OGH 6Ob70/22w

OGH6Ob70/22w25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* AG, *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Dr. Hubert Simon, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und 50.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Februar 2022, GZ 5 R 129/21h‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00070.22W.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Unter den Begriff der Verbreitung von Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB fallen nach ständiger Rechtsprechung auch bloße Verdächtigungen, weil die Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RS0031816). Ein solcher Umgehungstatbestand liegt aber nicht vor, wenn in einem Medienartikel klar und vollständig offengelegt wird, auf welchem konkreten wahren Tatsachenkern ein geäußerter Verdacht beruht (RS0031816 [T1]). Eine logisch überprüfbare Schlussfolgerung, die von den Erklärungsempfängern an Hand der offengelegten Tatsachengrundlage nachvollzogen und abgewogen werden kann, ist als bloß wertende Äußerung zu qualifizieren (6 Ob 244/09i [ErwGr 4.2.]; 6 Ob 96/04t).

[2] 1.2. Welcher Bedeutungsinhalt letztlich einer bestimmten Äußerung beizumessen ist, ob es sich um die Verbreitung von Tatsachen, einer auf einem wahren Tatsachenkern beruhenden wertenden Meinungsäußerung oder eines reinen Werturteils handelt, richtet sich nach dem Zusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt (6 Ob 244/09i [ErwGr 4.2.]; RS0079395 [T3]). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hängen die Fragen, ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RS0107768), ob Tatsachen verbreitet wurden oder eine wertende Äußerung vorliegt (RS0031883 [T30]) oder ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RS0113943), so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO in der Regel – von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – nicht zu klären sind (6 Ob 97/22s [ErwGr 3.]).

[3] 2. Das Berufungsgericht war der Ansicht, der Durchschnittsadressat verstehe den von der Beklagten in ihrem Nachrichtenmagazin veröffentlichten Artikel aufgrund der darin wiedergegebenen dementierenden Stellungnahmen der Beteiligten und der vorsichtigen Formulierung in Form einer Frage, ob es einen „Deal“ der Klägerin mit einer Regierungspartei in Ansehung von Plänen zur Liberalisierung des Glücksspielmarkts gegeben habe, lediglich dahin, dass die Artikelverfasser die von ihnen aufgezeigten Umstände und Zusammenhänge als in diese Richtung verdächtig befunden hatten. Darin ist keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erblicken.

[4] 3. Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Klägerin als weltweit führendes österreichisches Glücksspielunternehmen sei im gegebenen Zusammenhang als „public figure“ anzusehen, die einen höheren Grad an Toleranz gegenüber kritischen Wertungen zeigen müsse (vgl RS0115541), wendet sich die Revision nicht.

[5] 4.1. Jene Tatsachen, auf die die Artikelverfasser ihren Verdacht gründeten, wurden im veröffentlichten Artikel offengelegt. Dass diese nicht der Wahrheit entsprachen, wurde weder in erster Instanz noch in der Revision behauptet.

[6] 4.2. Entgegen den Revisionsausführungen bestanden diese Tatsachen nicht lediglich darin, dass im Jahr 2018 an einer Glücksspielnovelle gearbeitet wurde und die Klägerin Aktionärin der C* AG war. Vielmehr wurde im Artikel auf den damals vorliegenden Aktionärsstreit bei der C* AG, auf das einem Syndikatsvertrag mit einem weiteren Aktionär widersprechende dortige Stimmverhalten der Klägerin zugunsten der Aktionärin Republik Österreich, auf im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen im „Ibiza-Skandal“ wegen eines mutmaßlichen „Deals“ der Klägerin mit einer anderen Regierungspartei sichergestellte Mobiltelefoneinträge des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Klägerin sowie auf den Inhalt der im Finanzressort vorbereiteten Liberalisierung des Glücksspielmarkts und auf deren für die Klägerin wirtschaftlich günstigen Auswirkungen hingewiesen.

[7] 4.3. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, wonach die Äußerung des Verdachts auf einen dem Leser des Artikels offengelegten wahren Tatsachenkern zurückzuführen sei, es des Nachweises der Wahrheit des Inhalts der Verdächtigung nicht bedurft (vgl 6 Ob 94/04t) und daher keine diesbezüglichen Feststellungsmängel bestanden hätten, liegt nicht vor. Auf das Vorliegen des Haftungsausschlussgrundes der Einhaltung der journalistischen Sorgfalt nach § 6 Abs 2 Z 2 lit b, § 29 Abs 1 MedienG kommt es daher im vorliegenden Fall nicht an (vgl 6 Ob 94/04t).

[8] Angemerkt sei, dass (auch) der im inkriminierten Artikel geäußerte Verdacht Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses war (vgl den Bericht des Untersuchungsausschusses betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis‑blauen Bundesregierung [Ibiza-Untersuchungsausschuss] [1/US], 1040 BlgNR 27. GP 42 ff und 140 ff).

[9] 4.4. Zu vergleichbaren Verdachtsvorwürfen im Zuge eines politischen Diskurses wurde bereits ausgesprochen, dass diesen nicht der Bedeutungsinhalt des Vorwurfs einer strafbaren Handlung zu unterstellen sei (6 Ob 218/08i [ErwGr 2. f]) und ein massiver Wertungsexzess nicht vorliege (6 Ob 218/08i [ErwGr 2. f]; vgl auch 6 Ob 94/04t).

[10] Das Berufungsgericht war der Ansicht, es sei weder die Dringlichkeit des geäußerten Verdachts bewertet, noch sei dieser als besonders naheliegend, massiv oder schwerwiegend bezeichnet worden. Die Frage, ob sich die Klägerin einer gerichtlich strafbaren Handlung schuldig gemacht haben könnte, sei nicht einmal angedeutet worden. Auch der wesentliche Inhalt der Stellungnahme der Klägerin auf die Anfrage der Beklagten sei wiedergegeben worden. Ein Wertungsexzess liege daher im Hinblick auf die Stellung der Klägerin als „public figure“ nicht vor. Diese Beurteilung bewegt sich im Rahmen des dem Berufungsgericht zukommenden Beurteilungsspielraums.

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