European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00002.23K.0328.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Strafsache AZ 144 Hv 122/20x des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen in Ansehung des Angeklagten * B*
1./ die entgegen dem verkündeten Urteil (ON 229 S 15, ON 232 S 7) vorgenommene Beurkundung in der gekürzten Urteilsausfertigung (ON 231 S 5), dass der zur Anwendung gelangte Strafrahmen durch § 130 Abs 2 StGB konstituiert wurde, § 270 Abs 4 Z 1 iVm Abs 2 Z 4 iVm § 260 Abs 1 Z 4 StPO;
2./ die entgegen dem verkündeten Urteil am 11. April 2022 vorgenommene „Korrektur“ (ON 380 S 1, ON 231 S 2, 4 und 5) der gekürzten Urteilsausfertigung (nur) durch handschriftliche Hinzufügung des Wortes „gewerbsmäßig“ im Urteilstenor zu B./ und der Wortfolgen „§ 130 Abs 2“ [StGB] bei der Subsumtion sowie „§ 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG“ bei der Anwendung weiterer gesetzlicher Bestimmungen § 270 Abs 3 und § 270 Abs 4 Z 1 iVm Abs 2 Z 4 iVm § 260 Abs 1 Z 1, 2 und 4 StPO.
Der Vorsitzenden des Schöffengerichts wird die Angleichung der schriftlichen Urteilsausfertigung an das verkündete Urteil aufgetragen.
Gründe:
[1] In der Strafsache AZ 144 Hv 122/20x des Landesgerichts für Strafsachen Wien wurde * B* mit Urteil jenes Gerichts vom 10. März 2021 unter anderem des Vergehens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, § 129 Abs 1 Z 1, 2 und 3, § 15 StGB (Schuldspruch B./) schuldig erkannt und nach § 129 Abs 1 StGB zu einer (Zusatz‑)Freiheitsstrafe verurteilt (vgl das Hauptverhandlungsprotokoll ON 229 S 15, den Aktenvermerk ON 232 S 7 und die [damit im Einklang stehenden] Ergebnisse der vom Obersten Gerichtshof durchgeführten Aufklärung [§ 285f StPO]). Nach Verzicht des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel (ON 229 S 15) wurde das Urteil in gekürzter Form ausgefertigt (ON 231). In dieser Ausfertigung wurde – dem mündlich verkündeten Urteil zuwider – eine Strafe „nach § 130 Abs 2 StGB“ beurkundet (ON 231 S 5).
[2] Am 11. April 2022 fügte die Vorsitzende des Schöffengerichts der zuvor genannten gekürzten Urteilsausfertigung handschriftlich das Wort „gewerbsmäßig“ im Urteilstenor zu B./ sowie die Wortfolgen „§ 130 Abs 2“ [StGB] bei der Subsumtion und „§ 19 Abs 1 iVm § 5 Z 4 JGG“ bei der Anwendung weiterer gesetzlicher Bestimmungen hinzu (ON 231 S 2, 4 und 5). Sie verfügte, den Protokolls- und Urteilsvermerk „iSd heutigen Korrekturen“ zu „verbessern“ und den „verbesserten PUV“ der Staatsanwaltschaft „zum Tagebuch“ und dem Verurteilten „zur Kenntnis“ zu übermitteln (ON 380 S 1).
Rechtliche Beurteilung
[3] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aufzeigt, steht das oben beschriebene Vorgehen der Vorsitzenden des Schöffengerichts mit dem Gesetz nicht im Einklang:
[4] 1./ Nach der gemäß § 270 Abs 4 Z 1 StPO auch für die gekürzte Urteilsausfertigung geltenden Bestimmung des § 270 Abs 2 Z 4 StPO muss die Urteilsausfertigung „den Ausspruch des Schöffengerichts über die Schuld des Angeklagten“, und zwar im Fall einer Verurteilung mit allen in § 260 StPO angeführten Punkten, enthalten. Die im § 260 Abs 1 StPO aufgezählten Aussprüche müssen dabei in der Verkündung und in der Ausfertigung des Urteils übereinstimmen (vgl RIS‑Justiz RS0098421).
[5] Indem entgegen dem gemäß § 268 StPO verkündeten Urteil über B* (vgl neuerlich ON 229 S 15, ON 232 S 7 und die [damit im Einklang stehenden] Ergebnisse der vom Obersten Gerichtshof durchgeführten Aufklärung [§ 285f StPO]; zur Feststellung der Tatsachengrundlage im Fall eines aus § 23 Abs 1 StPO bekämpften Vorgangs vgl Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 6 aE; siehe auch RIS‑Justiz RS0100227 [T5]) in der gekürzten Urteilsausfertigung der Ausspruch der Strafe „nach § 130 Abs 2 StGB“ beurkundet wurde (ON 231 S 5), hat die Vorsitzende des Schöffengerichts eine unzulässige Veränderung jener Norm vorgenommen, die den zur Anwendung gelangten Strafrahmen konstituiert (vgl dazu Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 46). Dieses Vorgehen verletzt § 270 Abs 4 Z 1 iVm Abs 2 Z 4 iVm § 260 Abs 1 Z 4 StPO.
[6] II./ Das Gericht ist bei der Ausfertigung des verkündeten Urteils an etzteres gebunden. Schreib- und Rechenfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen, die nicht die in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffen, können nur nach Maßgabe des § 270 Abs 3 StPO berichtigt werden. Sachliche Abweichungen der Urteilsausfertigung vom Inhalt des verkündeten Urteils wiederum sind im Wege der Urteilsangleichung (§ 270 Abs 3 analog StPO) zu korrigieren (vgl RIS‑Justiz RS0098860, RS0098973, RS0098979; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 51 ff, 56 ff).
[7] Da gegenständlich weder die Voraussetzungen einer Urteilsberichtigung noch einer Urteilsangleichung vorlagen, verletzen die am 11. April 2022 in der gekürzten Urteilsausfertigung – zudem ohne formelle Beschlussfassung – vorgenommenenhandschriftlichen Änderungen § 270 Abs 3 und § 270 Abs 4 Z 1 iVm Abs 2 Z 4 iVm § 260 Abs 1 Z 1, 2 und 4 StPO.
[8] Es ist nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
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