OGH 13Os110/22h

OGH13Os110/22h28.6.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Mair in der Finanzstrafsache gegen K* K* und eine Angeklagte wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten K* K* und R* K* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 9. September 2021, GZ 4 Hv 18/18h-528, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, und der Finanzstrafbehörde, Dr. Konrad, der Angeklagten K* K* und R* K* sowie des Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Stenitzer-Preininger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00110.22H.0628.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Finanzstrafsachen

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden werdenverworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im K* K* und R* K* betreffenden Schuldspruch wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (IV), soweit sich dieser auf die Verkürzung von Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag betreffend die KalendermonateJänner 2006 bis November 2010 bezieht, sowie im R* K* betreffenden Schuldspruch wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (III), soweit sich dieser auf im Jahr 2006 bewirkte Verkürzungen an Kapitalertragsteuer bezieht, und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (IV), soweit sich dieser auf die Verkürzung von Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen betreffend die Kalendermonate des Jahres 2006 bezieht, sowie demzufolge auch im Strafausspruch beider Angeklagten (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und es wird im Umfang der Aufhebung

(1) in der Sache selbst erkannt:

K* K* und R* K* werden gemäß § 214 FinStrG vom Vorwurf freigesprochen, sie hätten in Bezug auf die Kalendermonate Jänner 2006 bis November 2010 (R* K* ab dem 2. Juni 2006) im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Oststeiermark als geschäftsführende oder faktisch geschäftsführende Gesellschafter der K* GmbH vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG 1988 sowie dazu ergangenen Verordnungen entsprechenden Lohnkonten Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag um insgesamt 238,85 Euro verkürzt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

K* K* wird für die von der Aufhebung unberührt gebliebenen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I und III), nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (II) und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG in der zur jeweiligen Tatzeit geltenden Fassung (IV) unter Bedachtnahme auf § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG idF BGBl I 2019/62 zu einer Geldstrafe von 1.700.000 Euro (in Worten: eine Million siebenhundertausend Euro), im Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von zehn Monaten, verurteilt.

Gemäß § 23 Abs 5 FinStrG wird die von K* K* vom 15. Jänner 2013, 7:20 Uhr, bis zum 5. Dezember 2013, 15:00 Uhr, erlittene Vorhaft auf die verhängte Strafe angerechnet.

 

(2) die Sache im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

 

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden K* K* und R* K* jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (I und III), nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (II) und nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG in der zur jeweiligen Tatzeit geltenden Fassung (IV) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie im Zuständigkeitsbereich des (damaligen) Finanzamts Oststeiermark als geschäftsführende oder faktisch geschäftsführende Gesellschafter der K* GmbH, nunmehr Ka* GmbH, somit als für die abgabenrechtlichen Belange Verantwortliche, im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter (§ 11 erster Fall FinStrG) vorsätzlich eine Verkürzung nachstehender Abgaben mit einem strafbestimmenden Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) von insgesamt 3.357.308,97 Euro teils bewirkt, teils zu bewirken versucht (§ 13 FinStrG), und zwar

I) vom Jänner 2006 „(R* K* ab 2. Juni 2006)“ bis zum 14. September 2012 unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten durch Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen, nämlich

an Umsatzsteuer für die Jahre 2006 bis 2010 jeweils um 133.333,33 Euro und für das Jahr 2011 um 132.571,98 Euro sowie

an Körperschaftsteuer für die Jahre 2006 bis 2010 jeweils um etwa 166.667 Euro und für das Jahr 2011 um 147.143 Euro, wobei es in Bezug auf das Jahr 2011 beim Versuch (§ 13 FinStrG) blieb,

II) vom Jänner 2012 bis zum 15. Februar 2013 in mehrfachen Angriffen unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen an Umsatzsteuer um insgesamt 133.443,75 Euro und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, indem sie in den Voranmeldungen für die Monate Jänner 2012 bis Dezember 2012 jeweils Umsätze und Erlöse verschwiegen,

III) vom Jänner 2006 „(R* K* ab 2. Juni 2006)“ bis zum Dezember 2012 unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten an Kapitalertragsteuer um insgesamt 1.400.000 Euro, indem sie deren Anmeldung und Abfuhr im Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen von insgesamt 5.600.000 Euro an den Gesellschafter K* K* jeweils binnen einer Woche nach Zufließen der Kapitalerträge (US 26) unterließen, wobei K* K* in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, sowie

IV) vom 1. Jänner 2006 „(R* K* ab 2. Juni 2006)“ bis zum Mai 2013 in wiederholten Angriffen monatlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von § 76 EStG 1988 sowie dazu ergangener Verordnungen entsprechenden Lohnkonten an Lohnsteuer um insgesamt 37.293,80 Euro, Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen um insgesamt 6.298,62 Euro sowie Zuschlägen zu den Dienstgeberbeiträgen um insgesamt 557,50 Euro und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen den Schuldspruch richten sich die aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde desAngeklagten K* K* sowie die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 (richtig) lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten R* K*.

[4] Gegen den Strafausspruch richten sich die Berufungen, wobei die Angeklagten jeweils eine Reduktion der verhängten Strafen fordern, während die Staatsanwaltschaft in Bezug auf beide Angeklagten jeweils eine Erhöhung der Geldstrafen und der Ersatzfreiheitsstrafen anstrebt sowie nach Maßgabe des § 15 Abs 2 FinStrG die Verhängung einer Freiheitsstrafe fordert.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten K* K*:

[5] Die Hauptverhandlung fand am 11. April 2019 (ON 418), am 28. August 2019 (ON 434), am 17. Oktober 2019 (ON 444), am 24. Juli 2020 (ON 462a) und am 9. September 2021 (ON 527) statt.

[6] Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 4) gegen die angebliche Abweisung „mehrmals gestellte[r]“ Anträge auf Beiziehung eines „Buchsachverständigen“ richtet, es aber verabsäumt, die genaue Fundstelle der behaupteten Antragstellung innerhalb des – umfangreichen (insgesamt weit mehr als hundert Seiten umfassenden und fünf Verhandlungstage dokumentierenden) – Protokolls über die Hauptverhandlung zu nennen, bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0124172).

[7] Indem sich die Beschwerde auf einen „Beweisantrag vom 21. 07. 2020“ stützt, bezieht sie sich schon nach ihrem eigenen Vorbringen nicht auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag oder einen dort erhobenen Widerspruch, obwohl die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 dies voraussetzt (RIS-Justiz RS0099250).

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten R* K*:

[8] Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung (ON 527 S 29) der nachstehenden Beweisanträge Verteidigungsrechte nicht geschmälert.

[9] K* K* räumte nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung ein, dass der Bilanzbuchhalter * P* die Informationen über den Warenbestand von ihm erhalten und diese nicht mit dem tatsächlichen Warenbestand verglichen habe (ON 527 S 4 und 6). Im Lichte dieser Verantwortung ließ der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des * P* zum Beweis dafür, dass die „Liste vom 10. Dezember 2009“ nicht den Gesamtwarenbestand der K* GmbH per 10. Dezember 2009 darstellte und der Sachverständige daher von falschen Parametern ausgegangen sei (ON 527 S 5 f), nicht erkennen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse. Solcherart war der Antrag auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330).

[10] Entsprechendes gilt für den dadurch angestrebten Nachweis, dass die in Rede stehende Inventarliste nicht von * P*, sondern von dessen Vorgänger, * Si*, erstellt worden sei (ON 527 S 27). Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll gab K* K* nämlich an, dass auch Letzterer den Warenbestand bloß nach seinen (K* K*s) Angaben erfasst habe (ON 527 S 28).

[11] Der Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder Dr. So* wurde in der Hauptverhandlung als Sachverständiger beigezogen und hielt seine bereits erstellten – mit Einverständnis der Parteien vorgetragenen (ON 527 S 32) – Gutachten in der Hauptverhandlung aufrecht (ON 462a S 13 ff und ON 527 S 15 und 18 ff). Den Verteidigern wurde zur Möglichkeit der Entkräftung seines – den Angeklagten nachteiligen – Gutachtens ein umfangreiches Fragerecht eingeräumt (ON 462a S 15 bis 18 ff und ON 527 S 18 ff).

[12] Sofern die Kritik an der „unterlassene[n]“ Beiziehung eines Buchsachverständigen als solche am Gutachten des gerichtlich beigezogenen Sachverständigen zu verstehen ist, sei erwidert, dass ein aus Z 4 garantiertes Recht auf Überprüfung eines Sachverständigenbeweises nur insoweit besteht, als der Beschwerdeführer in der Lage ist, einen der in §§ 125 f StPO angeführten Mängel von Befund oder Gutachten aufzuzeigen und das in § 127 Abs 3 erster Satz StPO beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos geblieben ist (RIS-Justiz RS0117263; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351 und 373).

[13] Soweit sich die Verfahrensrüge auf vor der Vernehmung des Sachverständigen (vgl dazu ON 527 S 18 ff) gestellte Anträge bezieht (ON 434 S 18 f und ON 464a S 3 f), vermag sie einen solchen Mangel naturgemäß nicht darzutun.

[14] Indem sie es im Weiteren verabsäumt, die genaue Fundstelle einer nach diesem Zeitpunkt behaupteten Antragstellung innerhalb des – wie dargelegt umfangreichen – Protokolls über die Hauptverhandlung zu nennen und in einem Fall eine Seite anführt („Hauptverhandlung vom 09. 09. 2021 ... PS 21“), auf der sich kein Beweisbegehren der Beschwerdeführerin findet, bringt sie den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS‑Justiz RS0124172).

[15] Hinzugefügt sei, dass die Nichtbeiziehung eines weiteren Sachverständigen selbst auf der Basis des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden ist, weil sich dieses darauf beschränkt, den eigenen Prozessstandpunkt zu wiederholen (vgl ON 434 S 18 ff und ON 462a S 3 ff), ohne sich substantiiert mit den diesbezüglichen Ergänzungen und Erläuterungen des Sachverständigen auseinanderzusetzen.

[16] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS-Justiz RS0115902).

[17] Das unter „§ 281 Abs 1 Z 5, Z 5a StPO“ erstattete Vorbringen wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

[18] Soweit die Beschwerde aus Verfahrensergebnissen anhand eigener Beweiswerterwägungen für die Beschwerdeführerin günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

[19] Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider wurde die Verantwortung des K* K* vom Erstgericht nicht übergangen, sondern – soweit im angesprochenen Zusammenhang erheblich – mit eingehender Begründung als unglaubwürdig verworfen (US 31 f, 47, 48, 50 f, 55, 58, 59 f, 61). Zu einer Erörterung sämtlicher Aussagedetails war es entsprechend dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0098778 und RS0106295).

[20] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Feststellungen zum Vorsatz der R* K* (US 25, 27 und 28) bestreitet, verfehlt sie den im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[21] Der Einwand, das Erstgericht habe Verfahrensergebnisse zum Zeitpunkt der Bestellung der Beschwerdeführerin zur Geschäftsführerin übergangen (der Sache nach Z 5 zweiter Fall), trifft nicht zu (siehe dazu US 5 und 20).

[22] Die Beschwerdeforderung einer „zwingend vorzunehmende[n] Aufteilung“ lässt nicht erkennen, welche Feststellungen aufgrund welcher rechtlichen Erfordernisse zusätzlich zu den getroffenen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich sein sollen, und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erwiderung (RIS-Justiz RS0116565).

 

[23] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen (§ 288 Abs 1 StPO).

[24] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil, wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 11 StPO anhaftet, die den Angeklagten zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[25] Nach den Feststellungen des Erstgerichts war R* K* ab 2. Juni 2006 Geschäftsführerin der K* GmbH (US 5 und 20). Zur Vertretung der Abgabenschuldnerin berufen war sie somit vor diesem Zeitpunkt nicht, aus welchem Grund insoweit unmittelbare Täterschaft (§ 11 erster Fall FinStrG) kraft organschaftlicher Vertretung (§ 80 Abs 1 BAO) ausscheidet. Feststellungen zu unmittelbarer Täterschaft infolge sogenannter faktischer Geschäftsführung (zum Begriff RIS-Justiz RS0119794) oder zu einer Bestimmungs- oder Beitragstäterschaft im Sinn des § 11 zweiter und dritter Fall FinStrG (dazu Lässig in WK2 FinStrG § 11 Rz 4 ff) finden sich im angefochtenen Urteil nicht.

[26] Ungeachtet dessen beziehen sich aber Teile des Schuldspruchs auf ab Jänner 2006 bewirkte Verkürzungen von Kapitalertragsteuer (III) sowie Lohnsteuer, Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlägen zum Dienstgeberbeitrag (IV), in den Entscheidungsgründen werden dazu lediglich die im Jahr jeweils insgesamt bewirkten Verkürzungsbeträge festgestellt (US 26 ff). In Ansehung der Angeklagten R* K* tragen die Urteilskonstatierungen den Schuldspruch, soweit er sich auf im Jahr 2006 bewirkte Verkürzungen bezieht, somit nicht.

[27] Im Bereich der Kapitalertragsteuer (§ 93 Abs 1 EStG) ist selbständige Tat das Unterlassen der auf einen bestimmten Ertragszufluss bezogenen Kapitalertragsteuerabfuhr (§ 96 Abs 1 EStG) unter Verletzung der korrespondierenden (§ 96 Abs 3 EStG) Anmeldungspflicht (RIS-Justiz RS0124712 [T1, T3 und T4]).

[28] Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG werden durch dort pönalisiertes Verhalten bezogen auf Entrichtungszeiträume verwirklicht, sodass sachverhaltsmäßig hinsichtlich jedes solchen Zeitraums und jeder Abgabenart unabhängig von der Höhe der Hinterziehungsbeträge eine selbstständige Tat und damit jeweils ein Finanzvergehen verwirklicht wird (RIS-Justiz RS0118311 [T2] und RS0124712, Lässig in WK² Vor FinStrG Rz 10). Durch § 33 Abs 2 lit b FinStrG sind die Lohnsteuer (§§ 47 bis 92 EStG), der Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (§§ 39 Abs 2 lit a und 41 bis 43 FLAG) und seit 1. Jänner 2011 auch die Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag (§ 122 Abs 7 und 8 WKG) finanzstrafrechtlich geschützt.

[29] Mit Blick auf die dargestellten Tatbegriffe lassen die Konstatierungen des Erstgerichts in Bezug auf im Jahr 2006 bewirkte Verkürzungen an Kapitalertragsteuer (Schuldspruch III) nicht erkennen, ob – gegebenenfalls in welchem Umfang – das Unterlassen der Kapitalertragsteuerabfuhr unter Verletzung der korrespondierenden Anmeldungspflicht in den Verantwortungsbereich der Angeklagten R* K* gefallen ist (Z 9 lit a).

[30] Gleiches gilt für den Schuldspruch der R* K* nach § 33 Abs 2 lit b FinStrG (IV) in Bezug auf die Kalendermonate Jänner 2006 bis April 2006 (Z 9 lit a). Hinzu kommt, dass nach dem Urteilssachverhalt zwar in Bezug auf jeden weiteren Kalendermonat des Jahres 2006 von einer (auch) von dieser Angeklagten bewirkten Abgabenverkürzung an Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen von mehr als „null“ (und zwar bezogen auf jeden Entrichtungszeitraum) auszugehen ist, der exakte Verkürzungsbetrag insoweit aber nicht feststeht (Z 11 erster Fall).

[31] Rechtlich verfehlt ist – worauf auch die Generalprokuratur zutreffend hinweist – der Schuldspruch IV in Bezug auf die bis einschließlich November 2010 angefallenen und solcherart bis spätestens 15. Dezember 2010 abzuführenden Zuschläge zum Dienstgeberbeitrag (§ 122 Abs 7 und 8 WKG), weil diese Zuschläge von der vor dem 1. Jänner 2011 in Geltung gestandenen Fassung des § 33 Abs 2 lit b FinStrG BGBl I 1999/28 finanzstrafrechtlich noch nicht geschützt waren.

[32] Die aufgezeigten Rechtsfehler erforderten die Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

 

Zur Strafneubemessung betreffend den Angeklagten K* K*:

[33] Der strafbestimmende Wertbetrag (§ 53 Abs 1 FinStrG) beläuft sich (gegenüber den Urteilskonstatierungen um 238,85 Euro reduziert) auf 3.357.070,12 Euro, sodass unter Bedachtnahme auf § 21 Abs 1 und 2 FinStrG nach § 33 Abs 5 FinStrG ([auch] idF BGBl I 2019/62) von einem Geldstrafrahmen bis zum Zweifachen dessen, also von 6.714.140,24 Euro auszugehen war.

[34] Bei der Strafbemessung war – jeweils iVm § 23 Abs 2 letzter Satz FinStrG – erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Finanzvergehen und der lange Tatzeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie die führende Tatbeteiligung (§ 33 Abs 1 Z 4 StGB), mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das teilweise Verbleiben im Versuchsstadium (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB), die teilweise Schadensgutmachung (§ 34 Abs 1 Z 14 StGB), das teilweise abgelegte reumütige Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und der Umstand, dass der Angeklagte die Taten schon vor längerer Zeit begangen und sich seither wohlverhalten hat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB). Die lange Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB) war ebenso als mildernd zu veranschlagen, weil zwischen den insoweit maßgebenden Verfahrensschritten, nämlich dem In-Kenntnis-Setzen des (nunmehr) Angeklagten, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird, und der Rechtskraft des verurteilenden Erkenntnisses (RIS-Justiz RS0124901 [T4]) ein Zeitraum von rund zehn Jahren liegt. Trotz der Komplexität des Falls verstößt diese Verfahrensdauer unter Anlegung des vom EGMR im Rahmen der Gesamtschau herangezogenen Maßstabs (dazu Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig et al, EMRK4 Art 6 Rz 207 f) gegen das Angemessenheitserfordernis des Art 6 Abs 1 erster Satz MRK, sodass sich eine Detailuntersuchung nach allfälligen Perioden behördlicher Untätigkeit erübrigt. Die in der Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wird anerkannt und in Form einer ausdrücklichen und messbaren Strafreduktion ausgeglichen.

[35] Ausgehend von den dargestellten Strafbemessungsgründen (§ 23 Abs 2 erster Satz FinStrG) wäre auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 23 Abs 1 FinStrG) unter Berücksichtigung der gewerbsmäßigen Begehungsweise in Bezug auf den Schuldspruch III (§ 23 Abs 2 zweiter Satz FinStrG) sowie der persönlichen Verhältnisse undder wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten (§ 23 Abs 3 FinStrG) eine Geldstrafe von 2.000.000 Euro (das sind rund 30 % der gesetzlich vorgesehenen Maximalsanktion) schuldangemessen. Als Ausgleich für die in der langen Verfahrensdauer gelegene Grundrechtsverletzung wird die Strafe unter besonderer Gewichtung des Milderungsgrundes des § 34 Abs 2 StGB auf 1.700.000 Euro reduziert.

[36] Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe war eine – mit Blick auf die diesbezügliche Höchststrafe von einem Jahr (§ 20 Abs 2 erster Satz FinStrG) angemessene – Ersatzfreiheitsstrafe (§ 20 Abs 1 FinStrG) von zehn Monaten zu bestimmen.

[37] Angesichts des hohen Schuldgehalts sowie der gezielten Hinterziehung von Abgaben über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren standen der bedingten Nachsicht eines Teils der Strafe sowohl spezial- als auch generalpräventive Gründe entgegen.

[38] Mit Blick auf die spürbare unbedingte Geldstrafe bedarf es weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen der zusätzlichen Verhängung einer Freiheitsstrafe (§ 15 Abs 2 FinStrG).

[39] Die Vorhaftanrechnung gründet sich auf § 23 Abs 5 FinStrG.

[40] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft hinsichtlich R* K* auf die Aufhebung des Strafausspruchs, hinsichtlich K* K* auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[41] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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