OGH 7Ob61/23f

OGH7Ob61/23f24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J* T*, vertreten durch Schaller Zabini Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2023, GZ 2 R 156/22h‑18, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. August 2022, GZ 18 Cg 10/22t‑13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00061.23F.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 6.774,92 EUR (darin enthalten 874,82 EUR an USt und 1.526 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist bei der Beklagten seit 20. 10. 2016 rechtsschutzversichert. Die vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung ARB 2016 (in Folge: ARB) lauten auszugsweise:

Art 2

Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?

[...]

3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Art 17.2.1, Art 18.2.1 und Art 19.2.1), sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Art 17.2.4, Art 23.2.1 und Art 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Bei mehreren Verstößen ist der erste, adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalls außer Betracht bleiben [...]

Art 3 

Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)

1. Die Versicherung erstreckt sich grundsätzlich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.

2. Löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Artikel 2.3 aus, besteht kein Versicherungsschutz. Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht.

[…]“

[2] Der Bruder des Klägers gab gegenüber ihrer Mutter mit Notariatsakt vom 7. 2. 1989 einen Pflichtteilsverzicht ab, welcher beim Ableben der Mutter am 25. 3. 2018 noch aufrecht war. Die Mutter setzte in ihrem Testament vom 8. 10. 2016 ihre Tochter als Haupterbin ein und verfügte hinsichtlich des Bruders des Klägers wie folgt: „Mein Sohn * bekommt den Schenkungspflichtteil.“

[3] Die Schwester gab als testamentarische Alleinerbin nach der gemeinsamen Mutter die unbedingte Erbantrittserklärung ab. Die Verlassenschaft wurde ihr mit rechtskräftigem Beschluss vom 17. 7. 2018 zur Gänze eingeantwortet.

[4] Der Bruder verstarb am 12. 2. 2019. Mit rechtskräftigem Einantwortungsbeschluss vom 18. 1. 2021 wurde dem Kläger, der aufgrund des Testaments vom 23. 6. 2016 eine bedingte Erbantrittserklärung abgegeben hatte, die Verlassenschaft nach seinem Bruder zur Gänze eingeantwortet.

[5] Mit Schreiben der Klagevertreter vom 9. 3. 2021 machte der Kläger gegenüber seiner Schwester den später im Verfahren AZ 60 Cg 22/21b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien eingeklagten Anspruch in der Höhe von 1.331.550,17 EUR geltend und setzte eine Zahlungsfrist bis 19. 3. 2021. Mit Schreiben vom 19. 3. 2021 wies die Schwester die Forderung durch ihre Rechtsanwälte zurück.

[6] Mit E‑Mail vom 25. 3. 2021 lehnte die Beklagte die Deckung mit der Begründung ab, dass der Versicherungsfall mit dem Tod der Mutter verwirklicht worden sei. Im Tod der Mutter liege auchder Keim eines Rechtskonflikts, der zu Rechtsfolgekosten führen könne. Da sich der Versicherungsfall noch zu Lebzeiten des verstorbenen Bruders verwirklicht habe, dieser jedoch nicht mitversichert gewesen sei, sei keine Deckung gegeben. Versicherungsbeginn des Klägers für diesen Anspruch sei frühestens der Tod des Bruders. Da dieser Zeitpunkt nach dem Tod der Mutter liege, könne der Versicherungsschutz nicht bestätigt werden.

[7] In seiner Klage vom 24. 3. 2021 vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu AZ 60 Cg 22/21b behauptet der Kläger, dass sein Bruder nach dem Tod der Mutter am 25. 3. 2018 aufgrund deren Testament vom 8. 10. 2016 Vermächtnisnehmer sei. Das Recht des Bruders auf das Vermächtnis sei mit dem Todestag der Mutter entstanden und gleichzeitig auch dessen Fälligkeit eingetreten. Als Gesamtrechtsnachfolger seines Bruders sei der Kläger zur Geltendmachung gegenüber der Erbin berechtigt. Die Schwester bestritt das Vorliegen eines Vermächtnisanspruchs mit der Begründung, dass der Bruder durch seinen umfassenden Pflichtteilsverzicht keinen Pflichtteilsanspruch mehr habe. Selbst wenn ein Vermächtnis ausgesetzt worden wäre, so stehe dem Klagebegehren § 764 Abs 2 ABGB entgegen, weil ein Pflichtteilsergänzungsanspruch der Schwester im reinen Nachlass nicht gedeckt sei, sodass dieser vor einem allfälligen Vermächtnisanspruch zu decken wäre.

[8] Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für das Verfahren AZ 60 Cg 22/21b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien. Nach dem Testament der verstorbenen Mutter habe der Bruder des Klägers den Schenkungspflichtteil erhalten, der aufgrund seines im Jahr 1989 abgegebenen Pflichtteilsverzichts als Vermächtnis aufzufassen sei. Gemäß § 685 ABGB könnten Geldvermächtnisse erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Todestag geltend gemacht werden. Der Bruder sei vor Ablauf dieser Jahresfrist verstorben. Dem Kläger sei die Verlassenschaft nach seinem Bruder eingeantwortet worden. Er sei daher berechtigt, dieses Vermächtnis gegen seine Schwester geltend zu machen. Der für die Deckungsbeurteilung maßgebliche Erbfall sei jener nach dem verstorbenen Bruder und nicht jener nach der Mutter. Der Versicherungsfall sei mit der am 19. 3. 2021 erfolgten Ablehnung des Anspruchs durch die Schwester eingetreten.

[9] Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass der Kläger im Verfahren AZ 60 Cg 22/21b des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien Ansprüche aus einem behaupteten Vermächtnis der Mutter an den verstorbenen Bruder geltend mache. Da der Bruder, der zum Zeitpunkt des Anfalls des behaupteten Anspruchs noch gelebt habe, bei der Beklagten nicht versichert gewesen sei, liege kein Versicherungsfall vor, der von der Beklagten zu decken wäre. Der behauptete Vermächtnisanspruch sei originär nicht beim nunmehrigen Kläger eingetreten. Der Erbverzicht des Bruders vom 7. 2. 1989 sowie das Testament der gemeinsamen Mutter vom 8. 10. 2016 seien als Keim des Konflikts vorvertraglich. Auch aus Art 3.2 ARB ergebe sich die Vorvertraglichkeit, weil das Testament des Bruders vom 23. 6. 2016 jene Willenserklärung im Sinne dieser Bestimmung darstelle, die den Versicherungsfall danach ausgelöst habe. Diese liege innerhalb der Jahresfrist vor Versicherungsbeginn am 20. 10. 2016.

[10] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Maßgeblicher „Verstoß“ und damit der Eintritt des Versicherungsfalls sei das Ablehnungsschreiben der Schwester vom 19. 3. 2021; dies sei zeitlich später als die Gesamtrechtsnachfolge des Klägers nach seinem Bruder und bewirke die Deckungspflicht. Der zeitliche Risikoausschluss gemäß Art 3.2 ARB sei nicht gegeben, weil schon aufgrund der Feststellungen nicht ersichtlich sei, inwiefern das Testament des Bruders den Versicherungsfall ausgelöst haben soll. Soweit die Beklagte die Ablehnung der Deckung darauf stütze, dass kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen bestehe, wenn der zugrundeliegende Erbfall vor Versicherungsbeginn oder innerhalb eines Jahres danach angetreten sei, sei entgegenzuhalten, dass die in Frage stehenden Todesfälle vom 25. 3. 2018 und vom 12. 2. 2019 außerhalb dieser Wartefrist lägen.

[11] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Das Testament der Mutter vom 8. 10. 2016 sei noch nicht als Verstoß zu qualifizieren (mit der Errichtung dieses Testaments habe sie keine Rechtspflicht oder Rechtsvorschrift verletzt). Ihre Willenserklärung aber, die ein Kind als Erbe einsetze und verfüge, dass ein anderes Kind, das einen Pflichtteilsverzicht abgegeben hatte „den Schenkungspflichtteil erhalten“ solle, trage erfahrungsgemäß den Keim eines nachfolgenden Rechtsverstoßes im Zusammenhang mit Streitigkeiten zwischen den Geschwistern auf Zahlung daraus resultierender (behaupteter) Ansprüche geradezu typischerweise in sich. Diese (testamentarische) Willenserklärung der Mutter habe den behaupteten Verstoß der (nicht zahlenden) Schwester auch adäquat verursacht. Dieses – in seiner Bedeutung strittige und den zu deckenden Rechtsstreit auslösende – Testament der Mutter datiere vom 8. 10. 2016 und führe aufgrund des erst späteren Versicherungsbeginns am 20. 10. 2016 zur Bejahung des Ausschlussgrundes des Art 3.2 ARB.

[12] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, es im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Beklagte begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

[15] 1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[16] 1.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [insb T10]).

[17] 1.3 Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommenen Gefahren einschränken oder ausschließen, dürfen Risikoausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RS0107031).

[18] 2. Unstrittig ist, dass für die Beurteilung des Vorliegens des Versicherungsfalls Art 2.3 ARB maßgeblich ist.

[19] 2.1 Nach dieser Bestimmung liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen. Es kommt nicht darauf an, ob der Handelnde sich des Verstoßes bewusst oder infolge von Fahrlässigkeit oder auch unverschuldet nicht bewusst war, es soll sich um einen möglichst eindeutig bestimmbaren Vorgang handeln, der in seiner konfliktauslösenden Bedeutung für alle Beteiligten, wenn auch erst nachträglich, erkennbar ist. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem die Beteiligten von ihm Kenntnis erlangten, noch darauf, wann aufgrund des Verstoßes Ansprüche geltend gemacht oder abgewehrt werden (RS0114001).

[20] 3.1 Nach Art 3.2 ARB besteht kein Versicherungsschutz, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Art 2.3 auslöst. Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht. Bei Art 3.2 ARB handelt es sich um einen zeitlichen Risikoausschluss (7 Ob 328/99g; 7 Ob 193/18k). Er begründet eine Erweiterung der Vorvertraglichkeit, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungsschutzes vorgenommen wurde, den späteren Verstoß ausgelöst hat. Derartige zeitliche Risikoausschlüsse sollen Zweckabschlüsse vermeiden (RS0114213). Die Willenserklärung oder Rechtshandlung, die den Streit auslöst, muss streng von dem für den Eintritt des Versicherungsfalls maßgeblichen Verstoß unterschieden werden. Art 3.2 ARB ist nicht maßgeblich, wenn die Willenserklärung (Rechtshandlung) um die es geht, schon selbst ein tatsächlicher ober behaupteter Verstoß ist (7 Ob 66/18h).

[21] 3.2 Als Willenserklärungen sind Willensäußerungen zu verstehen, die auf eine Rechtsfolge gerichtet sind. Vor dem Hintergrund, dass Ausschlussklauseln im Rahmen der Auslegung nicht weiter ausgelegt werden dürfen, als es ihr Zweck erfordert, ergibt sich, dass nicht jede Willenserklärung oder Rechtshandlung, die zu einem Versicherungsfall führt, im Rahmen des Art 3 ARB den Versicherungsschutz ausschließt. Vielmehr greift der Ausschluss des Art 3.2 ARB dann, wenn die Willenserklärung oder Rechtshandlung ihrer Natur nach erfahrungsgemäß den Keim eines nachfolgenden Rechtsstreits bereits in sich trägt (RS0114210). Selbstverständlich ist, dass nicht jeder noch so ferne Zusammenhang des Rechtsstreits mit der Willenserklärung ausreicht. Vielmehr muss der Rechtsstreit geradezu typische Folge der Willenserklärung sein (7 Ob 66/18h).

[22] 4.1 Der erkennende Senat hat bereits dahin Stellung genommen, dass ein Versicherungsfall ein solches Ereignis darstellt, das die Rechtslage des Versicherungsnehmers ändert. Ereignisse, die zwar den Versicherungsnehmer in irgendeiner Weise persönlich oder wirtschaftlich berühren, bei denen aber von vornherein feststeht, dass sie seine Rechtslage nicht verändert haben können, wie etwa testamentarische Erbeinsetzung oder Enterbung des Versicherungsnehmers durch einen voraussichtlichen künftigen Erblasser, stellen daher den Eintritt des Versicherungsfalls nicht dar, weil noch gar nicht feststeht, ob sie nach dem Tod des Erblassers überhaupt zum Tragen kommen (7 Ob 43/00z; 7 Ob 236/08v).

[23] 4.2 Diese Grundsätze sind auf den Fall der – behaupteten – testamentarischen Einräumung eines Vermächtnisses übertragbar.

[24] 4.3 Der Vermächtnisnehmer erhält durch die letztwillige Verfügung einen Titel, der ihm einen schuldrechtlichen Anspruch auf Leistung gewährt (RS0109864). Hier wird die Wirksamkeit des Testaments der Mutter nicht bestritten, sondern der Versicherungsnehmer beabsichtigtdie Geltendmachung eines– im Erbweg auf ihn übergegangenen – Vermächtnisses gegen die Erbin. In einem solchen Fall liegt der behauptete Verstoß und damit der Versicherungsfall nach Art 2.3 ARB in der – nach der erstmaligen Geltendmachung durch den Versicherungsnehmer – erfolgten Ablehnung der darauf gegründeten Zahlung durch die Erbin, weil sich erst dann die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen beginnt.

[25] 5.1 Im Versicherungsrecht gilt im Grundsatz keine andere Beweislastverteilung als im übrigen Zivilrecht. Danach hat grundsätzlich jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen (RS0037797). Es trägt daher derjenige, der einen Anspruch behauptet, für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungs‑ und Beweislast. Umgekehrt hat derjenige, der den Anspruch bestreitet, die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638). Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat daher – wie bereits ausgeführt – der Versicherer zu führen (RS0107031).

[26] 5.2.1 Die Beklagte brachte im erstgerichtlichen Verfahren hilfsweise vor, dass das Testament des Bruders, in welchem er den Kläger zum Alleinerben berufen habe, jene Willenserklärung nach Art 3.2 ARB darstelle, die den Versicherungsfall ausgelöst habe. Das vom 23. 6. 2016 datierende Testament liege innerhalb der Jahresfrist vor Versicherungsbeginn.

[27] 5.2.2 Inwieweit das Testament des Bruders die, den Erfordernissen des Art 3.2 ARB entsprechende, Willenserklärung darstellen soll, ist nicht nachvollziehbar.

[28] 5.3.1 Darauf, dass das Testament der Mutter die Willenserklärung nach Art 3.2 ARB darstelle, die den Versicherungsfall ausgelöst haben soll, berief sich die Beklagte erstmals – und damit gegen das Neuerungsverbot verstoßend – in der Berufung.

[29] 5.3.2 Indem das Berufungsgericht dementsprechend die zeitliche Risikobegrenzung des Art 3.2 ARB bejahte, verletzte es das Neuerungsverbot. Diese Verletzung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht, kann vom Obersten Gerichtshof aufgegriffen werden, wenn es – wie hier – zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Streitsache geführt hat, indem neue Ansprüche oder Einreden berücksichtigt wurden, die nicht von Amts wegen wahrzunehmen sind (RS0042071 [T6]; vgl auch RS0112215; 5 Ob 161/15k; 9 ObA 81/15z). Handelt es sich doch bei der Missachtung des Neuerungsverbots um eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts gemäß § 503 Z 4 ZPO (Lovrek in Fasching/Konecny³ III/1 § 503 Rz 173 f).

[30] 5.3.3 Das Berufungsgericht beurteilte die vorliegende Streitsache insoweit rechtlich unrichtig, als es einen nicht vorgebrachten Risikoausschluss bejahte. Da das erstmals in der Berufung erstattete Vorbringen nicht zu beachten ist, erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die Frage, ob das Testament der Mutter eine Willenserklärung nach Art 3.2 ARB darstellt.

[31] 6. Davon ausgehend war das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

[32] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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