OGH 14Os32/23x

OGH14Os32/23x25.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. April 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum im Verfahren zur Unterbringung des Z* B* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Geschworenengericht vom 3. Februar 2023, GZ 317 Hv 188/22t‑87.3, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00032.23X.0425.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Anordnung der Unterbringung des Z* B* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichts Korneuburg verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Z* B* gemäß § 21 Abs 1 StGB (idF vor BGBl I 2022/223) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

[2] Danach hat er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung im Rahmen einer Parkinsonerkrankung, beruht, S* B*

(1) am 4. August 2022 in W* gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er in einem Tunnel seinen Pkw beschleunigte und sinngemäß äußerte, das Fahrzeug gegen eine Wand zu lenken, und

(2) in der Nacht auf den 23. August 2022 in B* zu töten versucht, indem er sich zunächst durch Einschlagen der Terrassentür mit einer Spitzhacke Zugang zu deren Wohnhaus verschaffte, sodann sinngemäß (unter anderem) äußerte, er werde sie nun „abschlachten“ und sie „heute […] töten, erstechen“, die Genannte in der Folge mit einem 15 Zentimeter langen Teppichmesser mit einer Klingenlänge von dreieinhalb Zentimetern attackierte und mehrmals mit dem Messer in Richtung ihres Halses und ihres Gesichts stach, wodurch das Opfer eine Schädelprellung, einen traumatischen Haarverlust, eine rund sechs Zentimeter lange bogenförmige Schnittwunde im Bereich der rechten Wange, verlaufend vom rechten Nasenflügel um den rechten Mundwinkel bis oberhalb des Kinns, zwei Schnittwunden an der Innenseite des rechten Daumens, eine Zerrung des linken Sprunggelenks, einen Bruch des Grundglieds der vierten Zehe des linken Fußes sowie (im Urteil bezeichnete) Prellungen und Hautabschürfungen erlitt, wobei es beim Versuch blieb, weil sich S* B* gegen den Angriff zur Wehr setzte, vor dem ihr nacheilenden Z* B* in den Garten flüchtete, wo er sich erneut auf sie warf, jedoch von den eingetroffenen Polizeibeamten weggezogen werden konnte,

sohin Taten begangen, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (1) und Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (2) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die vom Betroffenen Z* B* unmittelbar nach der Urteilsverkündung angemeldete (ON 87.2 S 51) Nichtigkeitsbeschwerde.

[4] Da er bei dieser Anmeldung Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt bezeichnete und binnen vier Wochen nach Zustellung der Urteilsausfertigung an den Verteidiger am 14. Februar 2023 (§ 89d Abs 2 GOG, Zustellnachweis zu ON 1.81) keine Ausführung der Beschwerdegründe beim Gericht überreichte (§ 285 Abs 1 StPO), war die Nichtigkeitsbeschwerde – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 344 StPO, § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO).

[5] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass – wie die Generalprokuratur im Ergebnis zutreffend aufzeigt – die vom Erstgericht angeordnete Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB mit nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 345 Abs 1 Z 13 erster und zweiter FallStPO) zum Nachteil des Betroffenen behaftet ist, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§§ 344, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 290 Rz 7, 14, 18).

[6] In Bezug auf die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB (auch in der hier zu beurteilenden Fassung vor BGBl I 2022/223) ist Gegenstand einer Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 13 erster Fall StPO – weil davon die Anordnungsbefugnis abhängt – der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat (Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 f mwN; Murschetz,WK‑StPO § 433 Rz 16). Nichtigkeit nach Z 13 zweiter Fall liegt (auch) vor, wenn die Prognoseentscheidung (soweit hier von Bedeutung) zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt (RIS‑Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 715 ff; Murschetz,WK‑StPO § 433 Rz 18).

[7] Den Entscheidungsgründen ist betreffend die angeordnete Maßnahme lediglich zu entnehmen, dass „die Voraussetzungen der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB [vor]liegen“ und der Betroffene im Urteilszeitpunkt „völlig krankheitsuneinsichtig“ war (US 5 f).

[8] Solcherart enthält das Urteil keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage zum Vorliegen eines auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustands des Z* B* und dessen Einfluss auf die Anlasstaten (Z 13 erster Fall; vgl auch Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 11) sowie zu den angeführten Prognosekriterien des § 21 Abs 1 StGB (Z 13 zweiter Fall; vgl Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 716; Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 24; Danek/Mann,WK‑StPO § 270 Rz 44; Fabrizy/Kirchbacher,StPO14 § 338 Rz 2; RIS‑Justiz RS0118581 [T7, T13]).

[9] Dass Z* B* die Taten nach dem Urteilstenor „unter dem Einfluss […] einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer anhaltenden wahnhaften Störung im Rahmen einer Parkinsonerkrankung“ beging (US 4) und die Wiedergabe der verba legalia, wonach beim Betroffenen „nach seiner Person, seinem Zustand und nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde“ (US 5), vermögen dieses Feststellungsdefizit nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0114639).

[10] Zudem lässt die fehlende Umschreibung der Prognosetat(en) zumindest ihrer Art nach (einschließlich der tatbestandsmäßigen Folgen und darüber hinausgehender konkreter Tatauswirkungen) die rechtliche Beurteilung der befürchteten Begehung einer Tat mit schweren Folgen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0108487) nicht zu (RIS‑Justiz RS0118581 [insb T3, T9, T10], RS0113980 [insb T3, T8, T10]; Ratz,WK‑StPO § 281 Rz 719, 721; Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 25 ff).

[11] Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 344, 285e, 290 StPO).

[12] Im zweiten Rechtsgang wird die durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 BGBl I 2022/223 am 1. März 2023 in Kraft getretene Neuregelung des § 21 StGB zu berücksichtigen sein (vgl RIS‑Justiz RS0087462 [T7], Ratz,WK‑StPO § 288 Rz 35).

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