OGH 10ObS58/21h

OGH10ObS58/21h29.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. K*, vertreten durch Dr. Martin Schober Rechtsanwalts GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva‑Maria Bachmann‑Lang und Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 2021, GZ 9 Rs 1/21 i‑18, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 6. November 2020, GZ 9 Cgs 134/20g‑14, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132585

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Reduktion des Kinderbetreuungsgeldanspruchs der Klägerin um 1.300 EUR mangels rechtzeitigen und ausreichenden Nachweises der zweiten bis fünften Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen des Kindes.

[2] Die Klägerin ist die Mutter des * 2017 geborenen Kindes M*. Bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes übermittelte sie der Beklagten keinen Nachweis über die zweite bis fünfte Mutter-Kind-Pass- Untersuchung des Kindes. Am 14. 1. 2019 legte die Mutter der Klägerin bei einem Sprechtag der Beklagten die Kopie einer in slowakischer Sprache verfassten Urkunde vor, in der in tabellarischer Form jeweils das zu einem bestimmten Datum gemessene Gewicht und die Körpergröße des Kindes eingetragen waren. Ein Stempel oder eine Unterschrift eines Arztes waren nicht vorhanden. Der Mitarbeiter der Beklagten sagte der Mutter der Klägerin, dass sie – sollte noch etwas fehlen – eine Verständigung vom Kompetenzzentrum Kinderbetreuungsgeld bekommen sollte. Mit Schreiben vom 8. 3. 2019 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur Bearbeitung des Antrags „Nachweise über Kindesuntersuchungen mit Datum, Stempel und Unterschrift des Arztes im Zeitraum zwischen 4. Lebenswoche und 14. Lebensmonat des Kindes“ benötige. Die Klägerin übermittelte der Beklagten daraufhin im April 2019 eine Kopie der gleichen Urkunde, diesmal versehen mit dem Stempel und der Unterschrift einer Ärztin. Mit Schreiben vom 29. 5. 2019 forderte die Beklagte die Klägerin zur Übermittlung weiterer (nicht Kindesuntersuchungen betreffender) Unterlagen auf. Bei einem Telefonat im Dezember 2019 wurde der Mutter der Klägerin seitens der Beklagten mitgeteilt, dass unter anderem der Mutter-Kind-Pass fehle. Diese gab noch am gleichen Tag (neuerlich) eine Kopie der die Mess- und Wiegedaten des Kindes enthaltenden Urkunde mit Stempel und Unterschrift der Ärztin ab. Dabei wurde der Mutter der Klägerin erklärt, dass alles in Ordnung sei. Mit Schreiben vom 25. 2. 2020 fasste die Klägerin den zeitlichen Ablauf zusammen und ersuchte um Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes. Im Mai 2020 wurde ihr pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto für den Zeitraum von 26. 10. 2017 bis 22. 4. 2018 gewährt.

[3] Mit Bescheid vom 8. 6. 2020 wurde (unter anderem) ausgesprochen, dass sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld um 1.300 EUR reduziere.

[4] Mit ihrer am 1. 7. 2020 zur Post gegebenen Klage wendet sich die Klägerin – soweit revisionsgegenständlich – gegen die Reduzierung des Kinderbetreuungsgeldes um 1.300 EUR. Im Verfahren legte sie einen am 7. 8. 2020 ausgestellten „ärztlichen Bericht“ einer slowakischen Ärztin vor, in der die durchgeführten Kindesuntersuchungen im Einzelnen (unter Angabe der Art der Untersuchungen) angeführt sind.

[5] Die Beklagte wandte ein, die Klägerin habe trotz Aufforderung vom 8. 3. 2019 keine vollständigen Nachweise, sondern nur eine „Wiegekarte“ vorgelegt.

[6] Das Erstgericht sprach aus, dass die Reduzierung des Kinderbetreuungsgeldes nicht zu Recht erfolgt sei, weil die Säumnis nicht der Klägerin zugerechnet werden könne.

[7] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung über Berufung der Beklagten im Sinn einer Klageabweisung ab und ließ die Revision zu, weil eine gesicherte Rechtsprechung zu § 7 Abs 3 KBGG nicht vorliege.

[8] Rechtlich führte es aus: Da die Nachweise nicht rechtzeitig erbracht worden seien, trage die Klägerin die Beweislast für jene Tatsachen, die der Reduktion des Kinderbetreuungsgeldes entgegenstünden. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergäben sich keine Gründe, aus denen der Nachweis der Untersuchungen bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes (am 1. 11. 2018) unterblieben sei (§ 7 Abs 3 Z 1 KBGG). Der Nachweis sei auch nicht bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes am 1. 2. 2019 nachgebracht worden, weil sich aus der vorgelegten Urkunde nur eine Auflistung von Daten, nicht aber ein Aussteller oder die Vornahme ärztlicher Untersuchungen einschließlich der vorgeschriebenen orthopädischen, HNO‑ und Augenuntersuchung ergäben. Darauf, ob die Klägerin die Nichteinhaltung der Nachfrist zu vertreten habe, komme es nicht an, weil § 7 Abs 3 Z 1 und Z 2 KBGG zwei separate Tatbestände seien.

[9] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Abänderung im klagestattgebenden Sinn beantragt; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revisionswerberin macht geltend, die Tatbestände des § 7 Abs 3 Z 1 und 2 KBGG seien in Verbindung miteinander anzuwenden, sodass es darauf ankomme, ob die Klägerin den unterbliebenen Nachweis bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes zu vertreten habe. Ihr sei im vorliegenden Fall kein Vorwurf zu machen, weil sie durch die mangelnde Aufklärung der Beklagten am 14. 1. 2019 in den Glauben versetzt worden sei, dass die vorgelegten Unterlagen ausreichten.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zulässig, weil erstmals die Frage des Verhältnisses von § 7 Abs 3 Z 1 zu Z 2 KBGG an den Obersten Gerichtshof herangetragen wurde. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

[13] 1. Gemäß § 7 Abs 2 Z 2 KBGG besteht der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe nur, sofern die zweite bis fünfte Untersuchung des Kindes bis zur Vollendung des 14. Lebensmonats nach der Mutter-Kind-Pass-Verordnung 2002 (MuKiPassV, BGBl II 2001/470 idF BGBl II 2013/420) vorgenommen und spätestens bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigungen nachgewiesen werden.

[14] Werden die im § 7 Abs 2 KBGG vorgesehenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen, so reduziert sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um 1.300 EUR (§ 3 Abs 4 KBGG).

[15] § 7 Abs 3 KBGG sieht Ausnahmen von dieser Kürzungsregel vor: Nach § 7 Abs 3 KBGG besteht Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn (Z 1) die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt oder (Z 2) die jeweiligen Nachweise bis spätestens zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes nachgebracht werden.

[16] 2. § 7 Abs 3 KBGG enthält in seinen Z 1 und 2 zwei Tatbestände, die durch das Wort „oder“ verbunden sind. Nach dem Wortlaut der Bestimmung handelt es sich demnach um alternative, nicht um kumulativ anzuwendende Voraussetzungen der Erbringung der Untersuchungsnachweise.

[17] § 7 Abs 3 Z 1 KBGG nennt keine gesonderte Frist, innerhalb derer sich die Gründe, die von den Eltern nicht zu vertreten sind, auswirken müssen. Die Nachweisfrist findet sich allerdings bereits in der unmittelbar davor stehenden Bestimmung des § 7 Abs 2 (hier: Z 2) KBGG, an den die Bestimmung des Abs 3 auch ihrem Wortlaut nach anknüpft („ungeachtet des Abs 2“). Bei systematischer Betrachtung kann § 7 Abs 3 Z 1 KBGG daher nur dahin verstanden werden, dass eine Kürzung des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld nur dann zu unterbleiben hat, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen innerhalb der in § 7 Abs 2 KBGG genannten Frist aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterblieb.

[18] Die außerhalb der Zurechnungssphäre der Eltern liegenden Hinderungsgründe müssen also innerhalb der in § 7 Abs 2 KBGG angeführten Nachweisfrist (hier: bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes) zum Tragen kommen.

[19] Diese Auslegung des § 7 Abs 3 Z 1 KBGG schließt nicht aus, dass bei Vorliegen derartiger Hinderungsgründe während eines längeren, über die Vollendung des 15. (auch des 18.) Lebensmonats des Kindes hinausgehenden Zeitraums der ungekürzte Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld erhalten bleiben kann. Eine derartige Konstellation wäre etwa im Fall der späteren Adoption eines Kindes (vgl ErlRV 229 BlgNR 23. GP  6) denkbar.

[20] Hinderungsgründe, die erst nach Ablauf der Frist des § 7 Abs 2 KBGG (hier: nach Ablauf der Nachweisfrist bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes) entstehen, erfüllen die Voraussetzungen des § 7 Abs 3 Z 1 KBGG jedoch nicht. Zutreffend führte bereits das Berufungsgericht aus (§ 510 Abs 3 ZPO), dass bei der von der Klägerin angestrebten Auslegung, wonach es auf die Gründe des Unterbleibens des Nachweises während der Nachweisfrist des § 7 Abs 2 Z 2 KBGG (bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes) nicht ankomme und der ungekürzte Kinderbetreuungsgeldanspruch erhalten bleibe, sofern nur zwischen dem Beginn des 16. bis zur Vollendung des 18. Lebensmonats des Kindes von den Eltern nicht zu vertretende Hinderungsgründe vorliegen, kein Anwendungsbereich für die Nachweisfrist des § 7 Abs 2 Z 2 KBGG verbliebe (§ 510 Abs 3 ZPO). Dies widerspräche dem Grundsatz, dass Gesetze wörtlich nicht so auszulegen sind, dass ihnen kein Anwendungsbereich verbleibt (vgl RS0010053).

[21] 3. Da von der Klägerin keine Gründe behauptet wurden, aus denen sie am Nachweis der zweiten bis fünften Mutter-Kind-Pass-Untersuchung bis zur Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes gehindert war, kann sie ihren Anspruch auf ungekürztes Kinderbetreuungsgeld nicht aus § 7 Abs 3 Z 1 KBGG ableiten.

[22] Ob die Klägerin – nach der erstmaligen Vorlage einer Urkunde zum Nachweis der Untersuchungen am 14. 1. 2019, somit bereits nach Vollendung des 15. Lebensmonats des Kindes – dem Schreiben der Beklagten vom 8. 3. 2019 ausreichend deutlich alle Gründe entnehmen konnte, aus denen die Urkunde inhaltlich als Untersuchungsnachweis ungeeignet war, ist daher nicht entscheidend.

[23] 4. Innerhalb der Nachfrist des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG legte die Klägerin nur eine Urkunde über Gewicht und Maße des Kindes ohne ärztlichen Stempel oder Unterschrift und ohne Angabe der durchgeführten Untersuchungen (abgesehen von Wiegen und Messen) vor.

[24] Die Revision zieht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass diese Urkunde keinen tauglichen Nachweis der Durchführung der zweiten bis fünften Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen des Kindes darstellte, nicht in Zweifel. Ein anderer Nachweis wurde innerhalb der Frist des § 7 Abs 3 Z 2 KBGG nicht vorgelegt. Auch aus dieser Bestimmung kann daher die Berechtigung des Klagebegehrens nicht abgeleitet werden.

[25] 5. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[26] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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