European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00105.23I.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die beklagte Geschenknehmerin die ihr vom Erblasser (= Vater der Streitteile) geschenkten Liegenschaften unredlich weitergegeben und dadurch die Ansprüche der klagenden Pflichtteilsberechtigten verkürzt hat.
[2] 2. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab und gingen davon aus, dass die Beklagte mit der Weitergabe der Liegenschaften nicht unredlich bzw fahrlässig gehandelt habe.
Rechtliche Beurteilung
[3] 3. Die Erstklägerin wirft dazu keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
[4] 4.1 Die Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Fall ein Verhalten als redlich oder unredlich zu qualifizieren ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (vgl RS0010184 [T13]; RS0010185 [T7]; RS0103699 [T5]; RS0010168 [T2, T6]).
[5] 4.2 Wenn die Vorinstanzen ein unredliches Verhalten der Beklagten ua deshalb verneinten, weil diese ihren subjektiven individuellen Fähigkeiten nach aufgrund der Auskünfte des Erblassers und der Beurteilung der bei den jeweiligen Schenkungen involvierten Notare darauf vertrauen habe können, dass die Pflichtteilsansprüche der Klägerinnen durch entsprechende Vorempfänge gedeckt seien, bedarf das keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
[6] 4.3 Die Frage, ob sich jemand auf Auskünfte einer rechtskundigen Person nicht verlassen dürfe, wenn diese Auskünfte auf unvollständigen oder unrichtigen Eigenangaben des Auskunftssuchenden beruhen, wirft ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Das Rechtsmittel blendet hier aus, dass die Eigenangaben im Anlassfall nicht von der Beklagten stammten.
[7] 5. Das angefochtene Berufungsurteil widerspricht auch nicht der bisherigen Rechtsprechung. Die Konstellationen, die den im Rechtsmittel zitierten Entscheidungen (2 Ob 176/18y, 2 Ob 199/20h) zugrundelagen, waren im Gegensatz zum vorliegenden Fall nämlich nicht davon geprägt, dass die Geschenknehmer wegen des fachkundigen Rats von Notaren darauf vertrauen konnten, dass Ansprüche von Pflichtteilsberechtigten bereits durch Vorempfänge des Erblassers gedeckt sind. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Beklagte wegen der festgestellten Umstände nicht mit einer erfolgsversprechenden Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen ihrer Schwestern hätte rechnen müssen und deshalb bei der Weitergabe der Liegenschaften redlich gewesen sei, hält sich damit im Rahmen der Judikatur (RS0012958).
[8] 6. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels kann auch nicht auf fehlende Rechtsprechung zur Frage gestützt werden, ob sich die Kriterien des § 790 ABGB idgF mit jenen des § 952 ABGB aF decken. Ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, weil das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RS0042656). Aus den jeweiligen Wortlauten des § 952 ABGB aF und des § 790 Abs 1 ABGB geht nämlich klar hervor, dass sich an den Voraussetzungen der dort normierten Haftung des Geschenknehmers durch das ErbRÄG 2015 nichts geändert hat. Folgerichtig ist in den Materialien zu § 790 ABGB auch davon die Rede, dass es „im Sinne des bisherigen § 952 ABGB“ auf die Unredlichkeit des Geschenknehmers ankommt (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 36) bzw davon, dass sich §§ 951 und 952 „in den §§ 789 ff wieder finden“ (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 40). Die bisherigen §§ 951 und 952 ABGB über die Herausgabe von Schenkungen sollten (nur) deshalb im Anschluss an die Ermittlung des Pflichtteils (§§ 789 ff ABGB) geregelt werden, „um den systematischen Zusammenhang besser herzustellen“ (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 36).
[9] 7. Die Erstklägerin macht erstmals in der außerordentlichen Revision geltend, dass die bei den Schenkungen involvierten Notare von der Beklagten beauftragt (bzw „einbezogen“, „beigezogen“ und „eingesetzt“) worden seien, sodass das Verschulden der Notare nach § 1313a ABGB der Beklagten zuzurechnen sei. Eine solche Beauftragung odgl durch die Beklagte wurde von den Klägerinnen im bisherigen Verfahren nicht vorgebracht, sodass die Ausführungen zu § 1313a ABGB schon wegen des Neuerungsverbots die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen können. Es bedarf damit keiner Prüfung, ob die für § 1313a ABGB notwendige rechtliche Sonderverbindung (RS0028527) zwischen den Streitteilen vorliegt.
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