European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00009.23S.1019.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger bestellte für sein Gasthaus bei der Beklagten die Lieferung und Montage von Türen. Es war vereinbart, dass die Türen für einen Gaststättenbetrieb geeignet sein mussten.
[2] Die Türen wurden im März 2020 geliefert und montiert, der Kläger leistete eine Zahlung in Höhe des Klagsbetrags.
[3] Die gegenständlichen Türen weisen – wie von den EN 14351‑1 und EN 12400 vorausgesetzt – eine CE‑Zertifizierung auf.
[4] In der im Lieferzeitpunkt geltenden ÖNORM B 5339 ist für die Dauerfunktion von Außentüren in öffentlichen Gebäuden, darunter Gasthäusern, die Anforderung Klasse 6 nach der Klassifizierungsnorm EN 12400 definiert. Türen dieser Klasse müssen nach 200.000 Zyklen des Öffnens und Schließens noch alleine durch den Türschließer schließen.
[5] Für die streitgegenständlichen Türen liegt nur ein Nachweis der Erfüllung der Anforderungen nach Klasse 5 der EN 12400 (100.000 Zyklen) vor, nicht jedoch einer der Klasse 6.
[6] Aufgrund der verwendeten Profilsysteme ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die gegenständlichen Türen bei einer Dauerfunktionsprüfung die Anforderung von 200.000 Zyklen (entsprechend der Klasse 6) tatsächlich erfüllen. Ein nachträgliches Prüfungszeugnis für eine höhere Klasse könnte für bereits gefertigte Türen nicht mehr erlangt werden.
[7] Türen, die diese Zyklenzahl nicht erreichen, könnten durch Austausch von Ersatzteilen wieder in einen Zustand versetzt werden, nach dem sie erneut eine hohe Zyklenzahl erreichen.
[8] Der Kläger begehrt Wandlung und Rückzahlung des Anzahlungsbetrags, Zug um Zug gegen Rückstellung der Türen. Soweit für das Rechtsmittelverfahren noch wesentlich brachte er vor, die Türen würden nicht dem Stand der Technik und den einschlägigen Normen entsprechen, insbesondere hinsichtlich der Dauerfunktion nur der Klasse 5 nach der EN 12400, daher seien sie für einen Gastronomiebetrieb nicht geeignet.
[9] Die Beklagte wandte ein, die Türen entsprächen dem Stand der Technik und dem Verwendungszweck. Eine bestimmte Zertifizierung sei nicht vereinbart worden.
[10] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Fehlen eines Nachweises, dass die Türen den Anforderungen der Klasse 6 nach EN 12400 für Gasthaustüren entsprechen, stelle einen Mangel dar, selbst wenn in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen sei, dass die Türen die erforderliche Qualität aufweisen. Dieser Mangel sei weder geringfügig, noch nachträglich behebbar und die Leistung unteilbar, weshalb der Kläger das Recht auf Wandlung habe.
[11] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab.
[12] Es handle sich bei der Dauerfunktion einer Tür nicht um eine mandatierte Eigenschaft nach der EN 14351‑1, sie werde somit von einer CE‑Kennzeichnungspflicht nicht umfasst. In Bezug auf diese bestimmte Eigenschaft sei deshalb eine CE‑Kennzeichnung auch keine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft.
[13] Eine Zertifizierung nach der Dauerfunktionsklasse sei auch sonst weder ausdrücklich noch schlüssig von den Parteien vereinbart worden. Es komme dann aber nicht auf das Vorhandensein eines entsprechenden Zertifikats, sondern nur darauf an, ob die gelieferten Türen die vereinbarte Eigenschaft tatsächlich aufweisen. Aufgrund der Feststellung, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Anforderungen der Klasse 6 nach der EN 12400 erfüllen, sei der behauptete Mangel zu verneinen.
[14] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage, ob bei Türen aufgrund einer fehlenden Zertifizierung der Dauerfunktionsklasse nach der Klassifizierungsnorm EN 12400 ein Mangel zu bejahen sei, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Rechtliche Beurteilung
[15] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zulässig, weil sich die Rechtssache noch nicht als spruchreif erweist. Sie ist daher im Sinne des darin enthaltenen Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[16] 1. Mit der Anbringung einer CE‑Kennzeichnung und dem dazugehörigen Leistungspass wird vom Hersteller eines Produkts eigenverantwortlich erklärt, dass das Produkt allen anzuwendenden Vorschriften der Europäischen Union entspricht und die entsprechenden Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurden. Eine CE‑Kennzeichnung trifft über diese Angaben hinaus grundsätzlich keine Aussage über die Qualität des Bauprodukts. Dem Verwender obliegt es zu prüfen, ob es auf Grund seiner deklarierten Eigenschaften den konkreten Anforderungen am Verwendungsort genügt. Vor dem Hintergrund, dass eine CE‑Kennzeichnung keine Aussage über die Qualität des Bauprodukts, sondern lediglich eine Leistungserklärung des Herstellers enthält, die verspricht, welchen Anforderungen das Produkt generell gerecht wird, kommt ein Mangel allein wegen der Verwendung nicht CE-gekennzeichneter Bauprodukte somit nur dann in Betracht, wenn eine CE‑Kennzeichnung vereinbart wurde (vgl 7 Ob 43/23h Rz 42). Das Gleiche gilt, wenn – wie im vorliegenden Fall – an sich eine CE‑Kennzeichnung vorhanden ist, die lediglich fakultative Angaben nicht enthält.
[17] 2. Nach den Feststellungen haben die Streitteile vor der Auftragserteilung weder über den Inhalt der CE‑Leistungskennzeichnung des Herstellers der Türen, noch über allfällige weitere beizubringende Prüfnachweise gesprochen. Aufgrund dieses Sachverhalts ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass das bloße Unterbleiben einer Angabe über die Dauerbelastungsfähigkeit der Türen in der CE‑Leistungskennzeichnung des Herstellers keinen Mangel begründete, beizutreten.
[18] 3. Die Streitteile waren bei Auftragserteilung jedoch darüber einig, dass die Türen als Gasthaustüren Verwendung finden würden. Daraus ist die schlüssige Vereinbarung einer dem Stand der Technik entsprechenden tatsächlichen Eignung für diesen Zweck abzuleiten. Dieser Stand spiegelt sich bei Bauprodukten insbesondere in den einschlägigen internationalen bzw ÖNORMEN wieder (RS0038622 [T20]).
[19] Die Revision macht in diesem Zusammenhang geltend, dass aus dem Sachverhalt gerade nicht die technische Eignung der Türen für die vereinbarte Verwendung abzuleiten sei. Es liege lediglich ein Prüfzeugnis vor, das sie für die Verwendung als Wohnhaustüren qualifiziere.
[20] 3. Für die Beurteilung der Dauerfunktionsfähigkeit von Fenstern und Türen ist die Klassifizierungsnorm EN 12400 (entspricht ÖNORM B5339) einschlägig, die Funktionsklassen festlegt.
[21] Außentüren im gewerblichen Bereich müssen danach der Funktionsklasse 6 der EN 12400 („häufige Beanspruchung“) entsprechen. Türen dieser Klasse müssen bei der mechanischen Prüfung durch ein entsprechendes Institut 200.000 Funktionszyklen (Öffnen und Schließen) überstehen. Außentüren der Funktionsklasse 5, die einem Dauertest über 100.000 Funktionszyklen erfolgreich unterzogen wurden, sind nach der EN 12400 für normale Beanspruchung im Wohnungsbau geeignet.
[22] Die streitgegenständlichen Türen verfügen nach den festgestellten Herstellerangaben nur über eine Klassifizierung nach Funktionsklasse 5. Sollte die Qualität der Außentüren tatsächlich nur dieser Klasse entsprechen, würde ihr Einbau im Gastgewerbebetrieb des Klägers nicht die Anforderungen des Stands der Technik erfüllen.
[23] 4. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass es im vorliegenden Fall, in dem ein formaler Nachweis der Funktionsklasse 6 nicht vereinbart war, auf die tatsächliche der Vereinbarung entsprechende Qualität der Türen ankommt, ist grundsätzlich zuzustimmen.
Sie weisen die zwischen den Streitteilen vereinbarte Eignung als Gasthaustüren dann auf, wenn sie – hätte man sie einer entsprechend erweiterten Prüfung unterzogen – nicht nur die Voraussetzungen der Funktionsklasse 5, sondern auch die doppelt so hohen Anforderungen der Klasse 6 der EN 12400 erfüllt hätten.
[24] Der Kläger hat nach dem Sachverhalt keine Türen bestellt, die für seinen Gastgewerbebetrieb nur mit hoher Wahrscheinlichkeit geeignet sind. Auch wenn die tatsächliche Qualität der gelieferten Türen grundsätzlich auch anders als durch eine Klassifizierungsangabe des Herstellers nachgewiesen werden kann, muss sie jedenfalls, da es sich um eine bedungene Eigenschaft handelt, positiv feststehen. Eine verbleibende Unsicherheit über die objektive Eignung für den vorbestimmten Zweck, mag sie auch nicht hoch sein, bedeutet ein Abweichen von der geschuldeten Leistung.
[25] 5. Nach der Deklaration des Herstellers erfüllen die Türen nur die Anforderungen der Klasse 5 nach EN 12400 und würden damit nicht dem Stand der Technik für den Einbau in einem Gasthaus entsprechen.
[26] Die weitere Feststellung, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen (ist), dass die gegenständlichen Türen bei einer Dauerfunktionsprüfung die Anforderung der 200.000 Zyklen erfüllen“ ist im Zusammenhang mit der übrigen Entscheidungsbegründung nicht hinreichend deutlich, um eine abschließende rechtliche Beurteilung darauf zu gründen. Es ist daraus nicht klar erkennbar, ob das Erstgericht in Anwendung des formalen Regelbeweismaßes der ZPO („hohe Wahrscheinlichkeit“) eine Qualität entsprechend der Klasse 6 positiv feststellen wollte, oder ob gemeint war, dass es sich auf eine solche Tatsachenfeststellung gerade nicht festlegen konnte (non liquet; RS0110701 [T1]).
[27] Zur abschließenden rechtlichen Beurteilung ist daher eine Klarstellung der Feststellungen erforderlich. Sollte festgestellt werden, dass die Türen die Qualitätsanforderungen der Klasse 6 nach EN 12400 tatsächlich erfüllen, wäre dem Kläger der ihm obliegende Nachweis des Mangels nicht gelungen (vgl RS0018553).
[28] Falls festgestellt würde, dass die Türen nicht den Qualitätsanforderungen der Klasse 6 (Gasthauseignung) entsprechen, wäre vom Fehlen einer bedungenen Eigenschaft auszugehen.
[29] Der Mangel einer zumindest schlüssig vereinbarten Eigenschaft wäre als wesentlich anzusehen, zudem wäre er nach den Feststellungen nicht behebbar.
[30] 6. Eine – wie von der Beklagten eingewendet – verspätete Mängelrüge des Klägers hinsichtlich der Dauerbelastungsfähigkeit der Türen ist aus dem Sachverhalt nicht abzuleiten.
[31] Die sofortige Prüfungspflicht nach § 377 UGB bezieht sich auf die Beanstandung offensichtlicher, in die Augen fallender Mängel (RS0018545). Beim hier strittigen Qualitätsstandard der Dauerbelastbarkeit handelt es sich um einen behaupteten Mangel, der weder offensichtlich ist, noch aus der CE‑Leistungskennzeichnung, die über diese nicht mandatierte Eigenschaft keine Aussage trifft, zu entnehmen gewesen wäre.
[32] Verborgene Mängel, die nur Sachkundigen erkennbar sind, müssen sofort nach ihrer Entdeckung gerügt werden (RS0062578). Hier wurde spätestens in der Klage geltend gemacht, dass die Türen als solche technisch nicht für die Verwendung in einem Gasthausbetrieb geeignet wären. Für eine noch frühere Erkennbarkeit dieses behaupteten Mangels, der erst einer Klärung durch Sachverständigengutachten im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens bedurfte, liegt kein Anhaltspunkt vor.
[33] 7. Der Kläger hat sein Begehren in erster Instanz nicht nur auf Gewährleistung, sondern erkennbar alternativ auch auf Irrtum gestützt (vgl RS0016256). Sein Vorbringen, er hätte den Auftrag jedenfalls nicht erteilt, wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, dass die gelieferten Türen nur als solche der Klasse 5 (Verwendung im Wohnbau) vom Hersteller deklariert wurden, hat die Beklagte insoweit nicht substantiiert bestritten.
[34] Sollte das Erstgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der noch strittige Sachmangel nicht vorliegt, wäre daher noch auf die weiteren Voraussetzungen der alternativ geltend gemachten Irrtumsanfechtung einzugehen.
[35] 8. Der Revision war daher Folge zu geben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgrund der iSd obigen Punktes 5. klargestellten Feststellungen aufzutragen (RS0117140).
[36] Dadurch tritt die Sache in den Stand nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurück. Sollte das Erstgericht in der Folge jedoch auch eine Ergänzung des Verfahrens für notwendig halten, steht es ihm frei, die Verhandlung nach § 194 ZPO wieder zu eröffnen (vgl 4 Ob 190/13i).
[37] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §52 ZPO.
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