OGH 8ObA6/15p

OGH8ObA6/15p26.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch seinen Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Mag. Johann Schneller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Draxler Rexeis Stampfer Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 841,62 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. November 2014, GZ 7 Ra 64/14g‑14, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Mai 2014, GZ 30 Cga 5/14k‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBA00006.15P.0226.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 299,57 EUR (darin 49,93 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 17. 1. 2005 bis 30. 9. 2013 als Sachbearbeiterin beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis, das durch Dienstgeberkündigung endete, ist die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Pflegepersonal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) anzuwenden. Vom 18. 4. 2013 bis 31. 10. 2013 war die Klägerin im Krankenstand.

In der Klage wird (soweit im Revisionsverfahren noch strittig) der Anspruch auf Entgeltfortzahlung vom 1. 10. bis 17. 10. 2013 erhoben. Gemäß § 60 Abs 1 Z 1 lit b DO.A seien der Klägerin, die das fünfte Dienstjahr bereits vollendet habe, im Fall einer Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unglücksfall die Dienstbezüge sechs Monate zu 100 % weiterzubezahlen. Diese garantierte Bezugsdauer dürfe gemäß § 9 Abs 1 AngG durch eine vorherige Dienstgeberkündigung nicht einseitig verkürzt werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es vertrat die Rechtsansicht, die Regelung des § 9 Abs 1 AngG sei bei teleologisch orientierter Auslegung nicht nur auf die gesetzliche Anspruchsdauer, sondern auch auf günstigere kollektivvertragliche Regelungen unmittelbar anzuwenden.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten Folge und änderte die angefochtene Entscheidung im klagsabweisenden Sinn ab.

Der § 9 Abs 1 AngG beziehe sich schon nach seinem klaren Wortlaut nur auf die Entgeltfortzahlung für die im Angestelltengesetz vorgesehene Dauer. Der Umstand, dass die DO.A zwar erheblich längere Entgeltfortzahlungsfristen als § 8 AngG gewähre, aber keinen über § 9 AngG hinausgehenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach Beendigung des Dienstverhältnisses vorsehe, lasse noch nicht auf eine planwidrige Gesetzeslücke schließen. Es sei ohne weiteres zulässig, dass ein Kollektivvertrag eine Besserstellung der ihm unterworfenen Dienstnehmer gegenüber den gesetzlichen Entgeltfortzahlungsregelungen auf aufrechte Dienstverhältnisse beschränke und für den Fall der Vertragsbeendigung nur die gesetzlichen Ansprüche gewahrt blieben.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des § 60 Abs 1 DO.A bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig, weil die zu lösende Auslegungsfrage potentiell einen größeren Kreis von Personen und Institutionen betrifft, die als Dienstnehmer und Dienstgeber dem Geltungsbereich der DO.A unterliegen. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

1. Die Revision argumentiert zusammengefasst, die Regelung des § 60 Abs 1 DO.A unterscheide nicht zwischen Entgeltfortzahlungsansprüchen bei aufrechtem und bei beendetem Dienstverhältnis, weshalb anzunehmen sei, dass die Kollektivvertragsparteien eine Verkürzung des Entgeltfortzahlungszeitraums nach § 60 Abs 1 DO.A durch Dienstgeberkündigung nicht gewollt hätten. Ein solcher hypothetischer Wille entspreche dem in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Regelungszweck des § 9 Abs 1 AngG, die Entgeltfortzahlung bei längerdauernden Krankenständen nicht als Kündigungsanreiz für den Dienstgeber wirken zu lassen. Folge man der Rechtsansicht des Berufungsgerichts, hätte es die beklagte Partei aber in der Hand, die gegenüber dem § 8 Abs 1 und 2 AngG günstigeren kollektivvertraglichen Entgeltfortzahlungsansprüche ihrer Dienstnehmer durch Beendigung des Dienstverhältnisses zu verkürzen.

2. Die Streitteile und die Vorinstanzen gehen zutreffend davon aus, dass es sich bei der DO.A um einen Kollektivvertrag handelt (RIS‑Justiz RS0054394; 9 ObA 163/08y; 9 ObA 146/12d). Unbestritten ist auch, dass die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags nach ständiger Rechtsprechung objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen hat (RIS‑Justiz RS0010088).

Dabei ist in erster Linie der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Führt der Wortsinn der Bestimmung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist mittels objektiv-teleologischer Interpretation nach dem Sinn und Zweck zu fragen, den die Regelung vernünftigerweise haben kann (8 ObA 47/13i; 9 ObA 2/09y).

Die einzelnen Interpretationsmethoden nach § 6 ABGB stehen zwar in keinem starren Rangverhältnis zueinander, wenn aber bereits die an Wortlaut und Bedeutungszusammenhang orientierte Interpretation zu einem eindeutigen Verständnis der Norm führt, ist eine Heranziehung weiterer, insbesondere historisch-teleologischer Interpretationsmethoden entbehrlich ( Posch in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 6 Rz 25; F. Bydlinski in Rummel , ABGB³ § 6 Rz 25).

Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung nicht abgewichen.

Der zur Entscheidung über die hier maßgeblichen Rechtsfragen wesentliche Einleitungssatz des § 60 Abs 1 DO.A lautet:

„Ist der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, werden die Dienstbezüge weitergezahlt, und zwar

1. die ständigen Bezüge (…) nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) von

a) weniger als 5 Jahren .... 3 Monate zu 100 %,

b) 5 Jahren …. 6 Monate zu 100 % (…)

Die Revision setzt der überzeugenden Begründung des Berufungsgerichts, dass eine Verhinderung „an der Leistung der Dienste“ nur dann eintreten kann, wenn eine Dienstpflicht besteht, sodass sich § 60 Abs 1 DO.A nach seinem Wortlaut nur auf ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis bezieht, kein eigenes Argument entgegen.

3. Die Revision erblickt allerdings im Fehlen einer die verlängerte Bezugsdauer nach § 60 Abs 1 DO.A auch im Fall des früheren Endes des Dienstverhältnisses wahrenden Bestimmung in der DO.A eine planwidrige Regelungslücke, die durch Analogie zu schließen wäre. Diese Überlegung vermag nicht zu überzeugen.

Der Regelungsgegenstand des § 60 Abs 1 DO.A ist klar und in sich geschlossen. Er entspricht dem § 8 Abs 1 AngG über die Ansprüche bei Dienstverhinderung, dessen Fristen aber durch die günstigeren kollektivvertraglichen Fristen der DO.A verdrängt werden. Auch § 8 Abs 1 AngG begründet freilich keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung über das rechtliche Ende des Dienstverhältnisses hinaus.

Ein solcher Anspruch kann sich nur auf § 9 Abs 1 AngG stützen, und zwar nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung in der Dauer der Entgeltfortzahlungsfristen des Angestelltengesetzes. Davon zulässigerweise abweichende kollektivvertragliche oder einzelvertragliche Fristen werden, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, nicht erfasst. Die Revision stellt dieses Auslegungsergebnis gar nicht mehr in Frage.

4. Durch § 60 DO.A wird nur die in § 8 AngG normierte Mindestdauer der Entgeltfortzahlung verlängert. Eine gegenüber § 9 Abs 1 AngG günstigere, die längere kollektivvertragliche Bezugsdauer nach Ende der Kündigungsfrist wahrende Regelung findet sich in der DO.A nicht, sodass insoweit (auch nach der erklärten Ansicht der Revisionswerberin) nach § 40 AngG die gesetzlichen Ansprüche aufrecht bleiben.

In welchem Ausmaß durch einen Kollektivvertrag eine gegenüber dem zwingenden Gesetzesinhalt günstigere Regelung erfolgen soll, unterliegt prinzipiell der Autonomie der Kollektivvertragsparteien. Es steht ihnen frei, einen günstigeren Anspruch (hier: auf Verlängerung der Fristen des § 8 AngG) an weitere Bedingungen zu knüpfen.

Der Vergleichsmaßstab für die Günstigkeit kollektivvertraglicher Sonderregelungen ist immer das Gesetz, aber nicht andere kollektivvertragliche Bestimmungen. Eine günstigere kollektivvertragliche Regelung eines Teilbereichs verpflichtet die Vertragsparteien nicht ‑ worauf die Argumentation der Klägerin letztlich hinausläuft ‑ schon deswegen zur Gewährung weiterer Vergünstigungen, weil durch die erste Ausnahmeregelung eine gewisse Verzerrung der Proportionen gegenüber den gesetzlichen Ansprüchen entstanden ist.

Das Argument der Revisionswerberin, es liege eine ungewollte Regelungslücke innerhalb der DO.A vor, weil das Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts einen Anreiz für der DO.A unterworfene Dienstgeber bieten würde, Dienstnehmer wegen eines längeren Krankenstands zu kündigen, um sich die Entgeltfortzahlung teilweise zu ersparen, ist daher nicht überzeugend.

Sie vermag keinen fassbaren Anhaltspunkt dafür aufzuzeigen, dass die Kollektivvertragsparteien der DO.A die Möglichkeit übersehen haben, dass die Bezugsdauer nach § 60 Abs 1 DO.A bei Beendigung des Dienstverhältnisses verkürzt werden kann, obwohl sie ansonsten eine umfassende Sonderregelung für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen haben.

5. Denkmöglich wäre umgekehrt eine planwidrige Unvollständigkeit des § 9 Abs 1 AngG, die jedoch von der Revisionswerberin erkennbar nicht geltend gemacht wird und auch nicht vorliegt.

Eine Intention des Gesetzgebers, auch verlängerte (kollektiv-)vertragliche Entgeltfortzahlungsfristen durch ein Weiterbezugsrecht nach Ende der Kündigungsfrist ungeschmälert zu wahren, hat ‑ selbst wenn sie jemals bestanden haben sollte ‑ explizit keinen Eingang in § 9 Abs 1 AngG gefunden. Dieser bezieht sich nur auf die nach dem Angestelltengesetz geltende Dauer der Entgeltfortzahlung und nicht auf eine zulässigerweise vereinbarte bzw kollektivvertragliche Dauer.

Allein die Meinung eines Rechtsanwenders, eine Regelung wäre wünschenswert, rechtfertigt aber die Annahme einer Gesetzeslücke nicht. Eine solche Lücke ist nur dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Ansicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Ohne Vorliegen einer Gesetzeslücke gleichsam an die Stelle des Normgebers zu treten und einen Regelungsinhalt rechtsfortbildend zu schaffen, dessen Herbeiführung ausschließlich diesem obläge, steht den Gerichten nicht zu (RIS-Justiz RS0098756 [T3, T10, T14]; RS0008870 [T2]; RS0008757).

6. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

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