OGH 10ObS146/22a

OGH10ObS146/22a21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Hofrätin Dr. Faber als Vorsitzende, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, vertreten durch Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2022, GZ 8 Rs 37/22 b‑43, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00146.22A.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe von 1.300 EUR mangels rechtzeitigen Nachweises der zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen des Kindes (= 7. bis 10. Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen).

[2] Das (dritte) Kind der Klägerin, D*, wurde am 11. 10. 2018 geboren. Die Klägerin bezog von 19. 1. 2019 bis 15. 8. 2019 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Sie absolvierte die zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen des Kindes am 22. 11. 2018, 17. 1. 2019, 7. 6. 2019 und 26. 8. 2019. Am 18. 12. 2019 erhielt die Klägerin ein Informationsschreiben der Beklagten mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Nachweises der siebten bis zehnten Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen bis Vollendung des 18. Lebensmonats. Angegeben war der Name der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Beklagten und eine Telefonnummer, nicht aber eine E‑Mail‑Adresse. Eine solche fand sich auch nicht auf der Homepage der Beklagten.

[3] Am 29. 1. 2020 versuchte die Klägerin telefonisch Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen. Es steht nicht fest, dass sie dabei mit einem Mitarbeiter gesprochen hat. Am 31. 1. 2020 versuchte die Klägerin neuerlich Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen und erreichte Herrn L*, der ihr unter anderem die E‑Mail‑Adresse der Beklagten nannte. Der Mitarbeiter dokumentierte dieses Gespräch unter anderem mit: „… Auskunft erteilt über: Beitragsvorschreibung …“. Über welches Thema konkret gesprochen wurde, steht nicht fest.

[4] Am 31. 1. 2020 sandte die Klägerin drei Kopien des Mutter‑Kind‑Passes an die E‑Mail‑Adresse „blz.kbg@svs.at “. Die richtige E‑Mail‑Adresse der Beklagten lautet (Unterstreichung durch den Senat): „dlz.kbg@svs.at “. Es kann nicht festgestellt werden, ob L* der Klägerin eine falsche E‑Mail‑Adresse nannte oder die Klägerin diese falsch verstanden bzw aufgeschrieben hat. 11 Sekunden nach dem Eintreffen des E‑Mails wurde von der Beklagten ein E‑Mail mit einer Unzustellbarkeitsnachricht an den E‑Mailaccount von [Nachname der Klägerin] gesendet. Es steht nicht fest, dass die Klägerin Kenntnis über die fehlerhafte Zustellung ihres E‑Mails erlangte. Es steht nicht fest, ob die von der Beklagten abgesandte Fehlermeldung auch tatsächlich auf dem Account der Klägerin einlangte und nach dem Einlangen gelöscht wurde, oder ob diese im Spam‑Ordner „gelandet“ und dort von der Klägerin übersehen worden und in weiterer Folge automatisch gelöscht worden ist (dislozierte Feststellung des Erstgerichts im Rahmen seiner Beweiswürdigung). Die Klägerin ging von einer korrekten Zustellung der Nachweise zu den erforderlichen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen an die Beklagte aus. Eine weitere Bearbeitung durch die Beklagte von E‑Mails an nicht konkret zugewiesene E‑Mail‑Adressen erfolgte nicht.

[5] Die Klägerin versuchte am 5. 2. 2020 die Beklagte telefonisch zu erreichen, was ihr nicht gelang. Am 25. 2. 2020 und am 3. 3. 2020 versuchte sie, die Österreichische Gesundheitskasse telefonisch zu erreichen, was ihr nicht gelang. Am 10. 3. 2020 versuchte sie neuerlich, die Beklagte telefonisch zu erreichen, was ihr nicht gelang.

[6] Mit Bescheid vom 2. 6. 2020 reduzierte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen den Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für ihr drittes Kind um 1.300 EUR und forderte diesen Betrag von der Klägerin zurück. Die Klägerin habe die vorgeschriebenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht nachgewiesen.

[7] Mit ihrer dagegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Rückforderungsanspruch nicht zu Recht bestehe. Die Klägerin habe den erforderlichen Nachweis mit E‑Mail vom 31. 1. 2020 an die Beklagte erbracht. Sollte dieser nicht eingelangt sein, sei ihr deshalb aufgrund der von ihr im Einzelnen vorgebrachten Umstände kein Vorwurf zu machen.

[8] Die Beklagte wandte ein, dass die Klägerin die erforderlichen Nachweise der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht fristgerecht erbracht habe und ihr die Folgen dieser Versäumung zuzurechnen seien.

[9] Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang dem Klagebegehren statt. Das Nichteinlangen des E‑Mails vom 31. 1. 2020 bei der Beklagten sei der Klägerin nicht vorzuwerfen. Mit der Übersendung der Nachweise per E‑Mail sei sie ihrer Mitteilungspflicht grundsätzlich nachgekommen. Ohne Unzustellbarkeitsnachricht und aufgrund der Unmöglichkeit, bei der Beklagten telefonisch Auskunft zu erhalten, habe die Klägerin von einer korrekten Zustellung der Nachweise ausgehen können.

[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Fest stehe, dass die Klägerin den erforderlichen Nachweis für die zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen des Kindes nicht rechtzeitig erbracht hat, weil sie den Nachweis an eine falsche E‑Mail‑Adresse gesandt hat. Für das Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG sei die Klägerin beweispflichtig. Dieser Beweis sei ihr nicht gelungen, weil weder feststehe, dass ihr ein Mitarbeiter der Beklagten eine unrichtige E‑Mail‑Adresse genannt habe, noch, dass die Klägerin keine Fehlermeldung über die Unzustellbarkeit ihres E‑Mails vom 31. 1. 2020 erhalten habe. Darüber hinaus habe das (dritte) Kind der Klägerin das 15. Lebensmonat am 10. 1. 2020 vollendet. Die Klägerin habe die hier relevanten Nachweise aber erst am 31. 1. 2020 versandt und sich auch erst an diesem Tag nach der E‑Mail‑Adresse der Beklagten erkundigt, sodass sie sich auch vor dem Hintergrund der erst während des zweiten Rechtsgangs des Verfahrens veröffentlichten Entscheidung 10 ObS 58/21h nicht darauf berufen könne, dass ihr der Mitarbeiter der Beklagten eine falsche E‑Mail‑Adresse genannt habe. Ob es sich bei dieser Rechtsansicht um eine überraschende handle, wie dies die Klägerin in ihrer Berufungsbeantwortung geltend mache, könne dahingestellt bleiben, weil ohnehin ein von der Klägerin zu vertretender Grund am fristgerechten Unterbleiben der Nachweise vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[11] In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend:

[12] 1.1 Die Revisionswerberin rügt erkennbar, dass das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, dass die Beklagte den Beweis für das Vorliegen eines Rückforderungstatbestands erbracht habe. Es stehe fest, dass das E‑Mail der Klägerin mit den erforderlichen Nachweisen bei der Beklagten eingelangt sei, weil es dort „eingetroffen“ sei.

[13] 1.2 Die Frage, ob ein Beweis erbracht wurde oder nicht, ob also eine Tatsache feststellbar war oder nicht, ist jedoch grundsätzlich ein Akt der nicht revisiblen Beweiswürdigung (Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 503 Rz 52 mwH; 2 Ob 560/92 mwH). Die Behauptung, dass feststehe, dass das E‑Mail der Klägerin vom 31. 1. 2020 bei der Beklagten eingelangt sei, findet in den Feststellungen, wonach die von der Klägerin verwendete E‑Mail‑Adresse nicht vergeben war, keine Grundlage, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[14] 2.1 Die Revisionswerberin macht geltend, dass das Berufungsgericht die Beweislast der Klägerin für das Vorliegen von Gründen, dass ihr das Unterbleiben des Nachweises der Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht vorwerfbar sei, zu Unrecht mit der Frage der Beweislast für die Zustellung einer Unzustellbarkeitsnachricht an die Klägerin gleichsetze. Der Klägerin sei der Beweis gelungen, dass ihr die unrichtige E‑Mail‑Adresse genannt wurde oder sie diese versehentlich falsch verstanden oder aufgeschrieben habe. Der Beklagten sei hingegen der Beweis, dass der Klägerin eine Unzustellbarkeitsnachricht zugegangen und ihr daher trotzdem ein Vorwurf zu machen sei, nicht gelungen.

[15] 2.2 Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Beweis des behaupteten Rückforderungsgrundes erbracht, weil feststeht, dass die Klägerin den Nachweis für die zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen des Kindes nicht innerhalb der dafür vorgeschriebenen Frist, nämlich bis zum Ende des 15. Lebensmonats am 10. 1. 2020, erbracht hat. Die Klägerin stützt sich auf eine Ausnahme von der Kürzungsregel, daher auf einen den Rückforderungsanspruch der Beklagten vernichtenden Umstand. Für dessen Vorliegen trägt sie, wie sie in der Revision selbst erkennt, die Beweislast (RIS‑Justiz RS0086067 [T6]). Die Negativfeststellung, wonach nicht feststeht, dass der Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin eine falsche E‑Mail‑Adresse der Beklagten genannt oder die Klägerin diese falsch verstanden oder aufgeschrieben hat, geht aufgrund der dargestellten und vom Berufungsgericht beachteten Rechtsprechung daher zu ihren Lasten (10 ObS 174/21t). Entgegen den Ausführungen in der außerordentlichen Revision ist ihr daher der Beweis, dass ihr die unrichtige E‑Mail‑Adresse genannt wurde, gerade nicht gelungen. Dies gilt auch für die weitere vom Berufungsgericht genannte Negativfeststellung, aufgrund der die Klägerin im konkreten Fall auch nicht bewiesen hat, dass sie keine Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Zustellung ihres E‑Mails hatte.

[16] 3.1 Für die Beurteilung, ob die nicht rechtzeitige Vornahme oder der nicht rechtzeitige Nachweis der Untersuchungen von den Eltern im Sinn des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG zu vertreten sind, kommt es darauf an, ob den Eltern ein rechtlich relevanter Vorwurf gemacht werden kann (10 ObS 32/21k; 10 ObS 85/21d mwH). Die Frage, ob der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0130213 [T2]).

[17] 3.2 Die Klägerin behauptet das Fehlen entscheidungswesentlicher Feststellungen zu ihrem Vorbringen:

a) Aus der Wahl einer reinen Buchstabenfolge in der E‑Mail‑Adresse der Beklagten ergebe sich eine Fehlerquelle, die von der Beklagten geschaffen und bewusst in Kauf genommen worden sei, um allfällige Fehler von Anspruchstellern zu ihrem Vorteil zu nützen;

b) Die Beklagte habe von 2019 auf 2020 ihre Organisation – von der SVA zur SVS – geändert. Damit seien Änderungen von zuständigen Sachbearbeitern, Adressen, Telefonnummern und E‑Mail‑Adressen einhergegangen, wodurch in die bisher reibungslose Abwicklung zwischen der Klägerin und der SVA eingegriffen worden sei. Die Klägerin habe weder die zuständige Sachbearbeiterin noch eine E‑Mail‑Adresse gekannt;

c) Selbst wenn die Klägerin die Fehlermeldung (Unzustellbarkeitsnachricht) erhalten hätte, hätte sie lediglich gewusst, die falsche E‑Mail‑Adresse verwendet zu haben, weil in der Fehlermeldung keine korrekte E‑Mail‑Adresse der Beklagten enthalten sei.

[18] Aus den aufgrund dieses Vorbringens zu treffenden Feststellungen hätte sich ergeben, dass der Klägerin die nicht fristgerechte Übersendung der Untersuchungsnachweise nicht vorwerfbar sei.

[19] 3.3 Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht feststeht, aus welchen Gründen die Klägerin die unrichtige E‑Mail‑Adresse im konkreten Fall gewählt hat, insbesondere ergibt sich auch aus ihrem Vorbringen nicht, ob dies infolge der von der Beklagten gewählten „reinen Buchstabenfolge“ geschah. Auch mit ihrem Vorbringen zu den Folgen der Organisationsänderung bei der Beklagten und dem behaupteten Fehlen einer E‑Mail‑Adresse in der Fehlermeldung zeigt die Klägerin nicht auf, aus welchen konkreten Gründen ihr nicht vorwerfbar sein sollte, das E‑Mail vom 31. 1. 2020 an eine unrichtige E‑Mail‑Adresse gesandt zu haben.

[20] 4. Die Revisionswerberin zeigt daher keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf, dass ihr im konkreten Fall rechtlich im Sinn des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG vorwerfbar ist, die Nachweise für die zweiten bis fünften Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht fristgerecht an die Beklagte gesandt zu haben. Aus diesem Grund bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit der auch in der Revision aufgeworfenen Frage, ob die erstmals – infolge der Entscheidung 10 ObS 58/21h – in der Berufung der Beklagten geltend gemachte Rechtsansicht, der von der Klägerin behauptete Hinderungsgrund sei schon deshalb unbeachtlich, weil er erst nach Ablauf des 15. Lebensmonats des Kindes aufgetreten sei, überraschend sei. Da sich das Berufungsgericht ohnehin in seiner rechtlichen Beurteilung nicht auf diese Entscheidung gestützt hat, zeigt die Revisionswerberin auch mit diesen Rechtsausführungen keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf.

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