European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00231.22X.0125.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, die Gegnerin der gefährdeten Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Die Gegnerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. An ihr sind zwei Gesellschafterinnen (wiederum zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung) jeweils im Umfang von 50 % beteiligt. Sie ist Eigentümerin einer bestimmten Liegenschaft. Deren Veräußerung, Belastung oder Verpfändung wurde ihr mittels vom Erstgericht erlassener (und vom Rekursgericht bestätigter) einstweiliger Verfügung gemäß § 381 Z 1 und Z 2 iVm § 382 Abs 1 Z 6 EO verboten.
[2] Die Gefährdete stützte sich auf die vom Erstgericht als bescheinigt angenommene mündliche Einigung der Parteien über den Erwerb der Liegenschaft durch die Gefährdete zu einem Preis von („Brutto für Netto“) 2,05 Mio EUR im August 2021. Es sollte auf Basis eines (Entwurfs des) Kaufvertrags aus dem Jahr 2020 – damals war ein erster Versuch der Gefährdeten, die Liegenschaft zu kaufen, gescheitert – ein neuer Kaufvertrag erstellt und die umsatzsteuerliche Behandlung des Kaufs in einem Sideletter näher präzisiert werden.
[3] Demgegenüber konnte die Gegnerin nicht bescheinigen, es wäre besprochen worden, dass im Kaufvertrag eine zusätzliche Klausel eingefügt wird, wonach (zur Wirksamkeit des Vertrags) ein einstimmiger Beschluss der Gesellschafter der Gegnerin zum Verkauf der Liegenschaft vorliegen müsse.
Rechtliche Beurteilung
[4] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs der Gegnerin gegen die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts nicht zulässig:
[5] 1. Eine anspruchsgebundene einstweilige Verfügung setzt einen zu sichernden Hauptanspruch voraus. Dazu muss die gefährdete Partei (konkrete) Tatsachen behaupten (und glaubhaft machen), aus denen das Bestehen des Anspruchs und dessen Gefährdung (RS0005225 [T2, T3, T5]; RS0031458; RS0005175 [T21]) abgeleitet werden können. Dies beruht schon auf dem allgemeinen Grundsatz, dass – von gesetzlichen Spezialregeln abgesehen – jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (im Provisorialverfahren: zu bescheinigen) hat (RS0109832; RS0037797).
[6] 2. Im vorliegenden Fall hat die Gefährdete behauptet und bescheinigt, dass zwischen ihr und der Gegnerin durch Einigung über Kaufgegenstand und Kaufpreis (RS0019951) ein mündlicher Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Parteien den endgültigen Vertragsabschluss von der Zustimmung auch der zweiten Gesellschafterin abhängig machen wollten, wie dies die Gegnerin behauptet hatte. Die Vorinstanzen sind daher ohne Korrekturbedarf im Einzelfall von einem bereits verbindlichen mündlichen Kaufvertrag ausgegangen, zumal dafür entscheidend ist, dass über alle Vertragspunkte Einigkeit erzielt wurde, über die eine Partei erklärtermaßen eine Einigung wünschte und die deshalb zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht wurden (RS0013972 [T2, T3, T4]; RS0013973 [T15, T22]). Der Umstand, dass die Parteien die Errichtung einer (einverleibungsfähigen) Vertragsurkunde einem späteren Zeitpunkt vorbehalten haben, ändert daran nichts (RS0017166).
[7] 3. Gegen das Bestehen des Anspruchs führt der Revisionsrekurs (neben der Behauptung, es sei ein Vertrag mangels Willenseinigung noch gar nicht geschlossen worden) das Fehlen der Zustimmung der zweiten Gesellschafterin ins Treffen. Deren Zustimmung soll es aber – bei sonstiger Nichtigkeit des Vertrags – wegen einer im vorliegenden Fall angeblich gebotenen analogen Anwendung von § 237 AktG bedurft haben.
[8] Das Rekursgericht hat die Wirksamkeit des Kaufvertrags mit der Begründung bejaht, es sei nicht das gesamte Unternehmen der Gegnerin verkauft worden.
[9] Wenn die Gegnerin diese Beurteilung unter Berufung auf die Entscheidung 6 Ob 38/18h kritisiert, habe der Oberste Gerichtshof darin doch nicht auf die Veräußerung des Unternehmens abgestellt, sondern auf die Veräußerung des ganzen Gesellschaftsvermögens, und sie dem Rekursgericht in diesem Zusammenhang vorwirft, es habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass es bereits ausreiche, wenn zwar nicht das gesamte Gesellschaftsvermögen, wohl aber der „wesentliche Teil der Vermögensaktiven“ erfasst sei, ist ihr die auf ihr lastende – bereits in ErwGr 1. dargestellte – Pflicht, die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und glaubhaft zu machen, vorzuhalten.
[10] Es muss der Gegner der gefährdeten Partei – weil an diese Partei im Provisorialverfahren derselbe Maßstab anzulegen ist wie an die gefährdete Partei – als ein den Anspruch Bestreitender die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen behaupten und bescheinigen (vgl RS0106638 [T2]; RS0037797 [T10]; zum Provisorialverfahren s 6 Ob 198/10a 3 Ob 104/22y).
[11] Ausgehend von dem im Verfahren erster Instanz erstatteten Tatsachenvorbringen der Gegnerin, das durch (spätere) Rechtsausführungen und Vorbringen in Rechtsmitteln nicht ersetzt werden kann, kommt es auf die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Fragestellung einer analogen Anwendung von § 237 AktG auf den vorliegenden Fall nicht an:
[12] Im Verfahren erster Instanz hat die Gegnerin kein Vorbringen zu ihrem Unternehmensgegenstand und zum Umfang ihres Vermögens erstattet. Wegen des auch im Provisorialverfahren geltenden Neuerungsverbots im Rechtsmittelverfahren (RS0002445) kann sie im Verfahren erster Instanz nicht vorgebrachte Tatsachen (die verkaufte Liegenschaft sei – wie nun im Revisionsrekurs dargestellt – ihre einzige, ihr verbliebe nach deren Verkauf lediglich die Stammeinlage als „Restvermögen“; sobald diese verkauft sei, könne ihr „tatsächlicher“ Unternehmensgegenstand, nämlich der Erwerb, die Vermarktung und der Verkauf [nur] der gegenständlichen Liegenschaft „naturgemäß nicht mehr [auch nicht mehr eingeschränkt] betrieben werden“; der Verkauf bedeute eine faktische Liquidation) nicht mehr nachtragen (vgl RS0042025).
[13] 4. Dies gilt auch für den erstmals im Revisionsrekurs behaupteten Missbrauch der Vertretungsmacht durch ihre Geschäftsführerin, der sich dem bescheinigten Sachverhalt überdies nicht entnehmen lässt.
[14] 5. Insgesamt kann demnach die Gegnerin in ihrem Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage ansprechen, sodass ihr Revisionsrekurs zurückzuweisen ist.
[15] Der Kostenausspruch beruht für die Antragstellerin auf § 393 Abs 1 EO und für die Gegnerin auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)