OGH 8ObA25/03i

OGH8ObA25/03i22.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter Peter Ammer und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gabriele C*****, vertreten durch Gabler & Gibel, Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, wider die beklagte Partei M***** GmbH & Co KG, ***** vertreten durch Korn Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Dezember 2002, GZ 9 Ra 264/02p-49, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. November 2001, GZ 27 Cga 89/00f-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.126,62 (darin enthalten EUR 187,77 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen haben die Sozialwidrigkeit der Kündigung zutreffend bejaht, sodass es gemäß § 510 Abs 3 ZPO ausreicht, auf die Begründung der angefochtenen Urteile zu verweisen.

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Strittig ist nur noch, ob die der Klägerin von der Beklagten im Zuge des Anfechtungsverfahrens am 8. 5. 2001 angebotene Planstelle "Telefonische Wortanzeigenannahme und Verkauf" geeignet ist, die Sozialwidrigkeit der ca ein Jahr zuvor (am 26. 5./29. 5. 2000) ausgesprochenen Kündigung der Klägerin zu beseitigen.

Die Revisionswerberin vertritt zusammengefasst die Meinung, maßgeblich für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit sei gemäß § 406 ZPO der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Nach dem Kündigungszeitpunkt liegende tatsächliche Entwicklungen seien jedenfalls zu berücksichtigen.

Diese Auffassung trifft nicht zu:

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beurteilung des Anfechtungsgrundes des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Konkretisierungszeitpunkt) abzustellen (DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; SZ 65/43; RIS-Justiz RS0051772). Das gilt nicht nur für die vorerst vorzunehmende (RIS-Justiz RS0051640) Prüfung, ob durch die Kündigung wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, sondern auch für die Beurteilung, ob die Kündigung durch betriebliche Erfordernisse begründet ist (RIS-Justiz RS0051960).

Die Rechtfertigung für die Maßgeblichkeit des Kündigungszeitpunktes liegt darin, dass § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG dem Arbeitgeber eine Richtschnur geben will, welche Gesichtspunkte er bei einer Kündigung zu beachten hat. Sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrat müssen sich an § 105 ArbVG orientieren können, sobald es zu einer Kündigung kommt. Man kann weder vom Arbeitgeber noch vom Betriebsrat verlangen, dass sie Entwicklungen vorausahnen, die sich erst Jahre später einstellen werden. Es ist daher von jenem Zeithorizont auszugehen, der sich im Kündigungszeitpunkt absehen lässt. Stellte man hingegen für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit auf im Kündigungszeitpunkt nicht vorhersehbare spätere Entwicklungen ab, wird die Wirksamkeit der Kündigung für den Arbeitgeber, aber auch für den Arbeitnehmer im Zeitpunkt ihres Ausspruches völlig unberechenbar. Man kann dem Gesetzgeber des ArbVG nicht unterstellen, dass der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung völlig im Ungewissen bleiben soll, ob im konkreten Fall eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung vorliegen werde oder nicht (vgl dazu Tomandl, Bemerkungen zur Rechtsprechung des VwGH zum allgemeinen Kündigungsschutz, ZAS 1984, 203 [207]; ihm folgend SZ 63/68).

Überdies darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der Kündigungsanfechtung um ein Rechtsgestaltungsbegehren handelt. Im Fall der Stattgebung wird eine zunächst schwebend wirksame Kündigung rückwirkend für unwirksam erklärt (RIS-Justiz RS0052018; SZ 72/200). Der Umstand, dass durch die Entscheidung im Anfechtungsverfahren die Rechtslage zum Kündigungszeitpunkt zu beurteilen ist (gegebenenfalls durch rechtsgestaltende Entscheidung, dass die Kündigung zu diesem Zeitpunkt als rechtsunwirksam erklärt wird) bedingt die dogmatische Notwendigkeit, die Prüfung auf diesen Zeitpunkt zu beziehen. Gerade der in der Revision vorgenommene Vergleich mit Aufkündigungen von dem MRG unterliegenden Bestandverhältnissen bestätigt die Richtigkeit dieser Grundsätze: Durch ein Urteil im Aufkündigungsverfahren nach MRG wird - wenngleich nur feststellend und nicht rechtsgestaltend - über die Berechtigung einer zu einem bestimmten Termin erklärten Aufkündigung abgesprochen. Demgemäß entspricht es der ständigen Rechtsprechung und Lehre, dass maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt jener der Zustellung der Aufkündigung ist (vgl Würth-Zingher Wohnrecht20 § 33 MRG Rz 26; Frauenberger in Rechberger² § 561 ZPO Rz 3; RIS-Justiz RS0070282).

Sowohl im Aufkündigungsverfahren nach MRG als auch im Anfechtungsverfahren nach dem ArbVG ist daher § 406 ZPO nicht uneingeschränkt anzuwenden.

Nun stellt sich aber die in der Praxis bedeutsame Frage, wie der dafür behauptungs- und beweispflichtige Arbeitnehmer (SZ 63/119; RIS-Justiz RS0051845) beweisen kann, dass durch die Kündigung wesentliche Interessen beeinträchtigt sind.

Neben anderen Faktoren (Einkommen des Ehegatten, anderes eigenes Einkommen ua), die heranzuziehen sind, eignet sich dafür insbesondere die vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehende Prognose über die nach diesem Zeitpunkt aller Voraussicht nach wirksam werdenden Folgen der Kündigung (SZ 65/43; SZ 63/68; 9 ObA 199/95 ua). Immer wurde dabei in der Rechtsprechung betont, dass tatsächlich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintretende Entwicklungen in die Beurteilung nur einzubeziehen sind, wenn diese Entwicklungen mit der angefochtenen Kündigung noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (9 ObA 199/95; ZAS 1989/21 [Hainz]). So wurde etwa in der Entscheidung 9 ObA 199/95 die nach der Kündigung der Arbeitnehmerin eingetretene krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht berücksichtigt, weil diese Interessenbeeinträchtigung der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung im Rahmen einer rational nachvollziehbaren objektiven Prognose nicht vorhersehbar war.

Auch die in der Revision erwähnten Entscheidungen lassen nur den Schluss zu, dass die oberstgerichtliche Rechtsprechung von diesen Grundsätzen nie abgewichen ist und tatsächliche, nach Kündigung eintretende Entwicklungen nur insoweit berücksichtigt, als sie mit der auf den Kündigungszeitpunkt nach objektiven Kriterien erstellten Prognose übereinstimmen: So wurde etwa in der Entscheidung 9 ObA 261/98t betont, dass bei Beurteilung der Interessenbeeinträchtigung auf den Zeitpunkt der durch die angefochtene Kündigung herbeigeführten Beendigung des Dienstverhältnisses abzustellen sei. In 8 ObA 236/94 wurde eine künftige Entwicklung der Verhältnisse nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dann als berücksichtigungswürdig angesehen, wenn diese noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Kündigung steht. In der Entscheidung 9 ObA 190/98a wiederum war die Tatsache, dass der dort klagende Arbeitnehmer nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eine neue Anstellung gefunden hatte, nur eine Zusatzbegründung dafür, dass die Interessenabwägung zu Ungunsten des Klägers ausfiel.

s hat daher dabei zu bleiben (vgl dazu auch Tomandl, Neue Judikatur zur sozialwidrigen Kündigung, ZAS 1999, 104 [107 f]), dass die für die Interessenbeeinträchtigung notwendige Zukunftsprognose nach dem Wissensstand zum Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist. Objektiv nicht vorhersehbare Entwicklungen nach diesem Zeitpunkt sind daher nicht zu berücksichtigen.

Für den hier vorliegenden Fall folgt daraus, dass das Stellenanbot der Beklagten, das ein Jahr nach Kündigung der Klägerin erklärt wurde, nicht zu berücksichtigen ist, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen nach objektiven Kriterien zum Kündigungszeitpunkt nicht anzunehmen war, dass der Klägerin in absehbarer Zeit (zumindest eineinhalb Jahre nach Kündigung) eine auch nur halbwegs gleichwertige Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gelingen wird.

Das Stellenanbot der Beklagten ist daher in die Beurteilung nicht einzubeziehen, ohne dass es auf dessen Inhalt ankäme oder dass auf die Motive der Beklagten bei Erstellung dieses Anbots einzugehen wäre.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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