OGH 2Ob133/22f

OGH2Ob133/22f6.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der in der Verlassenschaftssache nach dem am 9. September 2021 verstorbenen B*, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erblasserischen Tochter B*, vertreten durch Dr. Karl Hepperger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 4. März 2022, GZ 53 R 18/22v‑44, womit der Rekurs der Tochter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Silz vom 13. Dezember 2021, GZ 1 A 172/21z‑25, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00133.22F.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Der 2021 Verstorbene hinterließ seine Ehegattin und drei Kinder, darunter die Rechtsmittelwerberin (Tochter). Der Erblasser errichtete mit seiner Gattin 2016 ein gemeinsames Testament, in dem die Ehegatten einander zu Alleinerben ihres gesamten Vermögens und zwar als Vorerben einsetzen. Zum jeweiligen Nacherben (auf den Überrest) bestimmten sie den gemeinsamen Sohn. Hinsichtlich dieses Sohnes und der Witwe liegen Pflichtteilverzichtverträge vor.

[2] Mit dem eigenhändig unterfertigten Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 8. 11. 2021 wurde von der Tochter „zum gesamten Nachlass eine bedingte Erbserklärung abgegeben“.

[3] Mit Beschluss vom 13. 12.2021 bestellte das Erstgericht den Sohn zum Verlassenschaftskurator.

[4] Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Tochter mangels Rechtsmittellegitimation zurück. Die Erbantrittserklärung der Tochter entspreche nicht den Anforderungen der § 799 ABGB und § 159 AußStrG. Insbesondere fehle die Angabe des Rechtstitels. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu, weil zur Frage der Parteistellung und Rekurslegitimation im Verlassenschaftsverfahren hinreichend höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

[5] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Tochter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Rekurs für zulässig befunden und sie zum Verlassenschaftskurator bestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[6] Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren ist einseitig (2 Ob 32/19y; RS0120614).

Rechtliche Beurteilung

[7] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

[8] 1. Nach ständiger Rechtsprechung wird der potentielle Erbe grundsätzlich erst mit Abgabe seiner Erbantrittserklärung Partei des Verlassenschaftsverfahrens (RS0007926 [T16], RS0006398 [T17]). Vorher hat er keinen Einfluss auf den Gang des Verlassenschaftsverfahrens und keine Rekurslegitimation (RS0006398, RS0106608 [T22]), auch nicht betreffend die Auswahl der Person des Verlassenschaftskurators (2 Ob 16/19w; 2 Ob 32/19y).

[9] 2. Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Tochter bereits eine Erbantrittserklärung abgegeben hat. Es vermisste aber die Angabe eines Rechtstitels.

[10] 3.1. Eine Erbantrittserklärung hat ua die Berufung auf einen Erbrechtstitel (Erbvertrag, letztwillige Verfügung oder Gesetz) zu enthalten (§ 799 ABGB, § 159 Abs 1 Z 2 AußStrG).

[11] 3.2. Die Tochter beruft sich auf die zum geltenden AußStrG ergangene Rechtsprechung, wonach sogar dem potentiellen Erben, der (gar) keine Erbantrittserklärung abgegeben hat, Parteistellung und Rekurslegitimation eingeräumt wird, wenn er sein aktives Interesse am Erbantritt bekundet hat und die Abgabe der Erbantrittserklärung aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen unterblieb (2 Ob 32/19y mwN).

[12] 3.2.1. Als derartige Gründe wurden Verfahrensfehler angesehen (RS0006544), etwa eine unrichtigerweise unterbliebene Aufforderung zur Abgabe einer Erbantrittserklärung (2 Ob 53/18k; 2 Ob 32/19y). Auch im Anlassfall ist die Tochter zur Abgabe einer Erbantrittserklärung nicht aufgefordert worden.

[13] 3.2.2. Wenn sogar bei einer Person, deren Erbantrittserklärung (mangels Aufforderung nach § 157 Abs 1 AußStrG) unterblieb und die ihr Interesse am Erbantritt bekundet die Rechtsmittellegitimation zu bejahen ist, muss dies umso mehr für die Tochter gelten, die (ohne jegliche Aufforderung nach § 157 Abs 1 AußStrG) eine Erbantrittserklärung abgegeben hat, auch wenn diese Erklärung (noch) keine Berufung auf einen Erbrechtstitel erhielt. Für die Tochter hatte kein Anlass bestanden, ihre Erbsantrittserklärung zu verbessern bzw zu ergänzen (vgl auch 2 Ob 32/19y, wonach die Legitimation bei einer fehlenden Erbantrittserklärung zu bejahen ist, wenn noch keine Veranlassung für den potentiellen Erben bestanden hatte, eine solche abzugeben). Dies auch deshalb, weil die Tochter in das Verlassenschaftsverfahren (durch mehrere Zustellungen) ohnedies einbezogen wurde.

[14] 3.3. Wird keine Erbantrittserklärung abgegeben, ist nach § 157 Abs 4 AußStrG ein Verlassenschaftskurator zu bestellen. Eine derartige Bestellung kann damit implizit auch eine Entscheidung über (die Wirksamkeit einer vorliegenden) Erbserklärung enthalten, sodass der Tochter die Rechtsmittellegitimation gegen den Bestellungsbeschluss jedenfalls nicht abgesprochen werden kann.

[15] 4. Nach § 159 Abs 3 AußStrG ist die Erbantrittserklärung vom Erbansprecher oder seinem ausgewiesenen Vertreter eigenhändig zu unterschreiben (§ 159 Abs 3 AußStrG). Im Anlassfall wurde die Erbantrittserklärung der Tochter von ihrem anwaltlichen Vertreter eigenhändig unterschrieben.

[16] 5. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Behandlung des Rekurses aufzutragen.

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