OGH 13Os43/23g

OGH13Os43/23g19.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juli 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Wunsch in der Strafsache gegen * S* und andere Angeklagte wegen Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB, AZ 217 U 120/21s des Bezirksgerichts Graz-Ost, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 1. Oktober 2021 (ON 16) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00043.23G.0719.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 217 U 120/21s des Bezirksgerichts Graz-Ost verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 1. Oktober 2021 (ON 16) in seinen Schuldsprüchen wegen Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB diese Bestimmung.

Dieses Urteil wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

* S*, * Sa* und * A* werden gemäß § 259 Z 3 StPO von den Vorwürfen freigesprochen, es hätten in G*

* S* und * Sa* im bewussten und gewollten Zusammenwirken, indem sie Kandidaten von automationsunterstützt durchgeführten theoretischen Führerscheinprüfungen mit technischen Hilfsmitteln bei der Beantwortung der Fragen unterstützten, bewirkt (b) und zu bewirken versucht (a), dass gutgläubig Tatsachen, nämlich der Umstand, dass die Prüfungskandidaten über ausreichende Kenntnisse der für das Lenken eines Kraftfahrzeugs maßgeblichen kraftfahrrechtlichen Bestimmungen und Verfahrensvorschriften und des für das sichere Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Verhaltens verfügen, in Führerscheinen, sohin in inländischen öffentlichen Urkunden, unrichtig beurkundet werden, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, dass die Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis dieser Tatsachen gebraucht werden, und zwar

(a) am 10. November 2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit (dem Prüfungskandidaten) * A*, wobei eine Aufsichtsperson die Manipulation bemerkte, sowie

(b) in etwa zehn weiteren Fällen in Bezug auf unbekannt gebliebene Prüfungskandidaten.

 

Gründe:

[1] Mit seit 5. Oktober 2021 (vgl ON 18) rechtskräftigem, in gekürzter Form ausgefertigtem (§ 270 Abs 4 StPO iVm § 447 StPO) Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 1. Oktober 2021 (ON 16) wurden * S* und * Sa* wegen des zuvor wiedergegebenen Vorwurfs jeweils mehrerer Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach §§ 228 Abs 1 und 15 StGB sowie * A* eines solchen, im Versuchsstadium (§ 15 StGB) verbliebenen Vergehens schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

[2] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzen die Schuldsprüche das Gesetz:

§ 228 StGB dient dem Schutz von echten, aber – bezogen auf den Errichtungsakt – inhaltlich unwahren(unrichtigen) inländischen öffentlichen Urkunden sowie inländischen öffentlichen Beglaubigungszeichen vor unrichtiger Beurkundung. Beurkundet werden die den Zweck der Errichtung bildenden Tatsachen, die den jeweils maßgebenden Vorschriften zu entnehmen sind („errichtungsbezogener Wahrheitsschutz“, 13 Os 132/18p, RIS‑Justiz RS0132393; Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 4 und 15 f mwN; Roitner SbgK § 228 Rz 9, 30 und 52; Leukauf/Steininger/Tipold,StGB4 § 228 Rz 5a, vgl auch RIS‑Justiz RS0129941, RS0112902 und RS0119212).

[3] Demnach muss der Täter im ersten Fall des § 228 Abs 1 StGB bewirken, dass eine im Errichtungszweck der Urkunde gelegene Tatsache gutgläubig unrichtig beurkundet wird.

[4] Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen einfachen (schlichten) und qualifizierten Beweisurkunden. Während Erstere mit öffentlichem Glauben nur die Tatsache bezeugen, dass eine bestimmte Person vor einer Urkundsperson bestimmte Angaben gemacht hat, bezeugen qualifizierte Beweisurkunden die inhaltliche Richtigkeit der in ihnen verkörperten Erklärung. Der Errichtungszweck begrenzt auch den Umfang der qualifizierten Beweiskraft, die nicht unbedingt die gesamte Urkunde erfasst. Bezüglich jener Angaben, die nicht von der qualifizierten Beweiskraft erfasst werden, stellen auch öffentliche Urkunden unter dem Aspekt des § 228 StGB nur schlichte Beweisurkunden dar (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 16 ff und Roitner SbgK § 228 Rz 53 ff je mwN, Nordmeyer in WK2 StGB § 311 Rz 17).

[5] Davon ausgehend hätte der gegenständliche Sachverhalt nicht § 228 Abs 1 StGB unterstellt werden dürfen.

[6] Ein Führerschein ist eine qualifizierte Beweisurkunde im Sinn des § 228 StGB, die die Erteilung einer Lenkberechtigung (§ 13 Abs 1 FSG) sowie die Identität (Name und Geburtsdatum) beweist. Allein darauf beschränkt sich daher dessen qualifizierte Beweiskraft (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 18 und 20; Roitner SbgK § 228 Rz 27, 30, 57 und 59; vgl auch RIS‑Justiz RS0112902).

[7] Die Beurkundung einer mit Bescheid erteilten Lenkberechtigung (§ 3 FSG), die ihrerseits unter vorangegangenem Einsatz unlauterer Mittel bei der automationsunterstützten theoretischen Fahrprüfung (§ 3 Abs 1 Z 4 FSG iVm §§ 10 f FSG) erwirkt worden ist, stellt keine Beurkundung einer inhaltlich unrichtigen, sondern der (richtigen) Tatsache der Erteilung einer Lenkberechtigung in einem Führerschein (§ 13 FSG) dar (vgl RIS‑Justiz RS0093293).

[8] Das Erwirken eines allenfalls rechtswidrigen Hoheitsaktes (hier die – gesetzlich fingierte – behördliche Mitwirkung an der Erteilung einer Lenkberechtigung [s EBRV 1073 BlgNR 22. GP  6 f]) wird von § 228 StGB nicht erfasst (Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 5 mwN, Roitner SbgK § 228 Rz 12 und 51).

[9] Wie die Generalprokuratur ebenfalls zutreffend ausführt, kann der Tatbestand des § 228 Abs 1 StGB auch nicht im Hinblick auf den bei der automationsunterstützten theoretischen Fahrprüfung (§§ 11 Abs 1 und 2, 11a Abs 1 und 4 FSG sowie § 1 FSG‑PV) von der – gemäß § 3 Abs 5 FSG bestellten, funktionell als Beamter einschreitenden (17 Os 17/14z) – Aufsichtsperson erstellten Ergebnisausdruck (§ 3 Abs 5 FSG‑PV) erfüllt sein. Denn dieser Norm zufolge hat die Aufsichtsperson die Identität der Kandidaten festzustellen, die Prüfung zu starten und nach deren Beendigung die Prüfungsergebnisse einzusammeln, die Prüfsummen zu überprüfen, den Ergebnisausdruck zu unterschreiben, den Kandidaten das Ergebnis bekanntzugeben sowie die Prüfungsergebnisse in das Führerscheinregister (§§ 16 ff FSG) einzutragen und sie der Behörde zu übermitteln.

[10] Der demnach nur für den behördeninternen Gebrauch bestimmte Ergebnisausdruck stellt kein geeignetes Tatobjekt des § 228 Abs 1 StGB dar (sogenannte „schlichte amtliche Urkunde“, Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 228 Rz 7 ff sowie § 224 Rz 27 ff, Nordmeyer in WK2 StGB § 311 Rz 16, RIS‑Justiz RS0095967).

[11] Da sich der aufgezeigte Rechtsfehler zum Nachteil der Verurteilten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, das Urteilaufzuheben und in der Sache selbst mit Freisprüchen vorzugehen (§ 292 letzter Satz StPO).

[12] Denn das konstatierte Verhalten der Angeklagten kann auch keiner anderen strafbaren Handlung subsumiert werden:

[13] So umfasst der in § 293 StGB verwendete, auf Sachbeweise (darunter auch echte, aber inhaltlich unrichtige Daten [„Lugdaten“, Reindl‑Krauskopf in WK2 StGB § 225a Rz 7, Plöchl in WK2 StGB § 293 Rz 15]) einzuschränkende Beweismittelbegriff alles, was dazu dienen kann, ein Gericht oder eine Behörde von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung zu überzeugen (Plöchl in WK2 StGB § 293 Rz 9, RIS‑Justiz RS0096383). Falsch im Sinn dieser Norm ist ein Beweismittel, wenn es bei seinem Gebrauch geeignet ist, die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen in eine andere Richtung zu lenken, als sich sonst die Situation darstellt (Tipold SbgK § 293 Rz 25 mwN). Eine „schriftliche Lüge“ ist aber nur dann tatbildlich, wenn ihr ein über die bloße Behauptung des Vorliegens der dem jeweiligen Verfahren zugrunde liegenden Anspruchsvoraussetzungen oder das bloße Vorbringen des eigenen Verfahrensstandpunkts hinausgehender Beweiswert zukommt (Plöchl in WK2 StGB § 293 Rz 18, Tipold SbgK § 293 Rz 19 f, Kienapfel/Schroll in WK2 StGB § 223 Rz 162/1 ff), was hier jedenfalls zu verneinen ist.

[14] Täuschung (§ 108 StGB) kommt schon wegen des Ausschlusses von Hoheitsrechten aus dem Kreis tatbildlicher Rechte (§ 108 Abs 2 StGB) nicht in Betracht.

[15] Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichermaßen als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).

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