprechend dem Baufortschritt) vereinbart sowie die Differenz zwischen der erlegten und der laut Ratenplan fälligen Summe gestundet worden (ON 6 in AZ D 47/23). Am gleichen Tag habe (laut eATHB) der Disziplinarbeschuldigte den Treuhanderlag ausbezahlt. Abermals habe der Disziplinarbeschuldigte weder eine Anmerkung nach § 40 Abs 2 WEG (oder eine sonstige grundbücherliche Sicherstellung, insbesondere der treugebenden Bank) noch eine Finanzamtsanzeige veranlasst bzw vorgenommen.

[16] Auch diesbezüglich revidierte der Disziplinarrat seine anfängliche Annahme, der Disziplinarbeschuldigte habe in Bezug auf das vorrangige Pfandrecht über keine Löschungserklärung der Pfandgläubigerin der L*, nämlich der St* AG, verfügt, mit „Berichtigungsbeschluss“ vom 8. Mai 2023.

[17] Im Jahr 2022 sei – hinsichtlich der gesamten Liegenschaft „*“ im Grundbuch eine „Treuhänderrangordnung“ zugunsten der Sch* Rechtsanwälte GmbH angemerkt worden, wodurch die Liegenschaft praktisch „gesperrt“ worden sei (ON 27 in AZ D 47/23; ON 33 in AZ D 46/23). Die Raiffeisenkasse O* habe diesbezüglich den Betrag von 717.450 Euro vom Disziplinarbeschuldigten klagsweise eingefordert (ON 18 in AZ D 47/23).

[18] 3./ Zum Projekt „*“ seien im Treuhandbuch (eATHB) noch weitere „interessante Vorgänge" gefunden worden, die einer genaueren Überprüfung bedürften.

[19] 4./ Der Disziplinarbeschuldigte stehe weiters im Verdacht (AZ D 150/22), als Vertragserrichter eines (Kauf‑)Vertrags zwischen der LV* GmbH als Verkäuferin sowie * G* und * Sc* als Käufer über ein Baurecht samt „noch fertigzustellendem“ Einfamilienhaus auf einer Liegenschaft in U* die – zwingend gebotene – Anwendung des BTVG (und daraus resultierend das Erfordernis einer treuhändigen Abwicklung über das eATHB sowie die Umsetzung eines Ratenplans) auf den Vertrag unterlassen und die Erwerber auch nicht dahingehend beraten zu haben.

[20] Anstelle der Abwicklung des Geschäfts über ein Treuhandkonto (gemäß § 12 BTVG) sehe der Vertrag eine Zahlung des Entgelts nach Einverleibung des Baurechts vor (Tatsächlich hätten die Käufer eine Zahlung auf das Kanzleianderkonto des Disziplinarbeschuldigten geleistet; vgl ON 15 in AZ D 150/22).

[21] 5./ Ferner habe der Disziplinarbeschuldigte einen Kaufvertrag zwischen der ST* GmbH als Verkäuferin sowie A* und S* B* als Käufer über eine Liegenschaft samt Einfamilienhaus in S* errichtet. Der – beim eATHB gemeldete – Vertrag habe den (treuhändigen) Erlag des Kaufpreises von 306.150 Euro beim Disziplinarbeschuldigten sowie dessen Auszahlung an die Verkäuferin bei Vorliegen eines verbücherungsfähigen Kaufvertrags und bei ordnungsgemäßer Übergabe des Objekts vorgesehen.

[22] Den Kaufpreis habe der Disziplinarbeschuldigte am 18. Dezember 2019 ausbezahlt, obwohl die „ordnungsgemäße Fertigstellung“ nicht erfolgt gewesen sei; die Erwerber hätten diese erst 2023 bestätigt (AZ D 45/23).

[23] Der Disziplinarrat folgerte daraus, der Disziplinarbeschuldigte sei verdächtig, an Handlungen teilgenommen zu haben, die das „Delikt der Geldwäsche verwirklichen könnten“ bzw eine „betrügerische Vorgehensweise gegenüber Finanzierungsbanken begründen“, und er habe als Vertragserrichter und -abwickler gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen (ON 26 S 16).

[24] Gegen den Beschluss auf vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft richtet sich die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten, der keine Berechtigung zukommt.

[25] Gemäß § 19 Abs la DSt kann der Disziplinarrat gegen einen Rechtsanwalt die einstweilige Maßnahme der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft beschließen, wenn vom Ausschuss (im Wege des Kammeranwalts) unter Vorlage der betreffenden Unterlagen bestimmte Tatsachen angezeigt werden, aufgrund derer der Verdacht eines Disziplinarvergehens und die dringende Besorgnis besteht, dass die weitere Berufsausübung zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Rechtsanwalts, führen könnte.

[26] § 19 Abs la DSt verlangt nicht den Verdacht einer – unter einem verwirklichten – gerichtlich strafbaren Handlung (vgl Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 909).

[27] Die schriftlich angezeigten Tatsachen müssen die Prognose in Form der dringenden Besorgnis einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens tragen. Es liegt am Ausschuss, dem Disziplinarrat im Weg des Kammeranwalts entsprechend ausreichende Unterlagen für das Vorliegen der unmittelbar drohenden Gefahr zu liefern (EBRV 1638 BlgNR 20. GP  23). Wegen der im Interesse der Klienten gebotenen besonderen Dringlichkeit des Einschreitens des Disziplinarrats sind diese einstweiligen Maßnahmen nicht an die in § 19 Abs 1 DSt geregelten sonstigen Voraussetzungen gebunden (vgl zum Ganzen Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 19 DSt Rz 18 f mwN).

[28] Der Rechtsanwalt ist als Treuhänder zur genauen und gewissenhaften Verwaltung von Fremdgeldern sowie zur ebenso genauen und gewissenhaften Erfüllung des unbedingt schriftlichen Treuhandauftrags verpflichtet, was nicht nur den zivilrechtlichen Vorschriften über den Auftrag und die Bevollmächtigung, sondern auch den standesrechtlichen Bestimmungen gemäß §§ 9 Abs 1, 10 Abs 2, 10a RAO und den gefestigten Standesauffassungen entspricht (vgl RIS‑Justiz RS0055847, RS0115041).

[29] Bei der Abwicklung von Immobilienkauf-verträgen ist es Standard, die Transaktionen über einen Treuhänder durchzuführen. Hierbei wird der Treuhänder von sämtlichen Vertragsparteien beauftragt und bevollmächtigt, einerseits zur Sicherstellung der Interessen des Käufers, andererseits zur Sicherstellung jener des Verkäufers tätig zu werden; häufig besteht – wie hier – auch eine entsprechende Treuhandschaft gegenüber der den Ankauf finanzierenden Bank (Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10a RAO Rz 5). Bei einer mehrseitigen Treuhand hat der Treuhänder Interessen in mehrere Richtungen zu wahren; er ist zur bestmöglichen Interessenwahrung gegenüber allen Treugebern verpflichtet (vgl RIS‑Justiz RS0107334). Der Treuhänder muss sich dabei an die Vorgaben des Treuhandvertrags halten; er darf einseitigen Weisungen eines Treugebers, die gegen die Interessen des anderen Treugebers gerichtet sind, nicht nachkommen (RIS‑Justiz RS0010472, RS0010417); er darf keine Erhöhung des Risikos für einen oder mehrere Treugeber herbeiführen. Es kann ihn auch die vertragliche Nebenpflicht treffen, dem Treugeber gegebenenfalls für diesen relevante Informationen zukommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0107335 [T1], RS0112065).

[30] Sowohl die Treuhandvereinbarung mit der Raiffeisenbank W* (1./), als auch jene mit der Raiffeisenkasse O* (2./) sah – ausgehend von dem eine Abwicklung nach BTVG (vgl insb § 9 BTVG iVm §§ 37, 40 Abs 2 WEG) implizierenden Kaufvertrag – als Auszahlungsbedingung jeweils konkret die Sicherstellung der Einverleibung des Miteigentums für die Käuferin V* sowie die Einverleibung eines Höchstbetragspfandrechts auf deren Miteigentumsanteil für die jeweils kreditfinanzierende Bank vor; diese Verpflichtung ging der Disziplinarbeschuldigte (auch) gegenüber den finanzierenden Banken ein. Die Anweisung der Auszahlung des Treuhanderlags durch die Vertragsparteien des Grundgeschäfts (allein) auf Basis der Anmerkung einer – bis zum 3. November 2021 befristeten und im Zeitpunkt der Auszahlung noch nicht verlängerten (vgl Rangordnungsbeschluss vom 8. November 2021 in ON 7 in AZ D 46/23) – Rangordnung für die Veräußerung lief daher offenkundig den ausdrücklich erklärten Interessen der finanzierenden Kreditinstitute zuwider und hätte daher – entgegen dem (eine Erfüllung der Treuhandbedingungen gegenüber den Banken im Zeitpunkt der Auszahlung behauptenden) Beschwerdevorbringen – vom Disziplinar-beschuldigten nicht (ohne weiteres) befolgt werden dürfen.

[31] Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen den Kernbereich der Treuhandanforderungen nicht nur dann vor, wenn der Rechtsanwalt den Treuhandauftrag materiell verletzt, sondern schon dann, wenn er bloß den (formalen) Vorgaben der – nach § 27 Abs 1 lit g iVm § 10a Abs 2 RAO geschaffenen – Treuhandeinrichtungen, insbesondere den Vorschriften des Treuhandstatuts – hier durch Unterlassung von gebotenen Meldungen – zuwiderhandelt (RIS‑Justiz RS0123722 [T5]).

[32] Verletzungen von Treuhandverpflichtungen stellen einen schweren Verstoß gegen § 9 Abs 1 und § 10 Abs 2 RAO, §§ 13, 43 Abs 2 RL‑BA dar (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 56 mwN); sie begründen jeweils den Verdacht des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt.

[33] Die nach der angenommenen Verdachtslage bereits konkret eingetretene Vermögensgefährdung eines Treugebers (vgl 1./) im Zusammenhalt mit dem Verdacht, der Disziplinarbeschuldigte sei in einem weiteren Fall betreffend das Projekt „*“ nahezu ident vorgegangen (2./), und dem Vorliegen einer Vielzahl weiterer (teils offener) Treuhandschaften sowie dem nach der Verdachtslage insgesamt erkennbar (zumindest) sorglosen und sorgfaltswidrigen Umgang des Disziplinarbeschuldigten mit dieser Aufgabe ist durchaus geeignet, die dringende Besorgnis dahingehend zu begründen, die weitere Berufsausübung durch den Disziplinarbeschuldigten könnte zu einer erheblichen Beeinträchtigung (auch nur) anvertrauten fremden Vermögens (vgl 4./), insbesondere im Zusammenhang mit seiner Fremdgeldgebarung, führen.

[34] Zur vom Beschwerdeführer angesprochenen Maßnahme der bereits erfolgten „Sperre“ der beim eATHB gemeldeten Treuhandschaften (zusammen mit dessen Erklärung, er sei ausdrücklich mit der Freigabe von Zahlungen nur nach Vorlage der entsprechenden Handakten einverstanden; vgl ON 18 in AZ D 150/22), die eine Verfügung seinerseits über Treuhandgelder ohnedies unmöglich mache, ist anzumerken, dass zunächst eine vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer angeordnete Kanzleinachschau nicht erfolgreich verlaufen (vgl ON 10 in AZ D 150/22) und auch die vom Disziplinarbeschuldigten im Weiteren zugesagte Aktenlieferung nicht vollständig erfolgt ist (ON 23 in AZ D 150/22). Zudem erstreckt sich der Verdacht auch auf Transaktionen mit Fremdgeldern, die außerhalb des eATHB vorgenommen wurden (4./), sodass sich unter diesem Aspekt die ausgesprochene vorläufige Maßnahme (derzeit) als erforderlich erweist.

[35] Dass die mit der Bestellung eines Kammerkommissärs verbundene mögliche Sichtung der Akten des Disziplinarbeschuldigten (vgl § 34a Abs 2 RAO) ein (unsachlicher) „wesentlicher Beweggrund“ für die verhängte einstweilige Maßnahme und nicht bloß deren, vom Gesetzgeber durchaus erwünschte Konsequenz gewesen sei, behauptet die Beschwerde bloß spekulativ.

[36] Aus § 5 Abs 1 StPO (vgl § 77 Abs 3 DSt) folgt, dass jede Rechtsgutbeeinträchtigung in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der angelasteten Tat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen muss. Ist eine Rechtsgutbeeinträchtigung erforderlich, so ist von mehreren zur Auswahl stehenden zielführenden Zwangsmaßnahmen jene zu ergreifen, welche die Rechte des Betroffenen am geringsten beeinträchtigt (§ 5 Abs 2 StPO). § 19 Abs 1a DSt sieht als einstweilige Maßnahmen nur die Kontrolle der Kanzleiführung durch den Ausschuss oder die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft vor. Schon daran scheitert die Beschwerde, die eine Begründung dafür vermisst, warum nicht als „gelinderes Mittel“ die „Untersagung der Übernahme von Treuhandschaften“ ausgesprochen wurde.

[37] Die vom Disziplinarbeschuldigten am 8. Mai 2023 – nach Anordnung der einstweiligen Maßnahme durch den Disziplinarrat – abgegebene Erklärung „bis zur Beendigung des Disziplinarverfahrens keine Treuhandschaften im Zusammenhang mit Kaufverträgen und sonstigen Vermögenstransaktionen zu übernehmen und durchzuführen“ (ON 24 in AZ D 46/23; vgl dazu Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 19 DSt Rz 4), erweist sich zwar als geeignet, durch die Abstandnahme von weiteren Treuhandschaften pro futuro die Gefahr der Beeinträchtigung fremden Vermögens zu reduzieren. Mit Blick auf bereits bestehende, noch nicht zur Gänze erfüllte Treuhandschaften (vgl Beilage ./1 zu ON 39 in AZ D 150/22), stellt sie jedoch kein probates Mittel für die Beseitigung der dringenden Besorgnis erheblicher Beeinträchtigung fremden Vermögens dar.

[38] Die die Erwägungen des Disziplinarrats zur Urheberschaft der „Vertragsanpassung“ und zu den Beweggründen der von den Parteien – unter Beteiligung des Disziplinarbeschuldigten – gewählten Ausgestaltung und Abwicklung der Kaufverträge betreffend das Objekt „*“ anhand eigener Überlegungen und Behauptungen in Frage stellende Beschwerde spricht keine iSd § 19 Abs la DSt entscheidenden Tatsachen an.

[39] Die maßgeblichen Annahmen zum Inhalt der Kaufverträge, zu deren Modifikation, zu den Treuhandvereinbarungen mit den Banken und den Auszahlungen des jeweiligen Treuhanderlags finden in den vorliegenden Urkunden ihre Deckung. Der bestehende Verdacht der gegenüber den Banken treuwidrig erfolgten Auszahlung zu 1./ und 2./ wird insbesondere auch nicht durch die – nach Auszahlung des Treuhanderlags am 4. April 2022 – zwischen der L* und V* einerseits und dem Disziplinarbeschuldigten andererseits vereinbarte Abtretung „sämtlicher bestehender und zukünftiger Kaufpreis-forderungen“ aus Verkäufen an der Liegenschaft * zugunsten des Letztgenannten (vgl ON 4 in AZ D 47/23 und ON 7 in AZ D 46/23) beseitigt, stellt diese doch bloß eine nachträgliche schuldrechtliche Absicherung dar.

[40] Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstände, es sei (zu 2./) „nunmehr“ – nachträglich – eine Anmerkung gemäß § 40 Abs 2 WEG erfolgt und eine Vereinbarung mit dem „weiteren Treuhänder“ getroffen worden, ändert nichts an der maßgeblichen Verdachtslage.

[41] Entgegen der Beschwerde ergibt sich (zu 4./) aus den Angaben der Käufer (vgl KA 264/22 und ON 3 in AZ D 150/22) der – erst im weiteren Verfahren abschließend zu beurteilende – Verdacht, dass diese vor (tatsächlicher) Fertigstellung des ausbedungenen Zustands (Belagsfertigkeit) Zahlungen zu leisten hatten (nämlich nach Einverleibung des Baurechts; vgl Pkt 6./ des Vertrags) und demgemäß der Kaufvertrag (treuhändig) nach BTVG abzuwickeln gewesen wäre (vgl Würth in Rummel, ABGB3 § 1 BTVG Rz 1; Gartner, Bauträgervertragsgesetz5 § 1 Rz 2 und 28).

[42] Ob nun (zu 5./) vom Disziplinarbeschuldigten „der Kaufpreis am 18. Dezember 2019“ oder – wie von der Beschwerde releviert – 95 % davon im August 2020 (siehe Kontoauszugsdetailliste vom 21. August 2020 in KA 93/23 in AZ D 45/23) ausbezahlt wurden, erweist sich für die Beantwortung der entscheidenden Frage, ob die Auszahlung entsprechend den Treuhandbedingungen erfolgte, die eine Auszahlung (zur Gänze ua) nur bei ordnungsgemäßer Übergabe des Kaufgegenstands (siehe Kaufvertrag vom 12. Dezember 2019, Pkt 5./ in KA 93/23 in AZ D 45/23) vorsahen, als unbeachtlich.

[43] Anzumerken ist ferner, dass die Parteien des Grundgeschäfts im Zuge der – unbeschadet noch zu behebender Mängel und damit nicht ordnungsgemäß erfolgten – Übergabe am 16. Mai 2020 die Auszahlung von 95 % der Kaufsumme (schriftlich) durch Vermerk auf dem Übergabeprotokoll vereinbarten (ON 3 in AZ D 45/23). Eine diesbezügliche (Änderungs‑)Meldung des Disziplinarbeschuldigten an das eATHB unterblieb pflichtwidrig (vgl Pkt 8.3 iVm Pkt 15.3 des Statuts 2019 der Treuhandeinrichtung der Rechtsanwaltskammer Wien „Elektronisches Anwaltliches Treuhandbuch“ [eATHB] idF 19. März 2019; vgl RIS‑Justiz RS0123722 [T5]).

[44] Schließlich vermag auch die Äußerung des Disziplinarbeschuldigten zur Stellungnahme der Generalprokuratur an den obigen Überlegungen nichts zu ändern (vgl hiezu die Berichte des Kammeranwalts und des Disziplinarrats ON 7, wonach es bisher nicht gelungen sei, die bestehenden Verdachtsmomente zu entkräften, und weitere Anzeigen wegen ähnlicher Vorwürfe bei der Rechtsanwaltskammer Wien eingelangt seien). Eine – auch von Amts wegen aufzugreifende – Änderung der konkreten Verdachts- und Gefahrenlage liegt somit nicht vor.

[45] Der Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten war daher keine Folge zu geben.

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