OGH 6Ob244/09i

OGH6Ob244/09i19.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. K*****, vertreten durch Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte KEG in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei K*****gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Helmut Sommer und Mag. Felix Fuchs, Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Unterlassung (Streitwert 20.100 EUR), Widerruf und Veröffentlichung (Streitwert 2.100 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 8. Juli 2009, GZ 6 R 53/09z-15, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 15. Jänner 2009, GZ 49 Cg 93/08d-9 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss des unangefochten gebliebenen klagsabweisenden Teils nunmehr zu lauten hat:

„Das Klagebegehren,

1.) die beklagte Partei sei schuldig, es ab sofort gegenüber dem Kläger zu unterlassen, im Zusammenhang mit der Wahl von G***** D***** zum Landeshauptmann von ***** die wörtliche und/oder sinngemäße Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten, dass also nur ein *****ler als Verräter bleiben würde und hier der Kläger ins Spiel käme, also dass der Kläger der Verräter, der nicht den *****Kandidaten G***** D*****, sondern vielmehr den *****Gegenkandidaten Ing. R***** R***** gewählt hätte, wäre,

2.) die beklagte Partei sei schuldig, die im Zusammenhang mit der Wahl von G***** D***** zum Landeshauptmann von ***** aufgestellte und verbreitete Behauptung, dass also nur ein *****ler als Verräter bleiben würde und hier K***** S***** ins Spiel käme, also dass der Kläger der Verräter, der nicht den *****Kandidaten G***** D*****, sondern vielmehr den *****Gegenkandidaten R***** R***** gewählt hätte, wäre, gegenüber den Lesern des Artikels „Risse im orangen Aufgebot“ vom 26./27. 10. 2008 in der „N***** K***** T*****“ unter der Überschrift „Widerruf“ binnen 14 Tagen in der eben angeführten Tageszeitung in der gleich auffälligen Form wie in der inkriminierten Veröffentlichung, sohin die Überschrift „Widerruf“ in der Größe der Überschrift „Risse im orangen Aufgebot“ und die Größe des Fließtextes in der Größe des Fließtextes der inkriminierten Veröffentlichung im Zeitungsteil Politik öffentlich als unwahr zu widerrufen,

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.597,28 EUR (darin 432 EUR USt und 5,28 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.585,56 EUR (Berufung; darin 274,90 EUR USt und 936,16 EUR Barauslagen) sowie 2.425,60 EUR (Revision; darin 197,88 EUR USt und 1.238,32 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen:

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum Klubobmann der Partei „*****“. Die Beklagte ist Medieninhaberin der „N***** K***** T*****“.

Die Beklagte veröffentlichte in der Druckausgabe dieser Zeitung vom 26./27. Oktober 2008 einen ganzseitigen Artikel mit der im Spruch genannten Überschrift, der Subunterschrift „LH D***** wird sich gegen Karrieregelüste der S*****-Brüder wehren müssen“. Im weiteren Text wird mit folgendem Wortlaut auf den Ablauf der vorangegangenen Wahl zum K***** Landeshauptmann Bezug genommen: „D***** hätte mit den Stimmen von *****. ***** und ***** auf 20 Kreuzerln kommen müssen, erhielt aber nur 19. *****-Mann Schwager wird als Sündenbock hingestellt, er schwört glaubhaft, D***** gewählt zu haben. Die ***** hat zum Nachweis die Stimmzettel markiert. Bleibt also nur ein *****ler als Verräter. Hier kommt K***** S*****, Bruder des Parteichefs und *****Klubobmann, ins Spiel. Den S*****s werden Gelüste nachgesagt, die Partei zu übernehmen und D***** loszuwerden ...“.

Gestützt auf §§ 16, 1330 Abs 1 und 2 ABGB begehrt der Kläger die Unterlassung und den Widerruf der Behauptung, dass „nur ein *****ler als Verräter bleiben“ würde und er „hier ins Spiel komme“, also er der Verräter wäre, der nicht den Kandidaten der eigenen Partei gewählt habe. Diese Behauptung sei sowohl ehrenbeleidigend, als auch eine unwahre, kreditschädigende Tatsachenbehauptung.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren zur Gänze und dem Veröffentlichungsbegehren unter Abweisung des Mehrbegehrens „...also dass der Kläger der Verräter, der nicht den *****Kandidaten G***** D*****, sondern vielmehr den *****Gegenkandidaten R***** R***** gewählt hätte, wäre...“ teilweise statt, weiters erließ es die mit der Klage begehrte einstweilige Verfügung.

Es stellte fest, der Kläger habe bei der gegenständlichen Wahl für den Kandidaten seiner Partei gestimmt. Der im Artikel der Beklagten gegen ihn erhobene Vorwurf mangelnder Parteidisziplin sei zwar nicht als ehrenbeleidigend, wohl aber als unwahr und kreditschädigend zu qualifizieren. Auch bloß in Verdachtsform geäußerte Vorwürfe seien nach der Rechtsprechung tatbildlich. Dem Kläger sei der ihm obliegende Beweis der Unwahrheit des Vorwurfs gelungen. Die beklagte Partei habe sich auf keine tauglichen Rechtfertigungsgründe berufen können, zumal sie selbst zugestehe, dass zumindest jeder andere Landtagsabgeordnete der Partei des Klägers ebenfalls als „Verräter“ in Betracht komme.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Beklagte habe nicht nur neutral einen Verdacht geäußert, sondern sich damit nach dem Gesamteindruck ihres Artikels identifiziert. Mangels eines ausreichenden und richtigen Tatsachensubstrats für den gegen den Kläger erhobenen Vorwurf könne sie sich auch nicht mit Erfolg auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, selbst wenn der Artikel im Zusammenhang mit der Diskussion von Fragen allgemein-öffentlichen Interesses stehe. Weder die Begründung, dass der abtrünnige Wähler jedenfalls ein Mandatar der Partei des Klägers gewesen sein müsse, noch die behaupteten Machtgelüste des Klägers und seines Bruders würden dafür ein hinreichendes Substrat bilden. Der Vorwurf mangelnder Parteidisziplin - wenn auch in Ausübung eines freien Wahlrechts - sei geeignet, das wirtschaftliche Fortkommen des Klägers innerhalb seiner Partei zu beeinträchtigen.

Über Antrag der Beklagten erklärte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 14. Oktober 2009 nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die ordentliche Revision zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit für zulässig, weil ein Strafsenat des Oberlandesgerichts Graz im Verfahren über das Entschädigungsbegehren des Klägers nach §§ 6 ff MedienG zu einer gegenteiligen Beurteilung der inkriminierten Äußerung gelangt sei.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beurteilung des Sachverhalts von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

1. Die Entschädigungsansprüche nach §§ 6 ff MedienG und nach § 1330 ABGB sind nach der Rechtsprechung unterschiedlicher Rechtsnatur. Die abweichende Beurteilung der beiden Ansprüche in zwei verschiedenen Verfahren durch verschiedene Spruchkörper desselben Gerichts begründet daher noch keine uneinheitliche Rechtsprechung iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0116241 [T2]). Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist der Oberste Gerichtshof aber nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO), sondern sind auch die übrigen vom Revisionswerber angeschnittenen Rechtsfragen miteinzubeziehen (RIS-Justiz RS0042392).

Die Revisionswerberin stützt ihre Rechtsausführungen insbesondere auf das Argument, das Berufungsgericht sei in seiner Beurteilung von der jüngeren, an den Grundsätzen der Rechtsprechung des EGMR orientierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu § 1330 ABGB im Bereich der politischen Auseinandersetzung abgewichen. Damit zeigt die Beklagte im Ergebnis auch zutreffend einen Revisionsgrund iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

2. Die streitgegenständliche Äußerung war Teil einer Medienberichterstattung im Zusammenhang mit einem aktuellen politischen Ereignis von (zumindest lokal) erheblichem öffentlichen Interesse.

Den Medien kommt nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle zu (vgl EGMR Scharsach und News Verlagsgesellschaft, Nr 39394/98, Rz 30). Der Gerichtshof prüft aufgrund des Art 10 Abs 2 MRK, ob der vorgenommene Eingriff des Staates in die Freiheit der Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig oder doch verhältnismäßig ist und einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht (Reischauer in Rummel 3, § 1330 Rz 39 mwN). Für Beschränkungen von politischen Aussagen oder einer Debatte über Fragen des öffentlichen Interesses besteht dabei nach der ständigen Rechtsprechung nur ein sehr enger Ermessensspielraum (vgl EGMR Pfeifer, Nr 12556/03; Lingens, MR 1986, H 4, 11 = EuGRZ 1986, 424). Die Medienfreiheit bietet der Öffentlichkeit eines der besten Mittel, eine Meinung über die Ideen und Einstellungen politischer Führer festzustellen und zu bilden (EGMR MR 1986, H 4, 12 = EuGRZ 1986, 424 zur Pressefreiheit), zumal die Freiheit der politischen Debatte das eigentliche Kernstück des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft ist (EGMR MR 1986, H 4, 12; 6 Ob 24/95; 6 Ob 138/01i [Herzstück der Konvention]; Reischauer aaO). Ob eine politische Äußerung nach Art 10 EMRK gerechtfertigt erscheint, ist zusammengefasst an der politischen Bedeutung der Stellungnahme, am Gewicht des Anlassfalls, an der Form und Ausdrucksweise sowie dem danach zu unterstellenden Verständnis der Erklärungsempfänger zu messen (6 Ob 83/04f; Harrer in Schwimann ABGB³ VI, § 1330 Rz 48).

Vor diesem Hintergrund muss eine Interessenabwägung regelmäßig schon dann zu Gunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen (6 Ob 266/06w; 6 Ob 248/08a). Diese Grundsätze sind auch im vorliegenden Fall zu beachten.

3. Der übereinstimmenden Beurteilung der gegenständlichen Berichterstattung durch die Vorinstanzen als nicht ehrverletzend iSd § 1330 Abs 1 ABGB ist nicht entgegenzutreten. Der Kläger zeigt in seiner Revisionsbeantwortung keine neuen, bisher nicht erörterten Aspekte auf, die zu einer anderen Betrachtung führen könnten.

4. Es verbleibt daher nur eine Prüfung der inkriminierten Äußerungen unter den Gesichtspunkten des § 1330 Abs 2 ABGB, nämlich einer Verbreitung von Tatsachen, die den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit der Verbreiter kannte oder kennen musste. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schützt die Verbreitung unwahrer Tatsachen nicht (RIS-Justiz RS0107915; RS0032301).

4.1. „Tatsachen“ iSd § 1330 Abs 2 ABGB sind Umstände, Ereignisse oder Eigenschaften mit einem greifbaren, für das Publikum erkennbaren und von ihm an Hand bestimmter oder doch zu ermittelnder Umstände auf seine Richtigkeit überprüfbaren Inhalt. „Unwahr“ ist eine Äußerung nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn ihr sachlicher Kern im Zeitpunkt der Äußerung nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt (vgl 6 Ob 96/04t).

Im Unterschied zu Tatsachen werden Werturteile erst aufgrund einer Denktätigkeit aus einer Tatsachengrundlage gewonnen und geben die rein persönliche Meinung des Erklärenden wieder. Durch ein Werturteil wird der Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB nur dann verwirklicht, wenn es seinerseits auf konkret dargestellte unwahre Tatsachen gegründet wurde (RIS-Justiz RS0032212, insb [T1], [T8]).

4.2. Unter den Begriff der Verbreitung von Tatsachen iSd § 1330 Abs 2 ABGB fallen nach der Rechtsprechung auch bloße Verdächtigungen, weil die Bestimmung bei anderer Auslegung gegen geschickte Formulierungen wirkungslos wäre (RIS-Justiz RS0031816).

Ein solcher Umgehungstatbestand liegt aber nicht vor, wenn in einem Medienartikel klar und vollständig offengelegt wird, auf welchem konkreten wahren Tatsachenkern ein geäußerter Verdacht beruht. Eine logisch überprüfbare Schlussfolgerung, die von den Erklärungsempfängern an Hand der offengelegten Tatsachengrundlage nachvollzogen und abgewogen werden kann, ist als bloß wertende Äußerung zu qualifizieren (6 Ob 96/04t).

Welcher Bedeutungsinhalt letztlich einer bestimmten Äußerung beizumessen ist, ob es sich um die Verbreitung von Tatsachen, die Verbreitung einer auf einem wahren Tatsachenkern beruhenden wertenden Meinungsäußerung oder eines reinen Werturteils handelt, richtet sich nach dem Zusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck, den ein redlicher Mitteilungsempfänger gewinnt (4 Ob 6/93 mwN; 4 Ob 228/03p; RIS-Justiz RS0079395 [T3]).

5. Kernaussage der streitgegenständlichen Mitteilung ist keine Tatsachenbehauptung im engeren Sinn, sondern der Ausspruch eines Verdachts, wobei aber im Artikel offen gelegt wird, auf welchen bestimmten Tatsachen und bloßen Schlussfolgerungen die Verdachtslage beruht.

Zum überwiegenden Teil handelt es sich um objektiv nachprüfbare Tatsachen (das Auszählungsergebnis, die Anzahl der Abgeordneten jeder Partei, das freiwillig offen gelegte Wahlverhalten eines Teils der Abgeordneten, die Behauptung eines weiteren Abgeordneten, die notorische Führungsposition des Klägers innerhalb seiner Partei), deren Wahrheit im Verfahren unstrittig ist. Selbst für den eher flüchtigen Leser besteht auf dieser Grundlage aber kein Zweifel, dass die Formulierung, der Kläger komme „ins Spiel“ (womit offen bleibt, ob als abtrünniger Wähler oder als Anstifter), überhaupt keine eindeutige Schuldzuweisung darstellen kann, sondern nur auf eine von mehreren Varianten hinweist. Für die Adressaten der Mitteilung ist nämlich völlig offenkundig, dass die Verdachtsdichte einerseits von der Glaubwürdigkeit der Beteuerung des Mandatars der ***** abhängt, andererseits selbst bei deren Bejahung auch noch 14 andere Abgeordnete der klägerischen Partei als „Verräter“ in Frage kommen.

Bei der inkriminierten Äußerung handelt es sich also nicht um eine (bloß in Verdachtsform verbrämte) Tatsachenbehauptung, sondern eine auf wahren, offengelegten Tatsachen beruhende wertende Aussage. Die subjektive - und auch eindeutig als solche erkennnbare - Meinung des Verfassers, dem Kläger sei das abtrünnige Wahlverhalten aufgrund innerparteilicher Interessen, aufgrund seiner Machtstellung und seiner Persönlichkeit von allen Abgeordneten seiner Partei am ehesten zuzutrauen, stellt jedenfalls eine im politischen Diskurs von der Meinungsfreiheit gemäß Art 10 EMRK gedeckte Aussage dar.

In Stattgebung der Revision waren die Urteile der Vorinstanzen abzuändern. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1 ZPO, im Rechtsmittelverfahren auch iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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