European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00030.23B.0523.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – * B* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A)(I), des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (A)(II)(1) sowie des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (A)(II)(2) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er
(A) * S*
(I) im Dezember 2021 in T* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sich auf sie legte und den Vaginalverkehr an ihr vollzog, wobei er sie an ihren Armen festhielt und auf das Bett drückte, als sie versuchte, sich zu wehren;
(II) am 10. Juli 2022 in S*
(1) mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs „zu nötigen versucht“, indem er ihr gegenüber sinngemäß äußerte, „dass er sie ficken werde“, sie in einem Feld zu Boden trat, an den Haaren riss, ihren Kopf zu Boden drückte, ihre Kleidung vom Körper riss und sein zum Teil erigiertes Glied an ihrer entblößten Scheide ansetzte (US 5);
(2) dadurch geschädigt, dass er eine fremde bewegliche Sache aus ihrem Gewahrsam dauernd entzog, ohne die Sache sich oder einem Dritten zuzueignen, indem er ihr Smartphone im Wert von 400 Euro in ein Getreidefeld warf.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde durch die Abweisung (ON 15.3, 63) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers (ON 15.3, 62) auf Vernehmung der * Sc* zum Beweis dafür, „dass der Angeklagte in einer Beziehung nicht gewalttätig ist bzw generell kein gewalttätiges impulsives Wesen hat“, wobei es sich um seine Ex‑Lebensgefährtin handle, die über sieben Jahre mit ihm in Lebensgemeinschaft gelebt habe, ihn in Konfliktsituationen gut kenne und bestätigen werde, dass die Vorwürfe haltlos seien, jedenfalls nicht mit der Persönlichkeit des Angeklagten einhergehen würden, Verteidigungsrechte nicht verletzt.
[5] Das Beweisthema betraf nämlich keine erhebliche, also nicht eine solche Tatsache, die unmittelbar oder mittelbar (ohne dabei auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung abzuzielen) der Feststellung entscheidender Tatsachen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0099497) dient (RIS‑Justiz RS0116503, vgl auch RS0098429 [T5, T6]).
[6] Die im Rechtsmittel enthaltenen Ausführungen zur Präzisierung des Antrags sind mit Blick auf das sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebende Neuerungsverbot unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).
[7] Mit Kritik an der Begründung des Schöffengerichts zur Antragsabweisung entfernt sich die Beschwerde vom Prüfungsmaßstab der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO (RIS‑Justiz RS0116749 [T9]).
[8] Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konntedie in der Hauptverhandlung beantragte Einholung eines Gutachtens aus dem Fachbereich der Aussagepsychologie zum Beweis dafür, „dass die Aussagen der Zeugin S* nicht erlebnisfundiert sind, sohin nicht auf eigenen Erlebnissen beruhen“ (ON 15.3, 63), ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten unterbleiben (ON 15.3, 63).
[9] Denn eine sachverständige Hilfestellung bei der – ausschließlich dem Gericht zukommenden (§ 258 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0098297) – Prüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen ist nur in besonders gelagerten Fällen erforderlich. Dies ist etwa bei – durch Beweisergebnisse indizierten – Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit des Zeugen oder dessen (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit, weiters bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht sowie bei Entwicklungsstörungen oder sonstigen Defekten desselben der Fall (RIS‑Justiz RS0097733, RS0097576, RS0120634). Anhaltspunkte für solche Ausnahmekonstellationen legte der Antrag nicht dar.
[10] Das zur Fundierung des Antrags nachgetragene Beschwerdevorbringen ist aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (neuerlich RIS‑Justiz RS0099618).
[11] Die Mängelrüge zum Schuldspruch (A)(I) bekämpft mit den Einwänden von Unvollständigkeit und offenbar unzureichender Begründung (nominell Z 5 erster, zweiter, dritter und vierter Fall) zwar nominell die Feststellungen zum diesbezüglichen objektiven Tatgeschehen (US 3 f), wendet sich aber inhaltlich ausschließlich gegen die Annahme der Glaubwürdigkeit der Zeugin S*, auf deren Aussage das Erstgericht diese Konstatierungen stützte (US 7 f). Diese kann zwar als – in der Regel – erhebliche Tatsache unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen. Der Bezugspunkt besteht dabei aber nicht in der Sachverhaltsannahme der Überzeugungskraft von Aussagen, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T4]). Einen solcherart erörterungsbedürftigen Widerspruch zeigt die Rüge nicht auf, indem sie bloß darauf verweist, dass die Zeugin anlässlich ihrer Vernehmung am 11. Juli 2022 zwar detaillierte Angaben zu den Vorfällen vom 10. Juli 2022 (A)(II) und zu weiteren „den Angeklagten massiv belastenden Umständen“, die sich im November und Dezember 2021 zugetragen haben sollen, machte, die dem Schuldspruch zu (A)(I) zugrunde liegende Vergewaltigung vom Dezember 2021 aber weder im Rahmen dieser Aussage noch in ihrem Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung erwähnte, sondern erst „nach mehreren Vernehmungen“ (tatsächlich anlässlich der zweiten Vernehmung am 23. Juli 2022; ON 2.10; vgl auch ON 2.21) und „nach erfolgter Beratung durch das Gewaltschutzzentrum“ zur Anzeige brachte.
[12] Im Übrigen haben sich die Tatrichter mit der Aussagegenese des Opfers sehr wohl auseinandergesetzt und ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen sie dennoch von dessen Glaubwürdigkeit ausgingen (US 6 f).
[13] Indem die Beschwerde diese Erwägungen als Scheinbegründung erachtet, verfehlt sie den zulässigen Bezugspunkt des damit der Sache nach erhobenen Einwands offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall). Sie kritisiert mit diesem Vorbringen vielmehr bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) – Schuldberufung (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 431; RIS‑Justiz RS0106588).
[14] Die weitere Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) vermisst eine Erörterung der in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 15.3, 72) eidesstattlichen Erklärung der Sc* (ON 15.5, 1), wonach sich der Angeklagte ihr gegenüber nie handgreiflich gezeigt habe und auch gegen ihren Willen sexuell nie „übergriffig“ geworden sei.
[15] Dieses Schriftstück stellt entgegen der Rüge kein erhebliches Verfahrensergebnis dar, das der festgestellten Täterschaft des Angeklagten entgegensteht und durfte daher unerörtert bleiben (RIS‑Justiz RS0118316 [T1, T7, T8]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 421).
[16] Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 vierter Fall) ferner pauschal davon ausgeht, das Erstgericht habe lediglich solche Gründe angegeben, aus denen sich nach den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung ein Schluss auf die begründete Tatsache überhaupt nicht ziehen lasse und der „logische Zusammenhang“ auch nicht erkennbar sei, bringt sie einen Begründungsmangel nicht deutlich und bestimmt zur Darstellung (RIS‑Justiz RS0099563).
[17] Weshalb trotz der – den Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Anfechtung bildenden (RIS‑Justiz RS0099810) – Feststellungen zum Schuldspruch (A)(II)(1), nach denen der Angeklagte sein nur zum Teil erigiertes Glied an der entblößten Scheide des Opfers ansetzte und die von ihm intendierte Penetration („Durchführung des Geschlechtsverkehrs“) unfreiwillig am Fehlen einer vollständigen Erektion scheiterte (US 5 f; zur dadurch bewirkten Tatvollendung Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 26, 43 f; RIS‑Justiz RS0090720 [insb T2, T3, T4]), ein (freiwilliger) Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) möglich sein sollte, erklärt die Rechtsrüge (Z 9 lit b) nicht (vgl aber RIS‑Justiz RS0116569).
[18] Davon abgesehen orientiert sie sich auch in Bezug auf die Freiwilligkeit als Voraussetzung straf-aufhebenden Rücktritts vom Versuch prozessordnungswidrig nicht am dargestellten Urteilssachverhalt (erneut RIS‑Justiz RS0099810), indem sie bloß auf die Konstatierung rekurriert, nach der es dem Angeklagten bei der Tat (auch) darauf ankam, sein Opfer durch die Tat „noch ein Mal nachhaltig zu erniedrigen und seine Macht zu demonstrieren“ (US 6), daran Spekulationen zur weiterhin bestehenden Möglichkeit, dieses Ziel durch digitale Penetration zu erreichen, knüpft und auf dieser Basis „eingehendere“ Feststellungen „zum Grund des Rücktritts vom Versuch“ einfordert (zur Geltendmachung eines Feststellungsmangels RIS‑Justiz RS0118580; vgl im Übrigen RS0090331 [insb T4], RS0090229, RS0089874).
[19] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld – gemäß § 285d Abs 1 StPO; § 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[20] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung wegen der Aussprüche über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche (§ 285i StPO).
[21] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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