European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00236.22B.0117.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Vorinstanzen sprachen aus, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der – bereits mit Urteil des Erstgerichts vom 22. 7. 2021 geschiedenen – Ehe trifft.
[2] Die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er den Ausspruch gleichteiligen Verschuldens anstrebt, ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[3] 1.1 Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten (eheliche Gesinnung) und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RS0056832 [T1]). Ob eine Ehe (objektiv) unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine Rechtsfrage; die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, gehört hingegen zum irrevisiblen Tatsachenbereich (RS0043423 [T10]; RS0043432 [T3, T4]). Eheverfehlungen, die nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe, dem völligen Erlöschen der ehelichen Gesinnung, begangen werden, spielen bei der Beurteilung, welchen der beiden Ehegatten das überwiegende Verschulden trifft, keine entscheidende Rolle (RS0056538 [T6]; RS0056887 [T6]).
[4] 1.2 Nach den Feststellungen bestand bei beiden Ehepartnern – trotz vorheriger Eheverfehlungen beider Seiten – bis Oktober 2019, als die Beklagte von einem mehrtägigen Wellnessurlaub des Klägers mit einer anderen Frau im September 2019 erfuhr, obwohl sie sich gerade um einen Neubeginn bemühten, noch eine eheliche Gesinnung und empfanden beide die Ehe (noch) nicht als unheilbar zerrüttet.
[5] 1.3 Soweit die Revision daher dem Berufungsgericht vorwirft, bei Gewichtung des Verschuldens zu Unrecht auch die eben genannte Eheverfehlung des Klägers miteinbezogen zu haben, weil bereits zu einem früheren Zeitpunkt die eheliche Gesinnung erloschen gewesen sei, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.
[6] 2.1 Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen, sofern keine aufzugreifende Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz vorliegt (RS0118125; RS0119414 [T1]). Die Gewichtung einzelner Eheverfehlungen hängt nicht von einem zahlenmäßigen Überwiegen ab (RS0056171 [T8]). Maßgeblich sind vielmehr das Gesamtverhalten und die besonderen Umstände des Einzelfalls (RS0056171 [T6]), wobei insbesondere das Gewicht der Eheverfehlungen, ihre zeitliche und kausale Abfolge und damit ihr Beitrag zur Ehezerrüttung in die Beurteilung miteinzubeziehen sind (RS0057223 [T2]). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RS0057303). Ein überwiegendes Verschulden ist (nur) dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821), also das Verschulden des einen Teils erheblich schwerer ist, als das des anderen (RS0057858 [T1]).
[7] 2.2 Nach den Feststellungen gipfelte die bereits seit dem Jahr 2014 bestehende, kühle und distanzierte Haltung des Klägers gegenüber der Beklagten während der Zeit der von ihr von November 2018 bis März 2019 (ohne Erfolg) vorgenommenen In-vitro-Fertilisationen darin, dass er sie in ihrem emotional sehr belasteten Zustand alleine ließ und sich nicht um sie kümmerte. Nach dem von der Beklagten deshalb geäußerten und vom Kläger letztlich akzeptierten Trennungswunsch unterhielt die Beklagte eine vorübergehende sexuelle Beziehung zu einem Arbeitskollegen, wobei sie sich – entgegen dem Ersuchen des Klägers – auch einmal in den gemeinsam mit dem Kläger genutzten Arzträumlichkeiten näher kamen. Auch der Kläger verabredete sich zur selben Zeit mit verschiedenen Frauen, verkehrte mit ihnen geschlechtlich und berichtete der Beklagten sogar darüber. Im Zuge eines Streits aufgrund der Auflösung der zuvor gemeinsam geführten Arztpraxis durch den Kläger Ende Juni 2019 verletzte dieser die Beklagte am Daumen und setzte sie anschließend unter Druck, die erstattete Anzeige zurückzuziehen. Trotz dieser Vorfälle näherten sich die Streitteile nach dem Auszug der Klägerin im Juli 2019 einander noch im selben Monat wieder an, verbrachten Zeit miteinander, hatten Geschlechtsverkehr und beschlossen – wenn auch nicht vorbehaltlos – „es noch einmal zu versuchen“. Dennoch gab der Kläger im September 2019 vor, mit Freunden ein paar Tage Segeln zu gehen. Tatsächlich verbrachte er die Zeit mit einer anderen Frau in einem Wellnesshotel, was letztlich zur unheilbaren Zerrüttung führte.
[8] 2.3 Soweit der Kläger vor allem den Ehebruch der Beklagten ins Treffen führt und daraus ein zumindest gleichteiliges Verschulden ableiten will, übersieht er, dass auch er – neben zahlreichen weiteren, oben im Wesentlichen wiedergegebenen Eheverfehlungen (Verletzung der Beistandspflicht im Zusammenhang mit den fehlgeschlagenen künstlichen Befruchtungen; Körperverletzung und daran anknüpfendes Druckausüben, um die Einstellung des Strafverfahrens zu erreichen; erneuter Treue- und Vertrauensbruch während des Versuchs eines Neubeginns) – mehrfach sexuelle Kontakte mit unterschiedlichen Frauen unterhielt. Der Hinweis auf den Auszug der Beklagten aus der gemeinsamen Wohnung ist bereits deshalb verfehlt, weil insoweit kein vertiefender Einfluss auf die bereits zuvor eingetretene, aber nicht unheilbare Zerrüttung der Ehe feststeht (vgl RS0056921 [T3]). Wenn die Revision weiter argumentiert, eine Verletzung der Beklagten durch den Kläger sei nicht erwiesen, ignoriert sie abermals die gegenteiligen Sachverhaltsfeststellungen.
[9] 2.4 Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass dem Revisionswerber das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, wobei das Verschulden der Beklagten demgegenüber letztlich fast völlig in den Hintergrund tritt, stellt angesichts der festgestellten Eheverfehlungen, deren kausaler Abfolge und deren Beitrag zur Zerrüttung jedenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)