OGH 9ObA27/23w

OGH9ObA27/23w26.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei O*, vertreten durch Dr. Guido Bach, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen 350.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 26. Jänner 2023, GZ 8 Ra 43/22k‑30, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 14. Jänner 2022, GZ 38 Cga 24/21x‑24, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00027.23W.0726.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.044,70 EUR (darin enthalten 507,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war von 13. 9. 1999 bis 30. 9. 2019 bei der Beklagten bzw deren Einzelrechtsvorgängerin, der T* GmbH, zunächst als CoPilot und ab Mai 2006 als Kapitän im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivertrag für das Bordpersonal der A* AG (idgF „KV-Bord“) anzuwenden.

[2] Am 6. 4. 2017 wurde der Kläger vom Flugdienst abgezogen („Grounding“), weil das Ergebnis einer in der Betriebsvereinbarung vom 4. 12. 2016, BV OS.90 - Flight Operations Quality Assurance Module (FOQAM), geschlossen zwischen dem Betriebsrat Bord und der Beklagten, für Piloten vorgesehenen Qualitätsüberprüfung nach Ansicht der Beklagten nicht zufriedenstellend war.

[3] Der Zweck dieser Betriebsvereinbarung ist in ihrer Präambel wie folgt festgelegt:

„Die Parteien verfolgen das gemeinsame Ziel eines qualitativ hochwertigen Flugbetriebes. Die Parteien halten eine Standortbestimmung als Ausgangspunkt zur Entwicklung geeigneter qualitätsunterstützender Maßnahmen für wesentlich. In diesem Zusammenhang sind flugbetriebliche Qualitätsmerkmale wie ein standardisiertes Anforderungsprofil sowie ein einheitliches Ausbildungs‑ und Bewertungssystem auf allen Flotten von tragender Bedeutung. Darüber hinaus soll das Flight Operations Quality Assurance Module (FOQAM) die Zusammenarbeit von Personalkörpern mit unterschiedlichem fliegerischem Werdegang fördern. Zur Absicherung dieses Ziels ist es nötig, den aktuellen flugbetrieblichen Standard flottenübergreifend mit dem FOQAM zu überprüfen und ggf. geeignete Maßnahmen zur Qualitätssicherung zu entwickeln.“

[4] Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Piloten als Dienstnehmer des Flugbetriebs, die vor dem 1. 7. 2012 in einem aufrechten Dienstverhältnis zur Beklagten oder T* standen, oder ab dem 1. 7. 2012 bei diesen eingetreten sind, ohne vor ihrer Anstellung eine im Konzern anerkannte Selektion bestanden zu haben. Das Modul musste von jedem von der Betriebsvereinbarung erfassten Piloten nur einmal absolviert werden und zwar frühestens zwei Jahre nach dem Eintritt als Pilot und bis spätestens 31. 12. 2019.

[5] Das Anforderungsprofil des FOQAM‑Moduls geht über jenes der behördlich vorgeschriebenen, regelmäßigen Überprüfungen hinaus. Die Beklagte hat die erhöhten Mindeststandards nach dem FOQAM‑Modul in ihr Flugbetriebshandbuch implementiert und der Luftfahrtbehörde vorgelegt.

[6] Nachdem zwei von der Beklagten nach dem Grounding des Klägers in Auftrag gegebene psychologische Gutachten des Deutschen Zentrums für Luft‑ und Raumfahrt (DLR) vom 26. 10. 2017 und 27. 11. 2018 zu dem Ergebnis gelangt waren, dass der Einsatz des Klägers als Flugzeugführer aufgrund von Leistungsdefiziten im kognitiv-mentalen und im psychomotorischen Bereich nicht empfohlen werden könne, kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis mit Schreiben vom 22. 5. 2019 zum 30. 9. 2019 auf.

[7] Die auf Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit gerichtete Klage des Klägers wurde rechtskräftig abgewiesen.

[8] Der KV‑Bord sieht für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses wegen unverschuldeten Lizenzverlusts eine Unterstützungsleistung vor. Die hier maßgeblichen Bestimmungen lauten:

„49. Unterstützungsleistung

Dienstnehmern, für die gemäß BMSVG Beiträge an eine Mitarbeiter-Vorsorgekasse geleistet werden ('Abfertigung‑Neu') […] gebührt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen eine Unterstützungsleistung.

49.1 Cockpitpersonal

[…]

49.1.2 Tod oder unverschuldeter Lizenzverlust ab dem 11. Dienstjahr

Falls das Dienstverhältnis […] durch Auflösung wegen unverschuldeten Lizenzverlustes endet, gebührt dem Dienstnehmer […] abhängig vom Dienstalter eine Unterstützungsleistung in folgender Höhe:

[…]

c. Ab Beginn des 21. Dienstjahres: € 350.000,-- brutto

49.1.3 Während der letzten 10 Jahre vor Erreichen des gesetzlichen Regelpensionsalters verringert sich im Hinblick auf die Verkürzung der Karriereerwartungen die Unterstützungsleistung pro Jahr um 10% (zB im 10. Jahr Reduktion auf 90% der Leistung, im 9. Jahr auf 80% der Leistung, …, im letzten Jahr 0% der Leistung).

[...]

51. Unverschuldeter Lizenzverlust

51.1 Ein unverschuldeter Lizenzverlust liegt nur dann vor, wenn dem Dienstnehmer der Zivilluftfahrerschein bzw das medizinische Tauglichkeitszeugnis gemäß seiner letzten Tätigkeit wegen Krankheit oder Unfalls für mindestens 12 Monate oder dauernd entzogen wird […].

[…]

51.2 Unverschuldeter Lizenzverlust im Sinn der vorstehenden Bestimmungen ist auch das Nichtbestehen einer zur Lizenzerhaltung vorgeschriebenen Prüfung (Proficiency Check) wegen objektiv altersbedingter Abnahme der Fähigkeiten zur Berufsausübung bei Piloten, die das 55. Lebensjahr überschritten haben, und sofern das negative Prüfungsergebnis nicht durch absichtliches oder fahrlässiges Verhalten des Piloten verursacht wurde.“

[9] Die Beklagte entrichtete für den Kläger Beiträge an eine Mitarbeiter‑Vorsorgekasse gemäß BMSVG.

[10] Der Kläger war im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Inhaber einer Fluglizenz. Bis zum Abzug vom Flugdienst hatte er die behördlich vorgeschriebenen, regelmäßigen Überprüfungen jeweils erfolgreich absolviert, die letzte am 24. 3. 2017.

[11] Die Beklagte teilt ihren Piloten grundsätzlich im Dienstplan die periodisch anfallenden fachlichen und medizinischen Untersuchungen, die zur Lizenzerhaltung notwendig sind, ein und organisiert – wenn gewünscht – diese Termine. Für bei der Beklagten nicht verwendete Flugzeugtypen kümmern sich die Piloten selbständig um die lizenzrechtlichen Erneuerungen. Nach dem Abzug vom Flugdienst wurde der Kläger von der Beklagten anders als zuvor nicht zu Untersuchungen eingeteilt. Grund dafür war einerseits das Grounding, also der Umstand, dass der Kläger wegen des Scheiterns beim FOQAM nicht für die Beklagte im Flugdienst eingesetzt wurde, weiters die geplante Ausflottung der vom Kläger bis dahin verwendeten Flugzeugtype (Fokker), weshalb der Proficiency Check für die Beklagte keinen Nutzen mehr gehabt hätte. Es wäre dem Kläger aber weiterhin möglich gewesen, sich selbständig darum zu kümmern. Die Kosten wären ihm von der Beklagten ersetzt worden. Dem Kläger wurde niemals die Fluglizenz entzogen, da er jedoch keine Untersuchungen mehr absolviert hatte, war er im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr berechtigt ein Flugzeug zu lenken.

[12] Weder der Kläger noch die Beklagte meldeten zu irgendeinem Zeitpunkt der Austro Control GmbH Prüfungsergebnisse oder Gutachtensergebnisse den Kläger betreffend im Sinne von sicherheitsbezogenen Vorkommnissen.

[13] Der Kläger begehrte 350.000 EUR brutto sA und bringt vor, er habe die gemäß FOQAM‑BV erhöhten Mindeststandards, zu deren Einhaltung sich die Beklagte gegenüber der Luftfahrtbehörde verpflichtet habe, nicht mehr erfüllt. Er sei daher in diesem Sinn behördlich flugunfähig gewesen. Seine Fluglizenz sei im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs aber auch nur mehr formal aufrecht gewesen. Es liege ein einem unverschuldeten Lizenzentzug iSd Punkt 49 ff KV-Bord gleichzuhaltender Fall vor. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, einem Piloten, dessen Dienstverhältnis gekündigt werde, weil ihm der Zivilluftfahrerschein bzw das medizinische Tauglichkeitszeugnis für die Dauer von 12 Monaten von der Luftfahrtbehörde entzogen werde, eine „Unterstützungsleistung“ zu gewähren, einem Piloten, dem die Lizenz zwar von der Flugbehörde (noch) nicht entzogen worden sei, der aber von der Beklagten wegen Nichterfüllung der erhöhten Mindeststandards, zu denen sich die Beklagte gegenüber der Luftfahrtbehörde verpflichtet habe, gekündigt werde, hingegen nicht. Darüber hinaus liege auch ein Punkt 51.2 KV‑Bord gleichzuhaltender Fall vor, weil die negativen Prüfungsergebnisse auf eine objektiv altersbedingte Abnahme der Fähigkeiten bei der Berufsausübung zurückzuführen seien und das Nichtbestehen der zur Lizenzerhaltung vorgeschriebenen Prüfungen dem Nichtbestehen der auf Grundlage der FOQAM‑BV angeordneten Tests gleichzuhalten sei. Die starre Lebensaltersgrenze zusätzlich zur Voraussetzung der langen Dienstdauer in dieser Bestimmung sei altersdiskriminierend und daher nichtig. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gerade noch nicht 55 Jahre alt gewesen. Der Anspruch werde daher eventualiter auch auf Punkt 51.2 KV‑Bord gestützt.

[14] Die Beklagte sei verpflichtet, sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen, Ereignisse und Vorkommnisse der Luftfahrtbehörde (Austro Control GmbH) unverzüglich mitzuteilen. Darunter fielen insbesondere sämtliche sicherheitsbezogenen Informationen, die Inhaber österreichischer Zivilluftfahrerscheine betreffen (§ 136 Luftfahrtgesetz). Die Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, die negativen Testergebnisse des Klägers beim „FOQAM“ und die negativen DLR‑Gutachten der Austro Control GmbH unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Hätte sie dieser Verpflichtung entsprochen, so hätte die Austro Control GmbH – schon nach Vorliegen des ersten DLR‑Gutachtens vom 26. 10. 2017 – den Zivilluftfahrerschein des Klägers wegen Fluguntauglichkeit sofort entzogen. Die Beklagte sei dem behördlichen Lizenzentzug zuvorgekommen, indem sie den Kläger noch vor Abschluss des zweiten DLR‑Testverfahrens – mit der Begründung einer negativen Zukunftsprognose – gekündigt habe, ohne dieses Sicherheitsrisiko der Flugbehörde anzuzeigen. Der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei die Fluglizenz nicht entzogen worden bzw dieser sei im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs noch Inhaber einer Fluglizenz gewesen, sei daher treuwidrig.

[15] Die Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es aber dem Grunde nach und brachte vor, der Anspruch auf eine Unterstützungsleistung setze den Verlust der behördlichen Lizenz voraus. Der Kläger sei jedoch zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs Inhaber einer aufrechten Fluglizenz gewesen. Sie habe das Dienstverhältnis gekündigt, weil der Kläger die – über die behördlichen Vorgaben hinausgehenden – betriebsinternen Qualitätsstandards nicht erfüllt habe. Die Kündigung sei daher nicht erfolgt, weil der Kläger per se fluguntauglich gewesen sei, sondern weil er für die Beklagte nicht mehr einsetzbar gewesen sei. Nur bei behördlichem Lizenzverlust könne der Kläger bei keinem Luftfahrtunternehmen mehr als Pilot arbeiten. Ungeachtet dessen, dass er die betriebsinternen Qualitätsstandards der Beklagten nicht erfüllt habe, hätte er bei einem anderen Luftfahrtunternehmen weiterhin als Pilot arbeiten können. Auch ein Fall des Punktes 51.2 KV‑Bord liege nicht vor. Die Auflösung des Dienstverhältnisses sei nicht deswegen erfolgt, weil der Kläger einen Proficiency Check nicht bestanden hätte. Zudem habe er bei Auflösung des Dienstverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht überschritten gehabt. Weiters sei das Nichterfüllen der betrieblichen Sicherheitsstandards nicht auf eine objektiv altersbedingte Abnahme seiner Fähigkeiten zur Berufsausübung zurückzuführen.

[16] Jeder Pilot sei persönlich für die Aufrechterhaltung seiner behördlichen Erlaubnis verantwortlich. Lediglich die Kosten für die Verlängerung der Lizenzen und Tauglichkeitszeugnisse würden während des aufrechten Dienstverhältnisses von der Beklagten getragen. Der Kläger hätte jederzeit ohne Zutun der Beklagten den für den weiteren Einsatz im Flugbetrieb einer Airline behördlich vorgeschriebenen Proficiency Check direkt bei der Austro Control GmbH als zuständige Luftfahrtbehörde absolvieren können. Die Beklagte treffe auch keine Meldepflicht an die Austro Control GmbH. Mit dem Abzug vom Flugdienst habe sie jegliches Sicherheitsrisiko in Bezug auf den weiteren Einsatz des Klägers im Flugbetrieb der Beklagten beseitigt. § 136 LFG sei keine Grundlage für die vom Kläger zu Unrecht behauptete Meldepflicht gegenüber der Luftfahrtbehörde. Wenn der Kläger der Ansicht gewesen wäre, dass er (aus flugtechnischen oder medizinischen Gründen) „absolut flugunfähig“ sei, wäre er nach dem Betriebshandbuch selbst verpflichtet gewesen, dies mitzuteilen. Bei Fluguntauglichkeit aus medizinischen Gründen wäre er verpflichtet gewesen, eine Meldung an einen behördlich anerkannten Flugmediziner zu erstatten, der dies an die Austro Control GmbH melden hätte müssen. Ob einem Piloten in Österreich die Lizenz entzogen werde bzw entzogen werden müsse, entscheide ausschließlich die Austro Control GmbH als nationale Luftfahrtbehörde.

[17] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Voraussetzungen des Punktes 51.2 KV‑Bord lägen nicht vor. Dem Kläger stünde aber auch keine auf Punkt 51.1 KV‑Bord zu gründende Zahlung zu, da seine Fluglizenz bei Dienstende aufrecht gewesen sei. Die Kollektivvertragsparteien hätten das unverschuldete Nichterreichen der FOQAM‑Kriterien dem unverschuldeten Lizenzverlust nicht gleichgestellt, es handle sich auch nicht um vergleichbare Tatbestände, da aus dem Nichterreichen der FOQAM‑Kriterien nur eine interne Flugunfähigkeit bei der Beklagten, keine Flugunfähigkeit am gesamten Arbeitsmarkt folge. § 136 Abs 1 Z 1 LFG enthalte eine Meldepflicht für Halter von Zivilluftfahrtzeugen, eine solche gelte aber auch für Piloten. Die Beklagte habe unmittelbar nach den Ergebnissen des FOQAM‑Moduls durch das Grounding dafür gesorgt, dass der Kläger nicht mehr als Pilot zum Einsatz komme. Nach Einlangen des DLR‑Gutachtens habe für die Beklagte kein Anlass bestanden, eine Meldung durchzuführen. Es wäre dem Kläger auch möglich und zumutbar gewesen, die erforderlichen ärztlichen Untersuchungen zur Erhaltung der Lizenz durchzuführen.

[18] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung nicht Folge. Punkt 49 KV‑Bord knüpfe den Anspruch auf Unterstützungsleistung an die Auflösung des Dienstverhältnisses wegen unverschuldeten Lizenzverlusts. Dass der Kläger bei der Kündigung seines Dienstverhältnisses nicht mehr im Besitz eines gültigen medizinischen Tauglichkeitszeugnisses gewesen sei, sei daran gelegen, dass sein letztes Tauglichkeitszeugnis infolge Zeitablaufs nicht mehr gültig gewesen sei. Da dies nicht auf die Entscheidung eines zur Beurteilung der Flugtauglichkeit autorisierten flugmedizinischen Sachverständigen (AME) zurückzuführen gewesen sei, könne nicht von einer „Entziehung“ des medizinischen Tauglichkeitszeugnisses gesprochen werden. Die Unterstützungsleistung solle erkennbar an das Vorliegen einer Entscheidung der Luftfahrtbehörde oder eines von dieser autorisierten flugmedizinischen Sachverständigen geknüpft werden. Da diese der Dienstnehmer selbst herbeiführen könne, sei eine planwidrige Lücke zu verneinen. Auch ein Fall des Punktes 51.2 KV‑Bord liegt nicht vor.

[19] Eine Pflicht der Beklagten, die Testergebnisse der DLR‑Untersuchungen des Klägers der Luftfahrtbehörde zu melden, liege nicht vor und lasse sich auch aus den vom Kläger genannten Rechtsquellen nicht ableiten.

[20] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil der Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen regelmäßig über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

[21] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[22] Die Beklagte beantragt, die Revision zurück‑, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[23] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

[24] 1. Der Kläger begehrt eine Unterstützungsleistung nach Punkt 49.1.2 KV‑Bord. Eine solche steht bestimmten Dienstnehmern, zu denen der Kläger unstrittig gehört, zu, falls das Dienstverhältnis […] durch Auflösung wegen unverschuldeten Lizenzverlustes endet.

[25] 2.1. Was unter unverschuldetem Lizenzverlust zu verstehen ist, definieren Punkt 51.1 und Punkt 51.2 KV‑Bord.

[26] 2.2. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, dass sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus Punkt 51.2 iVm Punkt 49.1.2 KV‑Bord ableiten lässt, wendet sich die Revision des Klägers nicht, darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

[27] 2.3. Nach Punkt 51.1 KV‑Bord liegt ein unverschuldeter Lizenzverlust nur dann vor, wenn dem Dienstnehmer der Zivilluftfahrerschein bzw das medizinische Tauglichkeitszeugnis gemäß seiner letzten Tätigkeit wegen Krankheit oder Unfalls für mindestens 12 Monate oder dauernd entzogen wird. Auch diese Voraussetzungen waren nach den Feststellungen bei Beendigung des Dienstverhältnisses nicht erfüllt.

[28] 2.4. Die Revision argumentiert, dass Punkt 49. ff KV‑Bord entgegen der Ansicht der Vorinstanzen auf den vorliegenden Sachverhalt analog anzuwenden seien.

[29] 3.1. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RS0010088). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828; RS0008897).

[30] 3.2. Ob das Fehlen einer kollektivvertraglichen Regelung im Sinne einer Gesetzeslücke zu werten ist, ist im Weg der teleologischen Auslegung zu prüfen (RS0070904 [T1]). Weist der Kollektivvertrag eine planwidrige Lücke auf, ist diese entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für die Gesetzesauslegung im Weg der Analogie zu schließen (RS0008845 [T5]; RS0010089 [T40]). Eine Analogie ist dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RS0106092 [T2]). Das bloß rechtspolitisch Erwünschte vermag der ergänzenden Rechtsfindung durch Analogiebildung nicht als ausreichende Grundlage zu dienen (RS0103694). Eine solche Lücke ist vielmehr nur dort anzunehmen, wo das Gesetz bzw hier der Kollektivvertrag gemessen an seiner eigenen Ansicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz bzw vom Kollektivvertrag gewollten Beschränkung widerspricht. Ohne Vorliegen einer Lücke gleichsam an die Stelle des Normgebers zu treten und einen Regelungsinhalt rechtsfortbildend zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu (RS0098756 [T3, T10, T14]; RS0008870 [T2]; RS0008757; vgl auch 8 ObA 6/15p).

[31] 4.1. Hervorzuheben ist zunächst, dass der KV‑Bord die Unterstützungsleistung für das Cockpitpersonal nur für zwei bestimmte Fälle vorsieht, nämlich den Tod des Dienstnehmers und den unverschuldeten Lizenzverlust. Für das Kabinenpersonal dagegen ist eine Unterstützung für die Fälle Tod bzw Invalidität in Folge eines Arbeitsunfalls vorgesehen (Punkt 49.2.1 und 49.2.2 KV‑Bord). Bereits daraus ergibt sich, dass die Kollektivvertragsparteien die Unterstützungsleistung bewusst nur für bestimmte Fälle differenziert nach Arbeitnehmergruppen vorsehen wollten.

[32] 4.2. Im Fall des „unverschuldeten Lizenzverlustes“ wurde zusätzlich in Punkt 51 KV‑Bord ausdrücklich definiert, was darunter zu verstehen ist. Verlangt wird – soweit für das Verfahren von Relevanz – ein bestimmter Punkt des Verlustes („Entziehung“) konkret genannter Berechtigungen („Zivilluftfahrerschein bzw des medizinischen Tauglichkeitszeugnis“) aus bestimmten Gründen (wegen „Krankheit oder Unfalls“ unter Ausschluss bestimmter anderer genau bezeichneter Ursachen) für einen bestimmten Mindestzeitraum („mindestens 12 Monate“).

[33] Auch daraus ergibt sich, dass die Unterstützungsleistung nicht generell für Notsituationen oder jeden, auch nicht jeden unverschuldeten Fall des Eintritts der Flugunfähigkeit gedacht ist, kann doch den Kollektivvertragsparteien nicht unterstellt werden, nicht bedacht zu haben, dass über diesen engen Rahmen hinaus eine Reihe von Fällen denkbar ist, in denen die Fortsetzung der Pilotentätigkeit unverschuldet nicht möglich ist.

[34] 4.3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Kollektivvertragsparteien die Unterstützungsleistung nicht generell bei Krankheit, Unfall, Invalidität oder Arbeitsunfähigkeit gewähren wollten, sondern nur bei Vorliegen ganz bestimmter, eng umschriebener Sachverhalte.

[35] 5.1. Der Kläger argumentiert nun, dass die unverschuldete Nichterfüllung der gemäß FOQAM‑BV erhöhten Mindeststandards einen Fall darstelle, der dem im Kollektivvertrag geregelten Lizenzverlust wertungsmäßig entspricht, weshalb Punkt 49. ff KV‑Bord analog darauf anzuwenden sei.

[36] 5.2. Dies würde, wie dargelegt, voraussetzen, dass eine planwidrige Lücke vorliegt, dass also die Kollektivvertragsparteien diesen Fall nicht bedacht haben und, wenn sie ihn bedacht hätten, ihn aufgrund der gleichliegenden Interessenlage in die Regelung einbezogen hätten.

[37] 5.3. Richtig haben die Vorinstanzen aber darauf hingewiesen, dass es schon an einer vergleichbaren Interessenlage fehlt, da die Nichterfüllung der erhöhten Mindeststandards zwar dazu führt, dass der entsprechende Dienstnehmer für die Beklagte nicht mehr einsetzbar ist, aber dessen ungeachtet auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter als Pilot beschäftigt werden kann. Daran ändert auch nichts, dass der Lizenzverlust „nur“ eine Mindestdauer von 12 Monaten voraussetzt. Wurde das Dienstverhältnis aus diesem Grund beendet, könnte der Dienstnehmer für ein Jahr seine Tätigkeit als Pilot überhaupt nicht ausüben und daher kein adäquates Einkommen erzielen. Auch wenn dieser Zweck im KV nicht ausdrücklich genannt wird, ergibt sich dieser schon aus der vorher dargestellten nur auf wenige, für die Arbeitnehmer sehr einschneidende Sachverhalte beschränkten Regelungen über die Zuerkennung der Unterstützungsleistung.

[38] 5.4. Entgegen der Revision steht bei der Unterstützungsleistung auch nicht der „Abfertigungscharakter“ im Vordergrund. Zwar ist die Höhe von der Dauer der Dienstleistung abhängig, der Kläger übergeht aber, dass diese mit der Nähe zum Pensionsalter wieder abnimmt (Punkt 49.1.3 KV‑Bord) und im letzten Jahr 0 beträgt. Es geht daher in erster Linie um eine Überbrückungshilfe bei Verlust der Flugfähigkeit, nicht um eine Entlohnung für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft für einen längeren Zeitraum. Daran ändert auch die Parallele zu der Regelung der „erhöhten Abfertigung“ in Punkt 48. KV‑Bord für Dienstnehmer, die Anspruch auf eine „Abfertigung‑Alt“ haben, nichts, sagt die Bezeichnung nicht notwendiger Weise etwas über den rechtlichen Charakter einer Leistung aus.

[39] 5.5. Für den Fall der unverschuldeten Nichterfüllung nur der gemäß FOQAM‑BV erhöhten Mindeststandards ist eine planwidrige Lücke daher zu verneinen.

[40] 6.1. Der Kläger argumentiert weiters, dass jedenfalls dann, wenn die Voraussetzungen des Lizenzentzugs vorliegen, unabhängig davon, ob die Behörde die Lizenz tatsächlich bei Beendigung des Dienstverhältnisses schon entzogen hat, eine Unterstützungsleistung nach Punkt 49. KV‑Bord zu zahlen sei.

[41] 6.2. Auch in diesem Fall ist allerdings eine Analogie nur möglich, wenn man das Vorliegen einer planwidrigen Lücke annimmt. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien nicht bedacht hätten, dass Flugunfähigkeit vorliegen kann, ohne dass bereits ein Lizenzverlust eingetreten ist, wird diese dem Lizenzverlust ja regelmäßig vorangehen. Dessen ungeachtet haben sie die Unterstützungsleistung von einem genau definierten „Lizenzverlust“ abhängig gemacht. Daraus ergibt sich aber, dass sie die Leistung von einer behördlichen Entscheidung über die Flugfähigkeit abhängig machen wollten, nicht allein vom Vorliegen der Erfüllung der objektiven Umstände.

[42] Allein dass eine Regelung für derartige Fälle allenfalls wünschenswert wäre, reicht, wie dargelegt, nicht aus.

[43] 7.1. Soweit die Revision der Beklagten die Verletzung von Meldepflichten vorwirft, handelt es sich, wie der Kläger selbst erkennt, um Meldepflichten zu sicherheitsrelevanten Informationen gegenüber den Behörden, die der Wahrung der Flugsicherheit dienen. Diese Regelungen dienen dagegen nicht der Wahrung finanzieller Ansprüche einzelner Dienstnehmer des Luftfahrtunternehmens. Selbst wenn daher eine solche Meldepflichtverletzung vorläge, könnte der Kläger daraus keine Forderungen ableiten.

[44] 7.2. Der Beklagten kann aber auch keine Treuwidrigkeit vorgeworfen werden, weil sie vor Beendigung des Dienstverhältnisses nicht weiterführende Schritte gesetzt hat, um einen Lizenzverlust des Klägers herbeizuführen.

[45] Abgesehen davon, dass die Beklagte auch nach Vorliegen der Gutachten davon ausgehen konnte, dass der Kläger nur die von ihr implementierten erhöhten Standards nicht erfüllt und nicht generell flugunfähig ist – immerhin hatte er bis zur Einführung dieser Standards über die notwendigen, behördlich geprüfte Qualifikation verfügt –, gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Meldung unterlassen worden wäre, um dem Kläger zu schaden. Dass aber die Unterstützungsleistung nicht ausbezahlt wird, wenn die im Kollektivvertrag normierten Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, stellt für sich allein keine Treuwidrigkeit dar.

[46] 8. Nach Punkt 33.1 KV‑Bord ist der Dienstnehmer für die Aufrechterhaltung der behördlichen Erlaubnis (Zivilluftfahrerschein, Tauglichkeitszeugnis) verantwortlich. Allein, dass der Kläger nach seinem Grounding nicht mehr für entsprechende Untersuchungen eingeteilt wurde, kann der Beklagten daher nicht zum Vorwurf gemacht werden.

[47] 9. Zusammenfassend liegen die im KV‑Bord normierten Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Unterstützungsleistung nicht vor. Eine analoge Anwendung der Regelung auf den Anlassfall würde eine planwidrige Lücke voraussetzen, die aber zu verneinen ist. Eine Treuwidrigkeit der Beklagten, weil sie nicht aktiv einen Lizenzentzug des Klägers betrieben hat, lässt sich aus dem Sachverhalt nicht ableiten.

[48] Zu Recht haben daher die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[49] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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