European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0120OS00032.23G.0426.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * H* MSc des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie am 20. November 2021 in * ihren Vater * P* vorsätzlich getötet, indem sie ihm mit einem Küchenmesser mit einer Gesamtlänge von 32,5 cm und einer Klingenlänge von 20 cm zahlreiche Stich- und Schnittverletzungen im Bereich der Halsvorderseite, der Bauchvorderseite, im Gesicht, an der behaarten Kopfdecke, an der rechten Schädelhälfte sowie an der rechten hohen Schulterregion zufügte und dadurch Halsweichteile durchtrennte, Halsgefäße an‑ und durchschnitt, die Luftröhre in Höhe des Stirnknorpels abtrennte, die Speiseröhre teilweise abtrennte sowie Darmschlingen mehrfach an‑ und durchstach, wodurch er in Folge eines Blutverlustes nach außen und einer venösen Luftembolie verstarb.
[3] Die Geschworenen hatten die Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB bejaht. Die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage gestellten Eventualfragen 1./ bis 3./ in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 dritter Fall StGB, der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB waren folgerichtig unbeantwortet geblieben.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die gegen dieses Urteil aus § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten geht fehl.
[5] Soweit die Fragenrüge (Z 6) aus der Verantwortung der Beschwerdeführerin (ON 82 S 4 und 12 f) ableitet, diese hätte sich sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht zur Tötung ihres Vaters bekannt und – darauf gestützt – die Stellung der als nicht indiziert erachteten Eventualfragen 1./ bis 3./ in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 dritter Fall StGB, der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB kritisiert, ist sie – entgegen §§ 344, 282 Abs 2 und § 345 Abs 4 StPO – nicht zum Vorteil der Angeklagten ausgeführt.
[6] Das weitere Vorbringen der Fragenrüge verkennt, dass bei Fehlen von Indizien für die allgemeine Begreiflichkeit der – hier bei der Angeklagten unstrittig indizierten (vgl ON 64 S 37 ff; ON 82 S 47 ff sowie S 53; US 6 f und 8) – heftigen Gemütsbewegung eine Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nicht zu stellen ist (RIS-Justiz RS0100604, RS0100677 [T5]; vgl auch RS0092277; allgemein dazu siehe Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23). Indem die Beschwerdeführerin – gegründet auf bestimmte Passagen der Ausführungen der Sachverständigen Prim. Dr. K* (ON 64 und ON 82 S 44 ff; vgl dazu US 6 f), auf mit der Trennung ihrer Eltern im Zusammenhang stehende Verfahren (ON 82 S 50 f; vgl zu diesen US 7 f) sowie auf einzelne Passagen der Aussage ihrer Mutter (ON 82 S 35 ff) und ihrer eigenen Verantwortung (ON 82 S 3 ff) – behauptet, „ein (jahrzehntelang anhaltendes) toxisches männliches Beziehungsverhalten“ ihres Vaters, unter welchem sie stark gelitten habe, wäre Auslöser für seine Tötung gewesen, lässt sie außer Acht (vgl aber RIS-Justiz RS0100902, RS0101087 [T5]; Lässig, WK-StPO § 314 Rz 3), dass der indizierte Affekt – nach ihrer mit den Ausführungen der Sachverständigen im Einklang stehenden Deposition (vgl ON 82 S 5, 7 f, 9, 12, 14, 16 und 20 f) – auf Enttäuschung der Angeklagten über das Ergebnis der nicht ihren Vorstellungen entsprechenden Aussprachesituation, dadurch ausgelöster Wut, Kränkung, Zorn und Angst sowie auf Rigidität als ihrer zentralen Charaktereigenschaft beruhte (ON 64 S 37 bis 39 und ON 82 S 47 f). Weshalb diese Verfahrensergebnisse aber die begehrte Fragestellung – nämlich nach dem Vorliegen einer nach einem (individualisierten) objektiven Maßstab für einen Durchschnittsmenschen in ihrer tatkausalen Heftigkeit im Verhältnis zu dem sie herbeiführenden Anlass (RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0092271&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0092259&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ) sittlich verständlichen (RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0092115&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ) und nicht in der charakterlichen Beschaffenheit der Täterin (RIS-Justiz RS0092353), sondern auf äußeren Umständen (RIS-Justiz RS0092127, RS0092138) beruhenden heftigen Gemütsbewegung im Tatzeitpunkt – ernsthaft indizieren sollten, wird damit nicht aufgezeigt.
[7] Indem die Instruktionsrüge (Z 8) die (als sinn- und zwecklos erachtete) Rechtsbelehrung zu den – zufolge Bejahung der Hauptfrage nicht aktuell gewordenen (vgl aber RIS-Justiz RS0101091, RS0110682) – Eventualfragen 1./ bis 3./ in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 dritter Fall StGB, der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB als irrelevant und für die Geschworenen irreführend kritisiert, wird deren Unrichtigkeit nicht einmal behauptet (vgl aber RIS-Justiz RS0119071, RS0119549; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65) und im Übrigen auch nicht dargelegt, inwiefern sich der behauptete (aus der als verfehlt erachteten [Eventual-]Fragestellung resultierende) „Folgefehler“ der Rechtsbelehrung auf die Beantwortung der Hauptfrage ausgewirkt haben sollte (siehe aber RIS-Justiz RS0111311; vgl auch Ratz, WK-StPO § 345 Rz 54).
[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 344, 285i StPO).
[9] Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden vom 9. Februar 2023 (ON 102), mit welchem ihr Antrag auf Berichtigung des Protokolls über die Hauptverhandlung abgewiesen wurde, ist (ohne inhaltlicher Erwiderung zu bedürfen) durch die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde erledigt, weil letztere auch unter Zugrundelegung der angestrebten Protokolländerungen erfolglos geblieben wäre (RIS-Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0126057&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [T2], https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0120683&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).
[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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