European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00189.23T.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird – soweit er die Nichtöffnung der drei Konten des Erblassers bei der Credit Suisse AG zu IBAN * für den Zeitraum 30. 12. 2018 bis 31. 12. 2010 betrifft – mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird dem außerordentlichen Revisionsrekurs Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben.
Dem Rekursgericht wird die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Begründung:
[1] Der in zweiter Ehe verwitwete, 2020 verstorbene Erblasser hinterlässt drei Töchter, unter ihnen die Revisionsrekurswerberin. Das Verlassenschaftsverfahren nach seiner 2011 vorverstorbenen Ehefrau ist nach wie vor beim Bezirksgericht Meilen (Schweiz) anhängig.
[2] In seinem Testament vom 19. 9. 2013 traf er eine Rechtswahl zugunsten österreichischen Rechts.
[3] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 30. 3. 2021 erklärte sich das Erstgericht zur Durchführung des anhängigen Verlassenschaftsverfahrens gemäß Art 10 Abs 1 lit a EuErbVO für international zuständig und wies die Konten und Guthaben innehabenden Stellen an, dem Gerichtskommissär Auskunft zu erteilen,
[4] Mit Beschluss vom 17. 6. 2022 wurde der Gerichtskommissär ermächtigt, die Stände und Bewegungen auf den Konten des Erblassers bei der Credit Suisse AG in Zürich sowie bei der BKS Bank AG in Klagenfurt am Wörthersee bis zwei Jahre rückwirkend vor seinem Tod anzufragen.
[5] In der Tagsatzung vom 10. 10. 2022 errichtete der Gerichtskommissär das beantragte Inventar. Unter den Aktiven wurde unter anderem ein Guthaben bei der Credit Suisse AG an Wertschriften in der Höhe von 581.525 CHF mit einem Wert von 537.801,72 EUR und der Pflichtteil aus dem Nachlass nach der vorverstorbenen Ehefrau mit dem Hinweis darauf erfasst, dass die Höhe aufgrund des strittigen Nachlassverfahrens in der Schweiz nicht festgestellt werden könne und die Pflichtteilsforderung (daher) einer Nachtragsabhandlung vorbehalten bleibe.
[6] Die pflichtteilsberechtigte Tochter beantragte im Anschluss an die Inventarerrichtung (1.) die rückwirkende Öffnung der drei Konten des Erblassers bei der Credit Suisse AG vom 30. 12. 2018 bis zum 31. 12. 2010 sowie (2.) die Beischaffung des Verlassenschaftsakts des Bezirksgerichts Meilen und die Bewertung des Pflichtteilsanspruchs auf Basis des dort erhobenen Vermögensstands; in eventu: eine dort vorgenommene Nichtbewertung im gegenständlichen Verlassenschaftsverfahren nachzuholen und entsprechend den Bewertungsregeln des § 167 AußStrG zu schätzen; in eventu: eine Bewertung nach Wahrscheinlichkeitskriterien vorzunehmen.
[7] Das Erstgericht wies die Anträge ab. Diese seien nicht auf die Erhebung von noch nicht vom Inventar erfassten Vermögen gerichtet. Die Antragstellerin bringe selbst vor, dass aus dem Akt des Bezirksgerichts Meilen ein bezifferbarer Pflichtteilsanspruch nicht ableitbar sei. Sämtliche Beweisanträge seien ohnehin im Rahmen des gegen die Verlassenschaft anhängigen Pflichtteilsverfahrens gestellt worden.
[8] Das Rekursgericht wies den Rekurs der Pflichtteilsberechtigten soweit er die(unterbliebene) Bewertung des Plichtteilsanspruchs des Erblassers nach seiner vorverstorbenen Ehefrau betrifft als unzulässig zurück. Im Übrigen gab es dem Rekurs nicht Folge. Mit ihren Anträgen auf eine (andere) Bewertung des Pflichtteilsanspruchs strebe die Pflichtteilsberechtigte eine dem Abhandlungsgericht nicht zukommende Entscheidung an. Anhaltspunkte dafür, dass durch die beantragte rückwirkende Kontoöffnung weiteres nachlasszugehöriges Vermögen hervorkomme, lägen nicht vor.
[9] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Pflichtteilsberechtigten, mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und den Vorinstanzen eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist soweit er die Kontoöffnung betrifft mangels Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig, im Übrigen jedoch im Sinn der beantragten Aufhebung berechtigt.
1. Kontoöffnung
[11] 1.1 Der Antrag der Pflichtteilsberechtigten, Konten des Erblassers, die dem Verlassenschaftsgericht bereits bekannt sind, rückwirkend vom Todestag zu öffnen, ist zulässig. Der Antrag dient der Erforschung, ob weitere Vermögenswerte im Besitz des Erblassers zum Todeszeitpunkt stehen, und zwar mit den Mitteln, die dem Erblasser und damit der Verlassenschaft zustehen. Das in § 38 BWG verankerte Bankgeheimnis steht dem nicht entgegen (RS0121988). Die Entscheidung über einen – wie hier – nach Inventarerrichtung gestellten Antrag ist auch selbstständig anfechtbar (RS0121988 [T8]).
[12] 1.2 Erhebungen über den Verbleib von nach der Aktenlage bereits vor dem Tod aus dem Vermögen des Erblassers ausgeschiedenen Vermögenswerten setzen konkrete Anhaltspunkte für eine dennoch bestehende Nachlasszugehörigkeit voraus (RS0121988 [T7]) und sind auf Maßnahmen zu beschränken, die der weiteren Klärung der Nachlasszugehörigkeit dienen können (2 Ob 183/15y Pkt 3.1 mwN). Ob ausreichend konkrete Anhaltspunkte für weiteres Vermögen vorhanden sind, ist eine Frage des Einzelfalls und wirft daher abgesehen von Fällen grober Fehlbeurteilung keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0121988 [T3]).
[13] 1.3 Wenn das Rekursgericht die von der Pflichtteilsberechtigten angestrebte, rückwirkende Öffnung der drei Konten des Erblassers bei einer schweizerischen Bank für einen (weiteren) Zeitraum von 30. 12. 2018 bis 31. 12. 2010 als ungeeignete Maßnahme zur Erforschung des Verbleibs von von ihr vermisster 546.158,28 CHF gewertet hat, ist dies nicht korrekturbedürftig. Das Argument des Revisionsrekurses, die Steuererklärung des Erblassers für das Jahr 2019 weise noch ein Wertpapierguthaben von insgesamt 1.083.960 CHF auf, während zum Todestag bei den zu öffnenden Wertpapierkonten nur mehr Wertpapiere in Höhe von 537.801,72 CHF vorhanden gewesen seien, übersieht, dass sich der Differenzbetrag – wie auch aus der Steuererklärung ersichtlich – aus im Inventar ohnehin erfassten Wertpapiervermögen bei einer anderen Bank erklärt. Konkrete Anhaltspunkte, dass die begehrte Kontoöffnung eine geeignete Maßnahme zur Auffindung nachlasszugehörigen Vermögens wäre, zeigt der Revisionsrekurs damit nicht auf.
2. Pflichtteilsanspruch nach der vorverstorbenen Witwe
[14] 2.1 Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren ist einseitig (RS0120614; 2 Ob 133/22f Rz 6).
[15] 2.2 Das Verfahren zur Errichtung des Inventars ist vom Gerichtskommissär durchzuführen (§ 1 Abs 1 Z 1 lit b GKG). Das Inventar bedarf zu seiner Feststellung keiner Annahme oder – abgesehen von jener über die Nachlasszugehörigkeit nach § 166 Abs 2 AußStrG – Entscheidung des Gerichts (§ 169 Satz 2 AußStrG). Innerhalb des Abhandlungsverfahrens besteht daher keine Möglichkeit, das Inventar als solches anzufechten. Das gilt insbesondere für die vom Gerichtskommissär gewählte Bewertung, die (nur) für das Abhandlungsverfahren bindend ist. Dem Verlassenschaftsgericht fehlt es insoweit an einer Entscheidungs- oder Bestätigungskompetenz (2 Ob 23/16w Pkt 1. mwN).
[16] 2.3 Lediglich Beschlüsse über einen nach Errichtung des Inventars gestellten Antrag nach § 166 Abs 2 AußStrG oder einen auf formale Mängel des Inventars (Substanzlosigkeit, fehlende Nachvollziehbarkeit, Missachtung der Rahmenbedingungen für die Bewertung) gestützten Antrag nach § 7a GKG sind nach allgemeinen Grundsätzen anfechtbar (RS0132172). Die gerichtliche Überprüfung einer Bewertung kann aber auch mit solchen Anträgen nicht herbeigeführt werden (2 Ob 64/18b Pkt 3.5.b mwN).
[17] 2.4 Nach § 167 Abs 3 AußStrG sind Schulden mit ihren ziffernmäßigen Rückständen samt Nebengebühren zum Todestag anzuführen, sofern dies ohne weitläufige Erhebungen und großen Zeitverlust möglich ist. Die Bestimmung stellt keine bloße Bewertungsvorschrift dar, sondern ist als Regelung aufzufassen, dass Forderungen gegen die Verlassenschaft, deren Richtigkeit ohne weitläufige Verhandlungen oder großen Zeitverlust nicht feststellbar sind, überhaupt nicht in das Inventar aufzunehmen sind (RS0006465 [T11, T12]). Gleiches gilt auch für Forderungen der Verlassenschaft (4 Ob 134/08x Pkt 1.4.). Bestrittene Forderungen sind in das Inventar daher nur aufzunehmen, wenn ihr Bestand bescheinigt ist (RS0007867).
[18] Ändern sich die Abhandlungsgrundlagen nach Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens, ist nach § 183 AußStrG vorzugehen. Eine Änderung der Abhandlungsgrundlagen iSd § 183 Abs 1 AußStrG liegt vor, wenn ein bisher nicht bekannter oder zumindest nicht berücksichtigter Vermögenswert hervorkommt (2 Ob 242/22k Rz 8 mwN). Wurde ein Inventar errichtet, hat der Gerichtskommissär dieses zu ergänzen. Eine solche Ergänzung setzt die Bescheinigung neuer Vermögenswerte durch den Antragsteller voraus (2 Ob 222/19i).
[19] 2.5 Berücksichtigt man den im Inventar vorgesehenen Nachtragsabhandlungsvorbehalt sowie den Umstand, dass der auch für Forderungen der Verlassenschaft maßgebliche § 167 Abs 3 AußStrG keine bloße Bewertungsvorschrift darstellt, sondern eine Regelung trifft, wann Forderungen überhaupt als Aktivum in das Inventar aufzunehmen sind, ist die unter Hinweis auf das „strittige“ Nachlassverfahren in der Schweiz unterbliebene Bewertung des Pflichtteilsanspruchs des Erblassers einer Nichtaufnahme in das Inventar mangels feststellbaren (bescheinigten) Werts bzw Bestands der Forderung gleichzuhalten. Die auf Vornahme einer Schätzung gerichteten Anträge zielen daher letztlich nicht bloß darauf hinaus, die (unterlassene) Bewertung in Frage zu stellen oder eine solche vom Gericht zu verlangen, sondern den Pflichtteilsanspruch (mit einem noch festzustellendem Wert) tatsächlich ins Inventar aufzunehmen und ihn nicht einer Nachtragsabhandlung vorzubehalten (vgl 2 Ob 189/11z [wegen fehlender Nachlasszugehörigkeit abgewiesener Schätzungsantrag]).
[20] Im Ergebnis liegt daher eine Entscheidung über einen nach Inventarerrichtung gestellten, selbstständig anfechtbaren Antrag nach § 166 Abs 2 AußStrG vor.
[21] 2.6 Die angefochtene, den Rekurs insoweit zurückweisende Entscheidung der zweiten Instanz ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Behandlung des Rekurses aufzutragen.
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