OGH 14Os1/23p

OGH14Os1/23p28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Februar 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M., den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Lonin im Verfahren zur Unterbringung des * P* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 30. September 2022, GZ 41 Hv 56/21b‑58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00001.23P.0228.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Unterbringung des * P* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGBangeordnet.

[2] Danach hat er – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer paranoiden Schizophrenie sowie psychischen Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, beruht,

(I) Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, und zwar

(1) am 2. September 2021 in H* dadurch, dass er zur Verhinderung der von * G*durchgeführten Personendurchsuchung und des Anlegens von Handfesseln ruckartige Drehbewegungen mit seinem Körper ausführte, dabei * N* mit dessen Rücken gegen eine Steinmauer stieß, von drei Beamten zu Boden gebracht werden musste und sich heftig gegen seine Fixierung am Boden zur Wehr setzte;

(2) am 3. Juni 2022 in W* dadurch, dass er zur Verhinderung der Festnahme des * T*, dem diesen fixierenden * Ne* einen kräftigen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte und in weiterer Folge, zur Verhinderung seiner eigenen Festnahme, diesem einen kräftigen Stoß gegen den Körper versetzte;

...

(II) nachgenannte Beamte vorsätzlich am Körper verletzt, wobei er die Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) während und wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung ihrer Pflichten beging, und zwar

(1) durch die zu (I)(1) angeführten Tathandlungen

(a) N* in Form von Hautabschürfungen im Bereich des rechten Schulterblatts;

(b) G* in Form einer Hautabschürfung am linken Unterarm;

(c) * S* in Form einer Hautabschürfung am linken Unterarm;

(2) durch die zu (I)(2) angeführten Tathandlungen Ne* in Form einer Rötung und Schwellung im Bereich des linken Auges

somit Taten begangen, die als die Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB ([I][1] und [I][2]) sowie der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1, § 84 Abs 2 StGB ([II][1][a bis c] und [II][2]) jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 (der Sache nach Z 4), Z 5 und Z „9c“ StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen ist nicht im Recht.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Antrag auf „Vernehmung von M* aus B* bzw Ma* aus G* … zum Beweis dafür, dass sich der Betroffene bei dem Vorfall in W* nicht gewehrt und dem Polizisten auch keinen Faustschlag versetzt habe“ (ON 57 S 7) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen. Denn mangels Bekanntgabe von Name oder Anschrift war die verlangte Beweisaufnahme jeweils nicht durchführbar (RIS‑Justiz RS0099119 [T6], vgl auch RIS‑Justiz RS0099502 [T14]; Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 246 Rz 31).

[5] Soweit dieVerfahrensrüge die Begründung des abweisenden Beschlusses (ON 57 S 28) kritisiert, entfernt sie sich vom Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0116749).

[6] Der zu (I)(1) geäußerte Einwand der Mängelrüge (nominell Z 5 dritter Fall), wonach der Betroffene laut Urteilskonstatierungen verdampfte Chemikalien konsumiert habe (US 5), wogegen er nach seiner eigenen Verantwortung Kokain konsumiert habe, spricht – ohne Bezugnahme auf die Frage der Zurechnungsfähigkeit – keine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage oder die Strafbefugnisgrenze) entscheidende Tatsache an und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0117499).

[7] Indem die Mängelrüge (nominell Z 5 zweiter und dritter Fall) den Sachverhaltsannahmen zu (I)(1), (I)(2), (II)(1) und (II)(2) eigene – auf Passagen der im Urteil sehr wohl berücksichtigten (US 13), jedoch als unglaubwürdig eingestuften leugnenden Verantwortung des Betroffenen basierende – Erwägungen gegenüberstellt, erschöpft sie sich in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der Tatrichter (RIS‑Justiz RS0098642 [T1], RS0106588 [T13]).

Die Rechtsrüge (nominell „Z 9c“) zu (I)(1) und (II)(1) geht davon aus, dass der Betroffene sich der Verhaftung nicht widersetzt und „keine diesbezüglichen Handlungen“ gesetzt habe, die Polizisten vielmehr zu Sturz gekommen seien; der Betroffene habe zu (I)(2) und (II)(2) lediglich eine Frau aus einer Zwangslage retten wollen, sich somit rechtstreu verhalten. Damit argumentiert sie prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) nicht auf Basis der dazu getroffenen gegenteiligen Urteilsannahmen (US 6 f, 7 f).

[8] Eben dies trifft auf den weiteren Hinweis im Rahmen der Rechtsrüge zu, wonach P* nach seiner Ansicht an keiner „geistigen Krankheit“ leide und es daher keiner Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher bedürfe (siehe aber US 4 f). Die tatsächliche Annahme von Kriterien für die Anordnung der Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB in Form des auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustands (vgl dazu Ratz in WK2 StGB § 21 Rz 9 f); und dessen Einfluss auf die Anlasstat wird mit diesem Vorbringen nicht deutlich und bestimmt bekämpft (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall iVm Z 5 StPO; RIS‑Justiz RS0113980; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 9).

[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

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