OGH 9ObA131/22p

OGH9ObA131/22p24.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Philipp Brokes (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. M*, vertreten durch Gahleitner Rechtsanwältin GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Bertram Schneeberger, Rechtsanwalt in Hartberg, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2022, GZ 9 Ra 86/22s‑58, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00131.22P.0124.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre ist für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit der Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sog Konkretisierungszeitpunkt) maßgebend (RS0051772). Entscheidend ist eine vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung für die wesentlichen Interessen des Arbeitnehmers (RS0051772 [T2]; 9 ObA 110/88 = DRdA 1989/23 [Floretta]; 9 ObA 279/88; 8 ObA 25/03i; Wolligger in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 105 ArbVG Rz 149 mwN; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, ArbVR 36 § 105 Rz 96; Schrank in Tomandl, Arbeitsverfassungsrecht9 § 105 Rz 148). Künftige Entwicklungen der Verhältnisse nach der Kündigung sind dann in die Beurteilungsgrundlage einzubeziehen, wenn sie noch mit der angefochtenen Kündigung in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (9 ObA 110/88 = DRdA 1989/23 [Floretta]; 9 ObA 81/22k [Rz 5]; RS0051785; vgl RS0051772 [T4]; aA Wachter, Der Konkretisierungszeitpunkt beim allgemeinen Kündigungsschutz in Funk/Melzer‑Azodanloo, Arbeiten in Würde, in FS Löschnigg [2019] 415, 431).

[2] In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof etwa ausgesprochen, dass der Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung der gekündigten Arbeitnehmerin nach dem Kündigungsausspruch nicht mehr in sachlichem Zusammenhang mit der Kündigung steht, weil diese Interessenbeeinträchtigung der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung im Rahmen einer rational nachvollziehbaren Prognose nicht vorhersehbar war (9 ObA 199/95).

[3] Ob künftige Entwicklungen zu berücksichtigen sind, weil sie zum Kündigungszeitpunkt objektiv vorhersehbar waren, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (9 ObA 179/00i). Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Eintritt der Schwangerschaft der klagenden Arbeitnehmerin im Zeitraum zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses kann bei Beurteilung der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG nicht berücksichtigt werden, weil dieser Umstand in keinem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der rational nachvollziehbaren Prognose der beklagten Arbeitgeberin zum Kündigungszeitpunkt steht, entspricht den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum Konkretisierungszeitpunkt. Der Eintritt der Schwangerschaft der Klägerin erst nach dem Kündigungsausspruch war für die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt nicht voraussehbar. Dieser Umstand steht in keinem sachlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Kündigung. Die Schwangerschaft der Klägerin kann daher nicht bei Beurteilung der wesentlichen Interessenbeeinträchtigung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG berücksichtigt werden.

[4] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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