OGH 1Ob231/22k

OGH1Ob231/22k20.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch die Liebenwein Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei L*, vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen zuletzt 102.058,04 EUR sA, in eventu 126.058,04 EUR sA, hier wegen Aussageverweigerung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. September 2022, GZ 14 R 77/22d-61, womit die Beschlüsse des Landesgerichts Eisenstadt vom 23. Februar 2022, GZ 3 Cg 10/20t-55, abgeändert bzw ersatzlos aufgehoben wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00231.22K.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Zeugen Dr. A*, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, binnen 14 Tagen deren jeweils mit 2.375,28 EUR (darin 395,88 EUR USt) bestimmte Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Ein vom Kläger beantragter Zeuge erklärte anlässlich seiner Einvernahme vor Gericht, die Beantwortung einer bestimmten Frage zu verweigern. Dabei berief er sich auf seine Verschwiegenheitsverpflichtung als Hilfskraft der (ehemaligen) Rechtsvertretung des beklagten Rechtsträgers, weil diese die GmbH, deren Gesellschafter und Prokurist er ist, mit Unterstützungsleistungen beauftragt habe.

[2] Das Erstgericht entschied mit einem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss, dass die Aussageverweigerung nicht berechtigt sei. Da der Zeuge erklärte, auf sein Aussageverweigerungsrecht zu bestehen, verhängte es über den Zeugen eine Geldstrafe von 500 EUR. Begründend führte es im Wesentlichen aus, der Zeuge sei nicht als Hilfskraft iSd § 9 Abs 3 RAO zu qualifizieren.

[3] Infolge Rekurses des Zeugen änderte das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die Aussageverweigerung des Zeugen für berechtigt erkannte. Den Beschluss, mit dem über den Zeugen eine Geldstrafe verhängt wurde, hob es ersatzlos auf. Das vom Rechtsanwalt der beklagten Partei beauftragte Unternehmen – und der Zeuge – seien grundsätzlich vom personellen Umfang der rechtsanwaltlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs 3 RAO erfasst. Zu dieser Frage ließ das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs zu.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der dagegen gerichtete – sowohl von der beklagten Partei als auch dem Zeugen beantwortete – Revisionsrekurs des Klägers ist unzulässig.

[5] 1. Gemäß § 349 Abs 1 ZPO findet unter anderem gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung einer Aussage ein abgesondertes Rechtsmittel nicht statt. Diese Einschränkung gilt nach der Rechtsprechung auch für Beschlüsse, die in zweiter Instanz gefasst wurden (RS0040546; RS0040543).

[6] 2. Das Rekursgericht hat über das vom Zeugen erhobene Rechtsmittel meritorisch entschieden, weil dieser die vom Erstgericht getroffene Entscheidung über die Rechtmäßigkeit seiner Aussageverweigerung zulässigerweise gemeinsam mit der Entscheidung über die Verhängung einer Geldstrafe bekämpft hat (vgl RS0040565). Dem Kläger hingegen, der erst durch die Entscheidung des Rekursgerichts beschwert ist, ist gemäß § 349 Abs 1 ZPO nur ein iSd § 515 ZPO aufgeschobenes Rechtsmittel eingeräumt. Soweit mit der Entscheidung die verhängte Geldstrafe ersatzlos behoben wurde, ficht der Kläger den Beschluss zweiter Instanz – zu Recht (RS0040572; 1 Ob 273/01p) – nicht an. Das Rechtsmittel gegen die Entscheidung, mit der die Aussageverweigerung des Zeugen für berechtigt erkannt wurde, kann aber erst mit einem gegen die nachfolgende selbständig anfechtbare Entscheidung der zweiten Instanz oder mit einem gegen ihre Endentscheidung gerichteten Rechtsmittel verbunden werden (RS0041614; RS0043724).

[7] 3. Einen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen, sieht der erkennende Senat nicht:

[8] Zu 3 Ob 189/17s wurde zwar die Rechtsmittellegitimation der Partei gegen die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung eines Zeugen ausdrücklich bejaht, eine Auseinandersetzung mit der Frage der abgesonderten Anfechtbarkeit des zweitinstanzlichen Beschlusses erfolgte dort jedoch nicht. Jüngst hat G. Kodek (Der aufgeschobene Rekurs: Ein Plädoyer an den Gesetzgeber, Zak 2022/685, 367 [368]) in den Raum gestellt, der Oberste Gerichtshof sehe die Verbindung des aufgeschobenen Revisionsrekurses auch in Fällen als möglich an, in denen die Folgeentscheidung selbst nicht bis zum Obersten Gerichtshof bekämpft werden könne. Der endgültigen Klärung der Zwischenfrage werde in diesem Fall größere Bedeutung zugemessen als dem Anliegen der Prozessökonomie und Prozessbeschleunigung. Bei dieser Lesart sei ein zulässiger Rekurs gegen eine Folgeentscheidung zwar nach wie vor das „Ticket“ für die Bekämpfung auch der nicht abgesondert anfechtbaren Zwischenentscheidung; ab diesem Zeitpunkt verselbständige sich aber die Zwischenentscheidung. Deren weitere Anfechtbarkeit, also die Statthaftigkeit des Revisionsrekurses, richte sich nicht mehr nach § 515 ZPO, sondern ausschließlich nach allgemeinen Regeln.

[9] Allerdings thematisiert die von G. Kodek in diesem Zusammenhang (als einzig einschlägige) zitierte Entscheidung 4 Ob 78/22g die Frage der abgesonderten Anfechtbarkeit des zweitinstanzlichen Beschlusses nicht weiter, sodass nicht unterstellt werden kann, der 4. Senat hätte damit von der oben referierten Rechtsprechung abgehen wollen. Vielmehr trifft immer noch die von dieser Rechtsprechung – und auch von G. Kodek (aaO) – herausgestrichene Wertung des § 515 ZPO zu, dass die Lösung von Verfahrensfragen – wie die nach der Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung – in der Regel erst im Zusammenhang mit der Sachentscheidung praktische Bedeutung erlangt und aus Gründen der Prozessökonomie eine abgesonderte Anrufung der Rechtsmittelinstanz verhindert werden soll, bis sich herausgestellt hat, ob die nicht abgesondert anfechtbare Entscheidung der Partei geschadet hat bzw ob an ihrer Bekämpfung überhaupt ein Interesse besteht (6 Ob 687/79 JBl 1980, 379). Eine Ausnahme gilt nach der Wertung des § 515 ZPO – ebenfalls aus Gründen der Prozessökonomie – nur dann, wenn die Sache ohnehin aus anderen Gründen beim Rechtsmittelgericht liegt, sodass die Entscheidung über das Rechtsmittel gegen den nicht abgesondert angefochtenen Beschluss zu keiner Verzögerung des Verfahrens führt. Eine Sichtweise, wonach sich das Rechtsmittelverfahren gegen Beschlüsse zweiter Instanz von der Einschränkung des § 515 ZPO löst, –  und damit ein Abgehen vom Wortlaut dieser Bestimmung  –, bedürfte daher einer gesetzlichen Regelung.

[10] Dass die Entscheidung der zweiten Instanz über einen aufgrund einer Verbindung zulässigen Rekurs in der hier vorliegenden Konstellation „in der Luft“ hängt (so G. Kodek, Zak 2022, 369), trifft zwar zu. Gleiches gilt aber auch für den erstinstanzlichen Beschluss, wenn es keinen nachfolgenden selbständig anfechtbaren Beschluss gibt oder wenn sich der Rechtsmittelwerber trotz Existenz eines solchen Beschlusses entscheidet, den Rekurs erst mit der Endentscheidung zu verbinden. Auch dieser Beschluss hängt zunächst – der Wertung des § 515 ZPO entsprechend – „in der Luft“. Warum das im Fall einer zweitinstanzlichen Entscheidung untragbar sein soll, ist nicht erkennbar.

[11] 4. Der vorliegende Revisionsrekurs des Klägers ist daher als verfrüht erhoben zurückzuweisen.

[12] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei und der Zeuge haben in ihren Rechtsmittelbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des abgesonderten Revisionsrekurses im Zwischenstreit über die Berechtigung der Aussageverweigerung hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte