European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00018.23D.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger war Mitglied der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (idF: „Bundeskammer“) und hat bis 31. Dezember 2012 Anwartschaften auf eine Pension aus dem Pensionsfonds nach dem Statut der Wohlfahrtseinrichtungen der Bundeskammer erworben.
[2] Mit Bescheid des Kuratoriums der Wohlfahrtseinrichtungen der Bundeskammer vom 6. Juni 2013 über die im Pensionsfonds der Wohlfahrtseinrichtungen erworbenen Anwartschaften des Klägers wurde festgestellt, dass die Alterspension des Klägers mit Vollendung des 70. Lebensjahres per 1. Jänner 2013 monatlich 9,97 EUR beträgt. In diesem Bescheid heißt es weiter: „Die Leistungen gemäß Punkt 2 bis 5 werden ab 1. 2. 2014 von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft als auszahlende Stelle erbracht.“
[3] Am 29. September 2021 sprach der Kläger persönlich bei der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen vor und beantragte den Zuspruch einer Pension seit 1. Jänner 2013.
[4] Mit Bescheid vom 15. Oktober 2021 sprach die Beklagte aus, dass der Kläger ab 1. Oktober 2021 Anspruch auf die Besondere Pensionsleistung als Alterspension in Höhe von 11,35 EUR monatlich hat.
[5] Mit seiner dagegen gerichteten Klage begehrt der Kläger die Zahlung einer Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Jänner 2013 (erkennbar bis 30. September 2021). Das Kuratorium der Wohlfahrtseinrichtungen habe bereits mit Bescheid vom 6. Juni 2013 über die Alterspension des Klägers per 1. Jänner 2013 zumindest dem Grunde nach abgesprochen. Jene Berechtigten, die im Zeitpunkt der Erlassung eines Bescheids nach § 33 des Statuts der Wohlfahrtseinrichtung bereits das 70. Lebensjahr vollendet hatten, hätten ausnahmsweise keinen Antrag stellen müssen. Spruchpunkt 3 dieses Bescheids enthalte überdies einen unbedingten Leistungsbefehl, an den die Beklagte gebunden sei. Die Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, die Alterspension auf Basis des Bescheids vom 6. Juni 2013 betragsmäßig festzusetzen.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Bescheid vom 6. Juni 2013 sei kein Leistungsbescheid, der eine Antragstellung hinfällig machen würde.
[7] Das Berufungsgericht verwarf die Berufung des Klägers, soweit sie eine Nichtigkeit geltend mache, und gab ihr im Übrigen nicht Folge. Es verneinte einen Verstoß gegen die Rechtskraft des Bescheids vom 6. Juni 2013, weil darin keine Leistung zuerkannt worden sei. Leistungen des Pensionsfonds würden ebenso wie Leistungen aufgrund des FSVG nur aufgrund eines Antrags gewährt. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[8] In der außerordentlichen Revision macht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[9] 1. Unter dem Revisionsgrund der Nichtigkeit macht der Kläger geltend, dass ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2013 rechtskräftig eine Alterspension zugesprochen worden sei. In dem das Berufungsgericht diesen Inhalt nicht beachte, sei das angefochtene Urteil mit Nichtigkeit belastet.
[10] 1.1. Die Nichtbeachtung der Rechtskraft hat nach ständiger Rechtsprechung die Nichtigkeit zur Folge (RIS‑Justiz RS0041896). Bei der Bindungswirkung handelt es sich ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RS0102102). Ein Verstoß gegen die Bindungswirkung einer Vorentscheidung bildet daher einen Nichtigkeitsgrund (RS0074226 [T6]).
[11] 1.2. Ist das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat es eine solche verneint, ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nicht mehr möglich. Eine vom Berufungsgericht im Spruch oder den Entscheidungsgründen verneinte Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nach ständiger Rechtsprechung eine den Obersten Gerichtshof bindende, nicht weiter anfechtbare Entscheidung (RS0042981; RS0042917).
[12] 1.3. Der in der Revision gerügte Verstoß gegen die Bindungswirkung des Bescheids des Kuratoriums der Wohlfahrtseinrichtungen vom 6. Juni 2013 wurde vom Berufungsgericht geprüft und ausdrücklich verneint. Eine neuerliche Geltendmachung vor dem Obersten Gerichtshof ist somit nicht möglich.
[13] 2. Als unrichtige rechtliche Beurteilung macht der Kläger in der Revision weiters geltend, dass das Antragsprinzip in der Pensionsversicherung durchbrochen sei, weil die Wohlfahrtseinrichtung/der Pensionsfonds mit 1. Jänner 2013 in das FSVG übergeleitet worden sei und aus diesem Anlass die bestehenden Anwartschaften und Leistungsansprüche aus dem Pensionsfonds der Bundeskammer bescheidmäßig festzustellen gewesen seien. Weder im Gesetz noch in den Erläuterungen stehe, dass zusätzlich zum Feststellungsbescheid noch ein weiterer Antrag erforderlich gewesen sei, damit eine Pension ab dem 1. Jänner 2013 ausbezahlt werde.
[14] 2.1.1. Pensionsansprüche von (ehemaligen) Ziviltechnikerinnen und Ziviltechnikern und ihren Hinterbliebenen richteten sich seit dem Bundesgesetz BGBl I 2004/44 (s dazu 10 ObS 71/18s SSV‑NF 32/71) bis zum Pensionsfonds-Überleitungsgesetz (PF‑ÜG), BGBl I 2013/4, nach dem – auf Grundlage des damaligen § 29 Ziviltechnikerkammergesetz 1993 erlassenen und in den amtlichen Nachrichten der Bundes-Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer kundgemachten – Statut der Wohlfahrtseinrichtungen (WE 2004). Danach war als gemeinsame Wohlfahrtseinrichtung unter anderem ein Pensionsfonds eingerichtet (§ 1 Abs 1 WE 2004), deren Verwaltung einem Kuratorium oblag (§ 2 Abs 1 WE 2004). Aus den Mitteln des Pensionsfonds wurden Versorgungsleistungen an Ziviltechniker für den Fall des Alters und der dauernden Berufsunfähigkeit und an Hinterbliebene der Ziviltechniker gewährt (§§ 1 Abs 4, 10 Abs 1 WE 2004), wobei diese erstmalig für den dem anspruchsbegründenden Zeitpunkt folgenden Monat, frühestens jedoch für den Monat gewährt wurden, in dem der Antrag auf Gewährung einer Versorgungsleistung beim Kuratorium einlangte (§ 10 Abs 2 WE 2004). Über Ansprüche auf Leistungen aus den Wohlfahrtseinrichtungen entschied das Kuratorium in der Form eines Bescheids (§ 3 Abs 1 WE 2004).
[15] 2.1.2. Mit dem Pensionsfonds-Überleitungsgesetz, BGBl I 2013/4, wurde der Pensionsfonds in das Pensionsversicherungssystem der freiberuflich selbständig Erwerbstätigen übergeleitet. Ziviltechniker unterliegen seither dem FSVG (§ 2 Abs 1 Z 3 FSVG) und auch die Leistungen und die Anwartschaften aus dem Pensionsfonds wurden in das FSVG übergeführt: Personen, die am 31. Jänner 2014 Anspruch auf eine Leistung des Pensionsfonds nach dem Statut der Wohlfahrtseinrichtungen haben, gebührt diese Leistung gemäß § 20c FSVG ab 1. Februar 2014 als Besondere Pensionsleistung nach dem FSVG, die von der Beklagten zu erbringen ist. Personen, die am 31. Dezember 2012 eine Anwartschaft auf eine Leistung des Pensionsfonds haben, gebührt ab 1. Februar 2014 anstelle dieser Anwartschaft auf Alterspension oder Berufsunfähigkeitspension im Leistungsfall gemäß § 20d FSVG eine Besondere Pensionsleistung nach dem FSVG, die von der Beklagten nach den Bestimmungen des GSVG zu ermitteln und zu erbringen ist, und zwar nach bestimmten in § 20d FSVG näher geregelten Maßgaben; insbesondere ergeben sich das Bestehen einer Anwartschaft und die Höhe der Besonderen Pensionsleistung aus dem Feststellungsbescheid nach § 33 WE 2004.
[16] 2.1.3. Zum Zweck der Überführung der Leistungen des Pensionsfonds in die gesetzliche Pensionsversicherung wurde das Statut der Wohlfahrtseinrichtungen adaptiert (ErläutRV 1992 BlgNR 24. GP 10), indem es um einen Abschnitt „V. Ergänzende Bestimmungen des Statuts der Wohlfahrteinrichtungen für den Fall der Überleitung in das FSVG“ ergänzt wurde (vgl §§ 27 bis 37 WE 2004 idF der 211. Verordnung der Bundes-Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer, kundgemacht in den Amtlichen Nachrichten Nr II/2012 der Bundes-Architekten- und Ingenieurkonsulentenkammer). Diese Bestimmungen galten zunächst aufgrund des damaligen § 78 Ziviltechnikerkammergesetz 1993 und gelten nunmehr aufgrund des § 117 Abs 17 Ziviltechnikergesetz 2019 (ZTG 2019) als Bundesgesetz weiter („Überleitungsstatut“).
[17] 2.1.4. Gemäß § 33 Abs 1 Überleitungsstatut sind die erworbenen Anwartschaften vom Kuratorium mit Stichtag 31. Dezember 2012 mittels Bescheid festzustellen, dessen Spruch ua die Höhe der Anwartschaften im Pensionskontensystem, die Art der jährlichen Wertanpassung der Anwartschaften und den Hinweis auf den Wechsel der die Pension auszahlenden Stelle zu enthalten hat (§ 33 Abs 4 Überleitungsstatut). Den Anfall der Leistungen regelt § 35 Abs 1 Überleitungsstatut, wonach bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine (vorzeitige) Alterspension bzw Berufsunfähigkeitspension auf der Grundlage des Feststellungsbescheids gemäß § 33 Überleitungsstatut bei der SVA ein Antrag zu stellen ist, wobei Stichtag des Leistungsanfalls grundsätzlich der Tag der Antragstellung ist, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der Monatserste, der dem Datum der Antragstellung folgt. Die Zuerkennung von Leistungsansprüchen, für die bis einschließlich 31. Dezember 2013 Anträge gestellt wurden und die spätestens bis zum Stichtag 1. Jänner 2014 anfallen, erfolgt durch das Kuratorium (§ 37 Abs 1 Überleitungsstatut).
[18] 2.2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RS0042656).
[19] 2.2.1. Aus der geschilderten Rechtslage folgt eindeutig auch für den Kläger, der davon ausgeht, die Voraussetzungen für eine Alterspension aus dem Pensionsfonds bereits am 1. Jänner 2013 erfüllt zu haben, das Erfordernis einer Antragstellung: Bis zum 31. Dezember 2013 wäre ein Antrag beim Kuratorium der Wohlfahrtseinrichtungen zu stellen gewesen (§ 37 Abs 1 Überleitungsstatut) und zwar vor Erlassung eines Feststellungsbescheids nach § 33 Überleitungsstatut aufgrund des § 10 Abs 2 WE 2004 und danach aufgrund des § 35 Abs 1 Überleitungsstatut. Seit 1. Jänner 2014 ergibt sich das Erfordernis einer Antragstellung aus § 20d FSVG, weil für Leistungsfälle, die zu einer Leistung ab 1. Februar 2014 führen, die Besondere Pensionsleistung nach den Bestimmungen des GSVG zu ermitteln ist. Im Bereich des GSVG gilt das Antragsprinzip (§ 361 Abs 1 Z 1 ASVG iVm § 194 GSVG), sodass eine Leistungsgewährung auch insofern nur aufgrund eines Antrags zulässig war (RS0085092).
[20] 2.2.2. Soweit der Kläger auf dem Standpunkt steht, dass er „ausnahmsweise“ keinen Antrag stellen habe müssen, weil er das 70. Lebensjahr im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits vollendet hatte, steht dies im Widerspruch zu dieser klaren Rechtslage (insbesondere § 10 Abs 2 WE 2004). Der Kläger nennt auch keine konkrete Bestimmung, aus der sich etwas anderes ergeben würde; insbesondere lässt sich den von ihm genannten Bestimmungen der §§ 27 bis 37 Überleitungsstatut nicht entnehmen, inwiefern sie „die hier einschlägigen Ausnahmen“ von der Grundregel des § 10 Abs 2 WE 2004 normieren sollen.
[21] 2.3. Die Beantwortung der Frage, ob für den Anfall der Leistungen ein Antrag erforderlich ist, richtet sich nach der geschilderten Rechtslage und – entgegen der offenbaren Rechtsansicht des Klägers – nicht nach dem Inhalt eines Feststellungsbescheids nach § 33 Übergangsstatut.
[22] 3. Der Kläger behauptet in der Revision nicht (mehr), dass er bereits vor September 2021 einen Antrag auf Gewährung einer Alterspension stellte. Ausführungen zur Höhe der Besonderen Pensionsleistung enthält sein Rechtsmittel ebenso wenig. Die Revision zeigt daher nicht auf, inwiefern die Verneinung eines Pensionsanspruchs des Klägers vor dem 1. Oktober 2021 durch die Vorinstanzen unrichtig sein sollte.
[23] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.
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