European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00018.23X.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1 In der Revision der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse wird eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO darin erblickt, dass keine Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob die Beklagte infolge der Neuorganisation der österreichischen Sozialversicherung mit dem SV‑OG (BGBl I 2018/100) auch für Ansprüche von Angestellten hafte, die auf eine „angeblich unrichtige Postenbesetzung lange vor dem 1. 1. 2020“ zurückzuführen seien.
[2] 1.2 Die Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch aus dem klaren Wortlaut des § 538t Abs 2 ASVG, der eine Gesamtrechtsnachfolge anordnet. Sämtliche Rechte und Verbindlichkeiten gehen damit ex lege auf die Österreichische Gesundheitskasse über, ohne dass es einer weiteren Anordnung oder eines weiteren Aktes bedarf (ErläutRV 329 BlgNR 26. GP 21; 10 ObS 94/20a Rz 40; RS0042656).
[3] 1.3 Das Vorbringen, den von der Klägerin im Jahr 2015 angestrebten Dienstposten gebe es infolge der gesetzlichen Organisationsänderung nicht mehr, stellt eine unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung dar.
[4] 2.1 Das Berufungsgericht stützte seine Entscheidung nicht nur auf § 36 Abs 4 DO.A in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung der 90. Änderung zur DO.A, avsv Nr 109/2015, sondern auch auf einen Verstoß gegen das für die Beklagte geltende Frauenförderungsgebot (vgl § 5 der Richtlinien zur Gleichbehandlung von DienstnehmerInnen bei den Sozialversicherungsträgern, RGB, avsv Nr 5/2013).
[5] 2.2 Wird die angefochtene Entscheidung aber auch auf eine selbständig tragfähige Hilfsbegründung gestützt, muss diese im Rechtsmittel bekämpft werden (RS0118709). Die außerordentliche Revision der Beklagten lässt die (alternative) Begründung des Berufungsgerichts zum Frauenförderungsgebot jedoch unbekämpft (RS0118709 [T7]), sodass die Beklagte mit ihren weiteren Ausführungen zu § 36 Abs 4 DO.A schon aus diesem Grund keine für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen vermag.
[6] 3.1 Auf einzelne Argumente in der Revision – insbesondere jene zur Auslegung des § 36 Abs 4 DO.A und dessen zeitlichen Geltungsbereich – ist dennoch kurz wie folgt einzugehen:
[7] 3.2 § 36 Abs 4 DO.A lautete in der zum Zeitpunkt der Ausschreibung des hier in Rede stehenden Dienstpostens (dem 20. 11. 2015; die Besetzung dieses Postens mit dem Mitbewerber der Klägerin erfolgte am 1. 1. 2016) geltenden Fassung der 90. Änderung zur DO.A, avsv Nr 109/2015
„(4) Bei der Besetzung von Stellen der Gehaltsgruppen D bis G sowie III und IV ist den Angestellten des Versicherungsträgers Gelegenheit zur Bewerbung zu geben. Hierbei kommen die höhere Befähigung, die bessere Verwendbarkeit und erforderlichenfalls auch die Leitungseignung in Betracht. Das Dienstalter ist nur bei sonst gleichen Diensteigenschaften maßgebend.“
[8] 3.3 Diese Bestimmung erlegt dem Dienstgeber die Verpflichtung auf, bei der Besetzung bestimmter Posten ein besonderes Verfahren einzuhalten (4 Ob 80/75 = Arb 9455). Ebenso wie bei der Anwendung des Stellenbesetzungsgesetzes (BGBl I 1998/26) ist daher das Sachlichkeitsgebot zu beachten, wovon auch die Beklagte in ihrer Revision selbst ausgeht. Eine unsachliche Besetzungsentscheidung begründet einen Schadenersatzanspruch. Das Gebot, den bestgeeigneten Bewerber auszuwählen, stellt im Ergebnis ein Willkürverbot dar (8 ObA 25/16h; vgl auch 9 ObA 107/20f mzwH).
[9] 3.4 Die Revisionswerberin macht geltend, dass die Frage unbeantwortet sei, wie bei gleichwertigen Diensteigenschaften bzw Qualifikationen iSd § 36 Abs 4 DO.A die Dienstpostenbesetzung richtig zu lösen sei, wenn sich nur zwei Angestellte um den ausgeschriebenen Dienstposten mit stellvertretender Abteilungsleiterfunktion beworben haben, die verschiedenen Geschlechts sind und völlig unterschiedliche Lebensalter und Dienstzeiten aufzuweisen haben.
[10] 3.5 Schon aufgrund des Wortlauts des § 36 Abs 4 DO.A ist aber klar, dass das Dienstalter (nicht: Lebensalter) als Kriterium für die Besetzungsentscheidung relevant ist. Das Dienstalter ist überdies nur bei sonst gleichen Diensteigenschaften zu berücksichtigen.
[11] 3.6 Offen sei nach der Revisionswerberin auch die Frage, wie und nach welchen objektiven Kriterien längere Dienstdauer und höheres Lebensalter der Klägerin mit allenfalls qualitativ höherwertigen Dienstleistungen des Mitbewerbers richtig abzuwägen seien. Wiederum ist auf den Wortlaut des § 36 Abs 4 DO.A zu verweisen, der den Begriff des Lebensalters nicht kennt. Das höhere Dienstalter (von der Revisionswerberin als „längere Dienstzeitdauer“ bezeichnet) spielt wiederum – wie ausgeführt – nur bei sonst gleichen Diensteigenschaften eine Rolle (§ 36 Abs 4 Satz 3 DO.A); Eine Abwägung zwischen „höherwertigen Dienstleistungen“ und „längerer Dienstzeitdauer“ ist § 36 Abs 4 DO.A nicht zu entnehmen. Zu Unrecht moniert die Revisionswerberin in einer dritten von ihr formulierten Frage daher, dass „stets“ die Bewerbung des länger beschäftigten Bewerbers – hier also der Klägerin – das relevante Entscheidungskriterium wäre.
[12] 3.7 Trifft das Gesetz selbst eine klare eindeutige Regelung, liegt aber trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung keine erhebliche Rechtsfrage vor (RS0042656 ua). Dies gilt auch für die Auslegung von Kollektivverträgen (RS0042656 [T15]).
[13] 4.1 Wie die Revisionswerberin darlegt, ist der dritte Satz in § 36 Abs 4 DO.A mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2017 entfallen (94. Novelle der DO.A, avsv Nr 9/2017).
[14] 4.2 Der Ansicht der Revisionswerberin, es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob Angestellte ihre Ansprüche ab Nichterlangung des Dienstpostens „für alle Zukunft“ auf eine ein Jahr später zum Teil aufgehobene Bestimmung stützen können, ist entgegenzuhalten, dass nach § 5 ABGB Gesetze nicht zurückwirken und daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss haben. Dies hat auch für Kollektivverträge zu gelten (9 ObA 8/16s). Es handelt sich dabei zwar um eine bloße Zweifelsregel, weil der Gesetzgeber – vom Verbot rückwirkender Strafgesetze nach Art 7 Abs 1 EMRK abgesehen – auch in einfachen Gesetzen eine Rückwirkung anordnen kann (9 ObA 149/21h; RS0008686; RS0008741). Eine solche Rückwirkung ordnet § 270 Abs 1 DO.A aber für § 36 Abs 4 DO.A nicht an (94. Änderung der DO.A, Z 36, avsv Nr 9/2017). Demnach sind nur die nach dem 1. 1. 2017 verwirklichten Sachverhalte nach § 36 Abs 4 DO.A idF der 94. Änderung der DO.A zu beurteilen, vorher geschehene Handlungen und analog sonstige Sachverhalte sind aber – ebenso wie vorher entstandene Rechte – weiterhin dem alten Gesetz zu unterwerfen (9 Ob 50/14i Pkt 5.2; RS0008715 [T2]). Lediglich bei Dauerrechtsverhältnissen ist im Fall einer Gesetzesänderung mangels abweichender Übergangsregelung der in den zeitlichen Geltungsbereich reichende Teil des Dauertatbestands nach dem neuen Gesetz zu beurteilen (RS0008747; RS0008695 [T18]): Ein solches Dauerrechtsverhältnis liegt hier aber nicht vor, weil das Besetzungsverfahren – als für den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch ursächliches schädigendes Ereignis – jedenfalls vor dem 1. 1. 2016 abgeschlossen war.
[15] 5. Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Beklagten daher zurückzuweisen.
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