OGH 5Ob140/23h

OGH5Ob140/23h29.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der nichtigkeitsklagenden Partei S* KG, *, vertreten durch Mag. Ali Polat, Rechtsanwalt in Wien, gegen die nichtigkeitsbeklagten Parteien 1. A*, 2. J*, 3. P*, 4. M*, (richtig) 5. J*, (richtig) 6. G*, wegen Nichtigerklärung der im Verfahren AZ 57 Cg 73/20d des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ergangenen Entscheidungen erster, zweiter und dritter Instanz, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00140.23H.0829.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsklage wird zurückgewiesen.

Mit ihren Anträgen auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und „ev.Verfügung“ wird die nichtigkeitsklagende Partei auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien wurde die nichtigkeitsklagende Partei gegenüber der erst‑, zweit‑, dritt‑, viert‑, und sechst‑nichtigkeitsbeklagten Partei verpflichtet, es zu unterlassen, die in ihrem Eigentum stehende, näher bezeichnete Wohnungseigentumseinheit zur Ausübung der Prostitution bzw als Bordell zu nutzen und/oder nutzen zu lassen. Außerdem wurde die nichtigkeitsklagende Partei verpflichtet, sämtlichen nichtigkeitsbeklagten Parteien (der Fünftnichtigkeitsbeklagte hatte sein Begehren wegen Veräußerung seines Wohnungseigentumsobjekts auf Kosten eingeschränkt) Kostenersatz in näher bestimmter Höhe zu leisten. Im Verfahren erster Instanz waren die Nichtigkeitsbeklagten durch die Anwälte D* KG vertreten, die Nichtigkeitsklägerin durch M*.

[2] Das Berufungsgericht gab der von der nichtigkeitsklagenden Partei erhobenen Berufung nicht Folge. Im Berufungsverfahren war die Nichtigkeitsklägerin bereits durch Mag. Ali Polat vertreten.

[3] Der erkennende Senat wies die außerordentliche Revision der Nichtigkeitsklägerin mit Beschluss vom 31. Mai 2023, 5 Ob 74/23b, gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurück.

[4] Mit ihrer am 31. 7. 2023 beim Obersten Gerichtshof eingebrachten, mit Schriftsatz vom 4. 8. 2023 korrigierten Nichtigkeitsklage ficht die Nichtigkeitsklägerin die im Vorverfahren ergangenen Entscheidungen aller drei Instanzen aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO an, weil zu 8 Cg 27/19b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien bereits zuvor eine Unterlassungsklage derselben klagenden Parteien eingebracht worden sei, weshalb Streitanhängigkeit vorgelegen sei. Der ehemalige Rechtsfreund der Nichtigkeitsklägerin habe den Fünftkläger beim Verkauf seiner Wohnung im Haus vertreten und es unterlassen, den Einwand der Streitanhängigkeit im „zweiten“ Unterlassungsverfahren zu erheben. Die standes‑, vertrags‑ und gesetzwidrige Vertretung des ehemaligen Rechtsfreunds der Nichtigkeitsklägerin eines ihrer Gegner erfülle den Tatbestand der Doppelvertretung und Interessenkollision, sodass es an einer gesetzmäßigen Vertretung gefehlt habe.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Gemäß § 529 Abs 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Sache erledigt wird, durch Nichtigkeitsklage angefochten werden. Die Sache wird durch Urteil und ihnen gleichgestellten Entscheidungen „erledigt“, die abschließend über ein Rechtsschutzbegehren absprechen. Darunter fallen alle in Beschlussform ergehenden Sachentscheidungen, aber auch Beschlüsse, die das Verfahren abschließend beenden. Zu 2 Ob 6/03a wurde klargestellt, dass dazu auch Beschlüsse des Obersten Gerichtshofs auf Zurückweisung einer außerordentlichen Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zählen. Damit ist gemäß § 532 ZPO der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über die vorliegende Nichtigkeitsklage zuständig, weil mit dieser auch seine „Endentscheidung“ bekämpft wird (8 Ob 89/11p mwN).

[6] 2. Gemäß § 538 Abs 1 ZPO ist die Nichtigkeitsklage ohne Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung bereits im Vorprüfungsverfahren ua dann zurückzuweisen, wenn die Rechtsmittelklage unschlüssig ist. Der Prüfung, ob ein gesetzlicher Anfechtungsgrund vorliegt, ist das Vorbringen in der Rechtsmittelklage zugrundezulegen. Es ist also die Richtigkeit der Klagebehauptungen zu unterstellen und auf dieser Grundlage eine rechtliche Beurteilung dahin vorzunehmen, ob der Rechtsmittelklage Erfolg beschieden sein würde. Ergibt die Prüfung, dass die Klage schon aufgrund des eigenen Vorbringens des Nichtigkeitsklägers aus rechtlichen Erwägungen erfolglos bleiben müsste, ist sie unschlüssig und daher im Sinn des § 538 ZPO unzulässig (10 Ob 12/12f; Jelinek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 538 ZPO Rz 14 mwN). Bei Nichtigkeitsklagen ist darauf zu achten, dass nur einer der in § 529 ZPO erwähnten Nichtigkeitsgründe tauglicher Klagegrund ist, nicht aber andere in § 477 ZPO genannte oder diesen gleichzuhaltende Nichtigkeitsgründe wie Streitanhängigkeit oder mangelnde inländische Gerichtsbarkeit (JelinekaaO Rz 16 mwN).

[7] 3. Gemäß § 529 Abs 1 ZPO kann eine rechtskräftige Entscheidung, durch welche eine Sache erledigt ist, durch die Nichtigkeitsklage angefochten werden 1. wenn ein erkennender Richter von der Ausübung des Richteramts in dem Rechtsstreit kraft des Gesetzes ausgeschlossen war; 2. wenn eine Partei in dem Verfahren gar nicht, oder falls sie eines gesetzlichen Vertreters bedarf, nicht durch einen solchen vertreten war, sofern die Prozessführung nicht nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde. Auf den Grund des § 529 Abs 1 Z 1 ZPO hat sich die Nichtigkeitsklägerin nicht berufen, die Voraussetzungen des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO hat sie nicht schlüssig behauptet.

[8] 4.1. Soweit die Nichtigkeitsklägerin die angeblich übersehene Streitanhängigkeit wegen vorheriger Einleitung eines inhaltsgleichen Verfahrens zu 8 Cg 27/19b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien ins Treffen führt, ist ihr das eigene Vorbringen in der Nichtigkeitsklage entgegenzuhalten, wonach das dortige Unterlassungsbegehren auf Kostenersatz eingeschränkt wurde, sodass von einer Streitanhängigkeit betreffend das Unterlassungsbegehren keine Rede sein kann. Selbst bestehende Streitanhängigkeit könnte nach der zitierten Lehre und Rechtsprechung überdies keinen Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 529 ZPO begründen.

[9] 4.2. Dass es der Nichtigkeitsklägerin im Vorverfahren an der Prozessfähigkeit und/oder der gesetzlichen Vertretung gemangelt hätte, behauptet sie nicht. Das von ihr erkennbar ins Treffen geführte Fehlen der Postulationsfähigkeit im Vorprozess mit absoluter Anwaltspflicht (§ 185 ZPO) bildet nach ständiger Rechtsprechung (RS0041957) keinen Nichtigkeitsgrund. Auch im Verstoß gegen die Anwaltspflicht (§ 27 ZPO) liegt kein Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (RS0110667 [T2]). Beides kann umso weniger mit Nichtigkeitsklage nach § 529 Abs 1 Z 2 ZPO geltend gemacht werden, weil es diesfalls nicht an der gesetzlichen Vertretung mangelt (JelinekaaO § 529 ZPO Rz 44 f mwN).

[10] 4.3. Die von der Nichtigkeitsklägerin behauptete „Interessenkollision“ aufgrund „Doppelvertretung“ mag standesrechtlich relevant sein; sie ist aber grundsätzlich nicht geeignet, einen Nichtigkeitsgrund im Sinn des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO zu verwirklichen, weil dies ebensowenig einen Mangel der gesetzlichen Vertretung bedeutet. Dass die durchgehend seit der Klagebeantwortung rechtsfreundlich vertretene Nichtigkeitsklägerin im Zeitpunkt der Prozessvollmacht zur Erteilung an ihren vormaligen Rechtsfreund prozessunfähig gewesen wäre, behauptet sie nicht.

[11] 4.4. Die Nichtigkeitsklage war daher als unschlüssig zurückzuweisen.

[12] 5. Mit ihren Anträgen auf Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung des Urteils des Erstgerichts und auf „eV. Verfügung“ des Inhalts, „das Gericht möge feststellen, dass das Urteil des Erstgerichts und seine Vollstreckbarkeitsbestätigung nichtig und Exekutionsführung aufgrund dieses Titels gegen die Nichtigkeitsklägerin daher unzulässig seien“, ist die Nichtigkeitsklägerin auf diese Entscheidung mit dem ergänzenden Bemerken zu verweisen, dass gemäß § 547 Abs 2 ZPO die Erhebung der Nichtigkeitsklage gegen rechtskräftige Urteile die bereits eingetretene Vollstreckbarkeit dieser Entscheidung ohnedies nicht zu berühren geeignet wäre und erst eine der Rechtsmittelklage stattgebende rechtskräftige Entscheidung die angefochtene Entscheidung ihre Eigenschaft als Exekutionstitel verlieren lassen könnte.

Stichworte