OGH 7Ob87/23d

OGH7Ob87/23d28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Patrick Maydell, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, gegen die beklagte Partei W*, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2023, GZ 5 R 178/22s‑98, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00087.23D.0628.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten haushaltsversichert; darin war eine Privat- und Sporthaftpflichtversicherung beinhaltet. Dem zugrunde lagen die HH1‑Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherungen (idF „ABH“); sie lauten auszugsweise:

Art 8 Was gilt als Versicherungsfall?

1. Versicherungsfall ist ein Schadensereignis, das dem privaten Risikobereich entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen [...] erwachsen oder erwachsen könnten.

[...]

Artikel 10 Welche Gefahren sind mitversichert?

Die Versicherung erstreckt sich auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens […].“

[2] Am 27. 12. 2019besuchte der damals beim Bundesheer als Ausbildner tätige Kläger mehrere Freunde in einer Wohngemeinschaft. Da er für den darauffolgenden Tag eine private Waffenübung plante, hatte er seine Pistole in einer Sporttasche dabei. Nach dem Genuss von einigen Tassen alkoholhaltigem Punsch nahm er diese Waffe aus der Tasche, um sie herzuzeigen. Er legte ein Magazin ein, in dem sich seiner Meinung nach lediglich eine Übungspatrone befand. Tatsächlich befand sich unter der Übungspatrone eine scharfe Patrone, die der Kläger im Zuge eines „Waffenchecks“ unabsichtlich nachlud und aus Unachtsamkeit nicht bemerkte. Danach betätigte er absichtlich den Abzug, ohne sich zu vergewissern, wo sich die verschiedenen Personen, die sich in den Räumlichkeiten bewegten, gerade aufhielten. Er schoss einem Mitbewohner in den Brustbereich und verletzte ihn schwer.

[3] Die Vorinstanzen haben die Deckungsklage des Klägers abgewiesen, weil das Verhalten des Klägers bereits von der primären Risikoumschreibung in Art 10 ABH nicht umfasst sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Kläger zeigt mitseiner außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Dass eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu einem gleichartigen (oder hinreichend ähnlichen) Fall fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0110702 [T5]). Eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen liegt – entgegen der in seiner Revision vertretenen Ansicht des Klägers – nicht vor:

[5] 1. Der versicherungsrechtliche Begriff der „Gefahr des täglichen Lebens“ ist nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, dass davon jene Gefahren, mit denen üblicherweise im Privatleben eines Menschen gerechnet werden muss, umfasst sind (RS0081099). Die Gefahr, haftpflichtig zu werden, stellt im Leben eines Durchschnittsmenschen nach wie vor eine Ausnahme dar. Deshalb will die Privathaftpflichtversicherung prinzipiell Deckung auch für außergewöhnliche Situationen schaffen, in die auch ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Freilich sind damit nicht alle ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeiten abgedeckt (RS0081276). Für das Vorliegen einer Gefahr des täglichen Lebens ist nicht erforderlich, dass sie geradezu täglich auftritt. Vielmehr genügt es, wenn die Gefahr erfahrungsgemäß im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch seltener, eintritt. Es darf sich nur nicht um eine ungewöhnliche Gefahr handeln, wobei Rechtswidrigkeit oder Sorglosigkeit eines Vorhabens den daraus entspringenden Gefahren noch nicht die Qualifikation als solche des täglichen Lebens nehmen. Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall ist nämlich eine Fehlleistung oder eine schuldhafte Unterlassung des Versicherungsnehmers (RS0081070). Allerdings hat der Fachsenat auch schon in Fällen (bloß) fahrlässiger Handlungen die Verneinung des Vorliegens einer Gefahr des täglichen Lebens durch das Berufungsgericht als nicht korrekturbedürftig erachtet (etwa 7 Ob 47/21v [Powerturn mit Motorboot]; 7 Ob 126/17f [unvorsichtige Schweißarbeiten]; 7 Ob 13/18I [Verletzung bei einer Wasserbombenschlacht]; 7 Ob 7/22p [Fahren mit einem unbeleuchteten Fahrrad in alkoholisiertem Zustand]). Die Abgrenzung zwischen dem gedeckten Eskalieren einer Alltagssituation und einer nicht gedeckten ungewöhnlichen und gefährlichen Tätigkeit hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, was in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet (7 Ob 126/17f; 7 Ob 13/18i ua).

[6] 2. Wenn die Vorinstanzen das Mitnehmen einer Waffe in eine fremde Wohnung und das nach dem Konsum von Alkohol erfolgte Manipulieren an dieser Waffe einerseits völlig ohne Anlass und andererseits so unaufmerksam, dass die scharfe Patrone übersehen wurde und letztlich das Betätigen des Abzugs in einer Wohnung voller Menschen als ein Verhalten qualifiziert haben, das über die Fehleinschätzung einer gefährlichen Situation hinausgeht, so hält sich das im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Der Versicherte schuf hier eine besondere Gefahrensituation, ohne dass dafür die geringste Notwendigkeit bestand. Eine solche Situation tritt erfahrungsgemäß auch im normalen Lebenslauf nicht immer wieder ein. Im vorliegenden Fall hat sich daher keine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht.

[7] 3. Auch aus den in der Revision zitierten Entscheidungen des Fachsenats ist für den Kläger nichts gewonnen. Entgegen seiner Ansicht ist das in der Entscheidung 7 Ob 100/20m beurteilte bewusste und gewollte Schaffen einer Brand- oder Explosionsgefahr und das der Entscheidung 7 Ob 86/19a zugrundeliegende Einlassen in einen Raufhandel mit dem durch das Mitführen, Auspacken und Herzeigen einer Waffe sowie dem Betätigen des Abzugs geschaffene Gefahrenpotential durchaus vergleichbar.

[8] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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