European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0230DS00016.22P.0907.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
Jener gegen den Ausspruch über die Strafe wird Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Geldbuße von 6.000 Euro verhängt.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde *, des Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (iVm § 10 Abs 1 RAO) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er von 30. November 2020 bis „jedenfalls“ 16. September 2021 als Verantwortlicher der * Rechtsanwälte GmbH gegen das Verbot der Doppelvertretung (§ 10 Abs 1 RAO und § 10 RL‑BA 2015) verstoßen, indem er in einer zusammenhängenden Rechtssache betreffend ein Schadensereignis aus einer Bauführung an der Liegenschaft * die Gemeinde D* als Geschädigte einerseits und die M* GmbH als Auftragnehmerin und mutmaßliche Schädigerin andererseits zeitgleich gegen die Liegenschaftseigentümerin und Werkbestellerin * G* rechtlich vertrat.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 9 lit a und lit b StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656) Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und über die Strafe.
[4] Ersterer kommt keine Berechtigung zu.
[5] Nach den wesentlichen Feststellungen des Disziplinarrats (ES 3 f, 10 f) hatte * G* im Zuge von Bauarbeiten auf einer Liegenschaft in D* die M* GmbH mit der Sicherung der Baugrube beauftragt. In weiterer Folge war es zu einem – mutmaßlich von diesem Unternehmen verursachten – Böschungs- bzw Geländebruch gekommen, durch welchen Schäden an der Gemeindestraße (Gemeinde D*) sowie am Gebäude eines Nachbarn (* Z*) entstanden waren. Mit Schreiben vom 30. November 2020 teilte der Disziplinarbeschuldigte * G* mit, dass die Rechtsanwaltskanzlei * Rechtsanwälte GmbH von der Gemeinde D* mit deren rechtlicher Vertretung beauftragt worden sei, und forderte die Genannte unter Berufung auf die erteilte Vollmacht zur Sanierung sowie zur Begleichung der Kosten seiner Kanzlei auf, wobei er darlegte, dass sie sich Handlungen ihrer Vertragspartner (darunter auch die M* GmbH) zuzurechnen lassen habe. Am 19. März 2021 gab der Disziplinarbeschuldigte dem rechtsfreundlichen Vertreter von * G*, Rechtsanwalt *, bekannt, dass die Rechtsanwaltskanzlei * Rechtsanwälte GmbH die M* GmbH vertrete und von dieser mit der Einforderung des Werklohns beauftragt worden sei, und forderte die Kosten des Einschreitens seiner Kanzlei. Mit Schreiben vom selben Tag forderte Rechtsanwalt * den Disziplinarbeschuldigten seinerseits auf, aufgrund des sich aus der vorliegenden Doppelvertretung sowohl der Gemeinde D* als auch der M* GmbH gegenüber * G* ergebenden Interessenskonflikts unverzüglich das Mandat gegenüber der M* GmbH zu beenden und ihn davon zu verständigen, zumal in der zusammenhängenden Sache Regressansprüche von * G* gegen die M* GmbH nicht ausgeschlossen seien. In der Folge klagte der Liegenschaftsnachbar * Z* die M* GmbH vor dem Landesgericht Eisenstadt (AZ 2 Cg 45/21h) und verkündete * G* den Streit, die dem Verfahren auch als Nebenintervenientin auf Seiten des Klägers beitrat, wobei die M* GmbH in diesem Verfahren von der Rechtsanwaltskanzlei * Rechtsanwälte GmbH vertreten wurde. Mit Schreiben vom 16. September 2021 teilte der Disziplinarbeschuldigte der Rechtsanwaltskammer * lediglich mit, dass die Gemeinde D* keinen Anspruch gegen die M* GmbH geltend gemacht habe. Eine Beendigung der Mandatsverhältnisse der * Rechtsanwälte GmbH mit der Gemeinde D* und mit der M* GmbH wurde bis zum Schluss der Disziplinarverhandlung nicht bekanntgegeben.
[6] Die vorliegende, sich abzeichnende Interessenskollission hätte der Beschuldigte (bei Aufwendung der nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Sorgfalt) erkennen können, sie war ihm spätestens mit der ausdrücklichen Aufforderung durch Rechtsanwalt * bewusst und wurde dennoch absichtlich ignoriert.
[7] Der – vor der Rechtsrüge zu behandelnden (Ratz, WK-StPO § 476 Rz 9) – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (im engeren Sinn) gelingt es mit der bloßen Bestreitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite und der Behauptung, es handle sich dabei um eine „unbelegte Schlussfolgerung“ nicht, Bedenken an der Beweiswürdigung der angefochtenen Entscheidung zu wecken und solcherart die getroffenen Feststellungen substantiiert in Frage zu stellen.
[8] Der Disziplinarrat hat sämtliche für und wider den Disziplinarbeschuldigten sprechenden Verfahrensergebnisse, so auch dessen in subjektiver Hinsicht leugnende Verantwortung, einer nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und der Lebenserfahrung entsprechenden Würdigung unterzogen (vgl dazu auch Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 49 DSt Rz 2) und mit schlüssiger Begründung – der sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen der Prüfung der Beweise anschließt (vgl Ratz, WK-StPO § 467 Rz 2) – dargelegt, wie er zu den entscheidungswesentlichen Sachverhaltsannahmen gelangte (ES 5 f, 10 f), wobei die Feststellungen zur subjektiven Tatseite – den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend – im Wesentlichen aus dem objektiven Geschehen in Verbindung mit dem Aufforderungsschreiben des gegnerischen Rechtsanwalts abgeleitet wurden (ES 10 f; vgl auch RIS‑Justiz RS0098671).
[9] Davon abgesehen lässt der Berufungswerber außer Acht, dass das Disziplinarvergehen der Doppelvertretung auch fahrlässig begangen werden kann (RIS-Justiz RS0096651, RS0055534; Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 10 RAO Rz 16) und der objektive Sorgfaltsverstoß grundsätzlich die subjektive Sorgfaltswidrigkeit indiziert (RIS‑Justiz RS0088909). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er den objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht hätte nachkommen können, werden nicht aufgezeigt und ergeben sich auch nicht aus der Verantwortung des Beschuldigten.
[10] Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die das Vorliegen materieller Doppelvertretung unter Hinweis darauf bestreitet, dass die Gemeinde D* keine Ansprüche gegen die M* GmbH geltend gemacht habe, ist nicht im Recht.
[11] Materielle Doppelvertretung liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. Untersagt ist demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst) für und (dann) gegen einen Klienten in derselben oder damit zusammenhängenden Sache, wobei letzterer Begriff dem Regelungszweck entsprechend weit auszulegen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht (RIS-Justiz RS0054995, RS0117715, RS0055534; vgl auch Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 37/1 ff).
[12] Auch die „Gegenpartei“ iSd § 10 RAO ist nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur auf die formal prozessbeteiligten Parteien beschränkt. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob zwischen den Parteien widerstreitende Interessen bestehen oder ob die Gefahr droht, dass derartige widerstreitende Interessen bestehen könnten. Ist das der Fall, handelt es sich um eine Gegenpartei im Sinne des Gesetzes (RIS‑Justiz RS0054995 [T26]).
[13] Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Disziplinarrat die zeitgleiche rechtliche Vertretung der Geschädigten (der Gemeinde D*) und der mutmaßlichen Schädigerin (der M* GmbH) – zufolge der daraus resultierenden konkreten Gefahr sowohl einer inhaltlichen Interessenskollission als auch einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (§ 10 Abs 1 Z 1 RL‑BA 2015) – zutreffend als Verstoß gegen das in § 10 Abs 1 RAO, § 10 RL‑BA 2015 normierte Verbot der Doppelvertretung beurteilt. Dass die Gemeinde D* entsprechende Forderungen bislang noch nicht direkt (sondern bloß mittelbar über die Auftraggeberin * G*) gegen die M* GmbH geltend gemacht hat, ändert daran nichts.
[14] Inwieferne zur rechtsrichtigen Subsumtion zusätzliche Ausführungen dazu, „worin ein Interessenskonflikt oder ein Vertrauensbruch überhaupt liegen soll“, erforderlich gewesen sein sollten, erklärt die Rüge nicht (vgl im Übrigen ES 10).
[15] Entgegen der Behauptung (Z 9 lit b) mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§ 3 DSt) ist das Verschulden des Beschuldigten nicht bloß als geringfügig – im Sinn von erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend (RIS-Justiz RS0056585, RS0089974) – anzusehen (vgl RIS-Justiz RS0054998 [T1]), zumal er sein Verhalten trotz ausdrücklichen Hinweises auf dessen Standeswidrigkeit durch den Rechtsvertreter von * G* aufrecht hielt, sodass die begehrte Privilegierung des – grundsätzlich ein schweres Disziplinarvergehen darstellenden (RIS-Justiz RS0054993) – Verstoßes gegen das Doppelvertretungsverbot nicht in Frage kommt (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 43/1).
[16] Der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – ein Erfolg zu versagen.
[17] Hingegen kommt der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe Berechtigung zu.
[18] Der Disziplinarrat verhängte über den Disziplinarbeschuldigten gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 7.000 Euro und wertete dabei „das Vorliegen von fünf Vorstrafen“ (durchwegs wegen Verletzung von Berufspflichten [in einem Fall wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Doppelvertretung und damit wegen einer spezifisch einschlägigen Tat], in zwei Fällen zusätzlich wegen der Beeinträchtigung der Ehre und des Ansehens des Standes) als erschwerend, als mildernd dagegen keinen Umstand.
[19] Diese an sich zutreffend angenommenen Strafzumessungsgründe (vgl dazu auch RIS‑Justiz RS0054839) bedürfen insoferne einer Korrektur, als die fünf disziplinarrechtlichen Vorverurteilungen im Verhältnis der § 31 StGB, § 16 Abs 5 DSt zueinander stehen, weil sämtliche der damit abgeurteilten Taten im ersten dieser Verfahren hätten abgeurteilt werden können. Demgemäß ist dem Beschuldigten nur eine Vorstrafe als erschwerend anzulasten (RIS‑Justiz RS0090759; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 31 Rz 24; vgl auch Ratz in WK² § 31 Rz 14), womit dem Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 2 StGB entsprechend geringeres Gewicht zuzumessen ist.
[20] Ausgehend davon war die vom Disziplinarrat verhängte Sanktion in Stattgebung der Berufung zu reduzieren und eine dem Tatunrecht und der Täterschuld entsprechende sowie den (mangels diesbezüglicher Angaben mit einem Durchschnittswert anzunehmenden) Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Berufungswerbers angemessen Rechnung tragende (§ 16 Abs 6 DSt) Geldbuße von 6.000 Euro zu verhängen.
[21] Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt aus spezialpräventiven Gründen ebenso wenig in Betracht wie die bedingte Nachsicht der verhängten Sanktion (§ 16 Abs 2 DSt).
[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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