OGH 7Ob92/23i

OGH7Ob92/23i27.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch die Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 22. März 2023, GZ 2 R 3/23k-20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 7. November 2022, GZ 24 Cg 28/22h-14, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00092.23I.0927.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wirdnicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist ein zur Verbandsklage nach § 29 Abs 1 KSchG berechtigter Verband.

[2] Die Beklagte betreibt das Versicherungsgeschäft und schließt als Unternehmerin regelmäßig mit Verbrauchern Versicherungsverträge ab. Diesen Vertragsabschlüssen legt die Beklagte folgende Klausel ihrer Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2020) als Allgemeine Geschäftsbedingung zugrunde (Klausel 2; die Klauseln 1 und 3 sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens):

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Allgemeine Risikoausschlüsse)

Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

1. in ursächlichem Zusammenhang

[...]

1.2. mit [...] Akten der Hoheitsverwaltung wie insbesondere Enteignungs-, Flurverfassungs-, Raumordnungs-, Grundverkehrs- oder Grundbuchsangelegenheiten;“

[3] Der Kläger begehrt die Unterlassung der Verwendung dieser Klausel, die Unterlassung der Berufung auf diese oder eine sinngleiche Klausel sowie Urteilsveröffentlichung. Sie verstoße mangels sachlicher Rechtfertigung gegen § 879 Abs 3 ABGB sowie gegen § 6 Abs 3 KSchG, weil die Reichweite des Deckungsausschlusses unklar bleibe.

[4] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Die Klausel sei sachlich gerechtfertigt und ausreichend klar formuliert.

[5] Das Erstgericht beurteilte die Klausel als gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB, weil die nach der Ausnahme von „Akten der Hoheitsverwaltung“ folgende Aufzählung einzelner Rechtsmaterien bloß demonstrativ sei und die Klausel damit bei kundenfeindlichster Auslegung sämtliche Verwaltungsakte vom Versicherungsschutz ausnehme. Dies sei sachlich nicht gerechtfertigt.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung insofern. Bei kundenfeindlichster Auslegung seien nach dieser Klausel alle Verwaltungsverfahren, aber auch außerstreitige Gerichtsverfahren (zB Grundbuchs- und Firmenbuchverfahren) von der Rechtsschutzversicherung ausgeschlossen. Ein derart umfangreicher Ausschluss widerspreche den berechtigten Deckungserwartungen des Versicherungsnehmers und sei gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB. Die Klausel sei zudem intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, weil sie den Verbraucher im Unklaren darüber lasse, ob alle Verwaltungsverfahren oder nur bestimmte vom Versicherungsschutz ausgenommen seien. Dazu komme, dass mit Grundbuchsangelegenheiten auch eine Tätigkeit der Justiz genannt werde und daher fraglich sei, inwieweit dieser Ausschluss auch Gerichtsverfahren betreffe. Dass diese Klausel schon länger verwendet werde, führe nicht dazu, dass sie besser verständlich sei.

[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu.

[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revisionder Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen bezüglich dieser Klausel im Sinn einer Klageabweisung abzuändern.

[9] In seinerRevisionsbeantwortung beantragt derKläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu diesernicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision istzulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Allgemeines

Für die Beurteilung der Transparenz der Klausel sind folgende Grundsätze im Verbandsprozess maßgeblich:

[11] 1.1. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Es soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden. Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig ist oder von ihm jedenfalls festgestellt werden kann. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position oder ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermitteln (RS0115219 [T14, T21]; RS0121951 [T4]).

[12] 1.2. Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205 [insb T20]).

2. Zur Klausel der ARB 2020

2.1. Klausel 2 (Art 7.1.2. ARB 2020)

„Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

1. in ursächlichem Zusammenhang

[...]

1.2. mit [...] Akten der Hoheitsverwaltung wie insbesondere Enteignungs-, Flurverfassungs-, Raumordnungs-, Grundverkehrs- oder Grundbuchsangelegenheiten;“

[13] 2.2. In ihrer Revisionführt die Beklagte aus, kein Versicherungsnehmer erwarte eine Allgefahrendeckung für alle Rechtsprobleme, welche mit Akten der Hoheitsverwaltung verbunden seien. Es gebe auch keinen Standard, weil keine Rechtsschutzversicherung für verwaltungsbehördliche Bewilligungsverfahren Rechtsschutz gewähre. Aus den Besonderen Bestimmungen der Rechtsschutzversicherung sei die konkrete Leistungsbeschreibung, die ein verständiger Verbraucher von seiner Versicherung erwarten könne, ersichtlich. Durch die demonstrative Aufzählung werde der Begriff „Akte der Hoheitsverwaltung“ auch ausreichend verständlich und konkretisiert. Es sei zwar richtig, dass Grundbuchsangelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugeordnet seien. Diese seien aber ohnehin nicht versichert, unabhängig davon, ob sie der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung zugeordnet seien. Es hieße, „das Kinde mit dem Bade auszuschütten“, wenn die vorliegende Klausel, die seit Jahrzehnten von allen Konsumenten und beteiligten Verkehrskreisen wohlverstanden werde, zur Gänze eliminiert werde. In der klarstellend demonstrativen Aufzählung liege zudem ein materiell selbständiger Regelungsbereich.

[14] 2.3.1. Art 7.1.2. ARB 2020 regelt einen Risikoausschluss. Nach ständiger Rechtsprechung hat ein Versicherungsnehmer stets mit Risikoausschlüssen und Risikobegrenzungen zu rechnen (vgl RS0119747), steht es dem Versicherer doch frei, bestimmte Risiken vom Versicherungsschutz auszunehmen (RS0016777 [T4]). Voraussetzung ist jedoch, dass die Klausel nicht ungewöhnlich und nachteilig im Sinn des § 864a ABGB oder gröblich benachteiligend gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist und auch nicht gegen § 6 Abs 3 KSchG verstößt (vgl 7 Ob 169/22m mwN).

[15] 2.3.2. Maßgeblich für die Qualifikation einer Klausel als eigenständig im Sinne des § 6 KSchG ist nicht die Gliederung des Klauselwerks; es können insofern auch zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar in einem Satz der Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein. Es kommt darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (vgl RS0121187 [T1]).

[16] Hier nimmt die Aufzählung der Rechtsmaterien ganz offensichtlich auf den zuvor erklärten allgemeinen Ausschluss für Akte der Hoheitsverwaltung Bezug, sodass unzweifelhaft von einer einheitlichen Klausel auszugehen ist.

[17] 2.3.3. Die Klausel nimmt die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vom Versicherungsschutz aus, die in ursächlichem Zusammenhang mit Akten der Hoheitsverwaltung stehen. Im Anschluss daran zählt sie bestimmte Verwaltungsangelegenheiten und eine Angelegenheit der ordentlichen Gerichtsbarkeit demonstrativ (arg „wie insbesondere“) auf. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus der Klausel nicht ansatzweise, dass lediglich verwaltungsbehördliche oder gerichtliche „Bewilligungsverfahren“ vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, was deutlich zu formulieren der Beklagten freigestanden wäre. Die Reichweite des Risikoausschlusses bleibt damit für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Unklaren. Auch die nachfolgende beispielhafte Aufzählung führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Transparenz der Klausel, lässt sie den durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch die bloß beispielhafte Aufzählung weiterhin im Unklaren, welche (sonstigen) Hoheitsakte vom Risikoausschluss umfasst sind. Dies umso mehr, als durch den Hinweis auf Grundbuchsangelegenheiten sogar unklar bleibt, ob bzw inwieweit auch gerichtliche Verfahren vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist damit entgegen der Ansicht der Beklagten auch keineswegs hinreichend deutlich erkennbar, dass etwa die in der Revision angeführten Amtshaftungsansprüche gegen einen Rechtsträger aus Akten der Hoheitsverwaltung nicht unter den Risikoausschluss zu subsumieren sind.

[18] Die von der Revision zitierte Entscheidung 6 Ob 181/17m (Klausel 19) betraf eine Klausel in einem Mietvertrag, die mit der vorliegenden Vertragsbestimmung nicht vergleichbar ist.

[19] 2.3.4. Soweit die Revision mit ihrer Behauptung, die Klausel werde seit Jahrzehnten „wohlverstanden“, darauf hinaus möchte, diese werde nur eingeschränkt hinsichtlich der demonstrativ aufgezählten Rechtsmaterien verstanden und angewendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Verbandsprozess weder auf die praktische Handhabung noch auf individuelle Erklärungen oder Vereinbarungen Rücksicht genommen werden kann (RS0121726 [T4]; RS0121943) und das der Klausel vom Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beigelegte Verständnis nicht maßgeblich ist (RS0016590 [T23]).

[20] 2.3.5. Die Klausel ist daher zusammengefasst intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, sodass auf die Frage der gröblichen Benachteiligung nicht mehr eingegangen werden muss.

3. Ergebnis und Kostenentscheidung

[21] 3.1. Die Revision der Beklagten ist erfolglos.

[22] 3.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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