European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00122.22G.1216.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Beklagte hat als Bauträgerin einen Hügel baulich mit mehreren Gebäuden erschlossen, an deren Teilen Wohnungseigentum begründet wurde. Die errichteten Bauten liegen entlang zweier von der öffentlichen Straße abzweigender Zufahrtsstraßen, die als „Untere“ (tiefer am Hang gelegene) und „Obere“ (annähernd parallel darüber verlaufende) Gasse bezeichnet sind.
[2] Beide Weggrundstücke bilden Sackgassen, die nur bis zum Ende der Hangbebauung reichen, und standen im Unfallszeitpunkt im bücherlichen Eigentum der Beklagten.
[3] Der Kläger ist seit 2019 Hälftewohnungseigentümer eines Doppelhauses an der Oberen Gasse. Bei Bezug seines Hauses war der mitverkaufte Carport noch nicht fertiggestellt. Der Kläger wollte seinen Pkw deshalb lieber hangabwärts unterhalb seiner Haushälfte am Ende der Unteren Gasse, vor einem noch im Rohbau befindlichen Haus der Beklagten, parken. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte dem Kläger auf Anfrage erklärt, diesem Ansinnen nicht zuzustimmen, aber gegebenenfalls auch nichts dagegen zu unternehmen.
[4] Der Kläger erreichte von seinem Wohnungseigentumsobjekt aus den von ihm in der Folge tatsächlich benützten Parkplatz an der Unteren Gasse nach Durchqueren seines Gartens durch ein eigens eingebautes Gartentor über den Hang auf einer von ihm errichteten Stiege sowie anschließend über die Treppe des unterhalb gelegenen Rohbaus.
[5] Die Beklagte als Liegenschaftseigentümerin der Unteren Gasse beauftragte die Nebenintervenientin, mit den Anrainern Kontakt wegen der Beauftragung einer Hausverwaltung aufzunehmen, die auch die Durchführung des Winterdienstes umfassen sollte. Ein Mitarbeiter der Nebenintervenientin unterbreitete daraufhin im Jahr 2019 den Anrainern das Anbot einer Hausverwaltung mit diesem Leistungsspektrum, das die Anrainer aber nicht annahmen.
[6] Die Anrainer gingen zwar davon aus, dass die Besorgung des Winterdienstes ihrer Verantwortung oblag, sie beauftragten aber dazu kein Unternehmen. Es wurden nur Teilstücke der Gasse händisch von den Anwohnern geräumt, gestreut wurde nicht.
Rechtliche Beurteilung
[7] Es konnte nicht festgestellt werden, dass zwischen der Beklagten und den angrenzenden Wohnungseigentümern eine Servituts- oder sonstige Vereinbarung über die Benützung des Wegs bestand. Die Beklagte ging davon aus, dass die Zufahrtsstraße nach Fertigstellung des Gesamtvorhabens in das öffentliche Straßengut übertragen würde. Dazu ist es bislang nicht gekommen.
[8] Die Beklagte hat sich in der Folge weder bei der Nebenintervenientin – die mit den Anrainern Kontakt aufnehmen sollte – erkundigt, ob sie mit der Hausverwaltung beauftragt wurde, noch hat sie selbst an der Unteren Gasse einen Winterdienst durchgeführt oder durchführen lassen.
[9] Am Morgen des 4. 12. 2020 lag auf der Unteren Gasse eine wenige Zentimeter hohe Schneedecke, außerdem gab es Eisplatten. Der Kläger ging vormittags von seiner Haushälfte weg durch seinen Garten und über die erwähnten Stiegen in die Untere Gasse, um die dort befindliche Müllsammelstelle aufzusuchen. Er sah, dass die Fahrbahn schneebedeckt und teilweise nicht geräumt war. Er ging auf der hangabwärts gesehen rechten Seite an der Grenze eines noch unbebauten Grundstücks entlang auf einer Stelle, die ein Anrainer von Schnee geräumt, aber nicht bestreut hatte. Nach wenigen Schritten kam der Kläger auf einer Eisplatte zu Sturz und zog sich Verletzungen zu.
[10] Mit seiner Klage begehrt er Schadenersatz für die Folgen dieses Unfalls. Die Beklagte treffe ihm gegenüber als Liegenschaftseigentümerin und Halterin der Unteren Gasse schon aufgrund der vertraglichen Beziehung eine Streu- und Räumpflicht. Der Unfall habe sich ereignet, weil sie dieser Pflicht nicht nachgekommen sei.
[11] Die Beklagte wandte ein, die Verpflichtung zur Besorgung des Winterdienstes sei bei den Anrainern der Unteren Gasse gelegen. Jedenfalls sei der Beklagten kein grobes Verschulden anzulasten. Der Kläger sei weder Anrainer dieses Wegs, noch habe er ein Geh- oder Fahrrecht. Es treffe ihn aufgrund eigener Unaufmerksamkeit jedenfalls ein Mitverschulden.
[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
[13] Zwischen den Streitteilen bestehe bezüglich der Unfallstelle keine vertragliche Beziehung, sodass die Haftung der Beklagten nur nach den Maßstäben des § 1319a ABGB zu beurteilen sei. Es sei ihr zwar vorzuwerfen, auf die Besorgung des Winterdienstes durch die Anrainer bzw die von ihnen zu beauftragende Nebenintervenientin ohne Nachfrage vertraut zu haben, grobe Fahrlässigkeit liege aber darin nicht.
[14] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge. Das Erstgericht sei mangels eines besonderen Vertragsverhältnisses oder eines Partikularinteresses der beklagten Wegehalterin zutreffend lediglich vom Haftungsmaßstab des § 1319a ABGB ausgegangen. Gegen die Beurteilung des Verschuldensgrades der Beklagten bestünden nach dem Sachverhalt keine Bedenken.
[15] Da noch keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage bestehe, ob das Verhalten eines Wegehalters, sich auf die ohne rechtliche Verpflichtung erfolgte Übernahme des Winterdienstes durch Dritte zu verlassen, grobe Fahrlässigkeit begründen könnte, sei die ordentliche Revision zuzulassen.
[16] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der er die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur ergänzenden Verhandlung anstrebt. Die Nebenintervenientin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
[17] Die Revision ist zulässig, weil die Rechtssache entgegen der Begründung der Vorinstanzen aufgrund des festgestellten Sachverhalts noch keiner endgültigen rechtlichen Beurteilung unterzogen werden kann. Die Revision ist daher auch berechtigt.
[18] 1. Der Revisionswerber beruft sich zunächst weiterhin auf eine vertragliche Haftung der Beklagten und macht geltend, sie habe ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Eröffnung und Instandhaltung des Wegs, weil sie andernfalls die von ihr errichteten Wohnungseigentumsobjekte nicht errichten und verkaufen könne. Schon dieser Umstand begründe ihre Haftung aus Vertragsverhältnis und den Entfall der Einschränkung auf grobe Fahrlässigkeit.
[19] 2. Mit diesen Ausführungen überzeugt die Revision nicht.
[20] Das behauptete Zustandekommen einer Vereinbarung zwischen den Streitteilen über die Benützung der Unteren Gasse als Zufahrtsweg zu einem provisorischen Parkplatz lässt sich aus den Feststellungen nicht ableiten. Die Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten, dass er gegen das grundsätzlich untersagte Parken des Klägers in der Unteren Gasse nicht rechtlich vorgehen werde, ist nicht in ein Einverständnis und die Einräumung einer Berechtigung umzudeuten.
[21] Im Übrigen erblickt der Revisionswerber eine vertragliche Haftungsgrundlage darin, dass die Herstellung einer Straßenanbindung Voraussetzung für den Verkauf der Wohnungseigentumsobjekte durch die Beklagte gewesen und daher in ihrem wirtschaftlichen Interesse gelegen sei.
[22] Allein daraus ist für seinen Rechtsstandpunkt jedoch ebenfalls nichts zu gewinnen, weil sein Wohnungseigentumsobjekt, eine Doppelhaushälfte mit Garten, nicht an die Untere Gasse angrenzt, auf der sich der Unfall ereignet hat, sondern durch die Obere Gasse erschlossen wird. Allenfalls theoretisch aus dem Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag unmittelbar oder schlüssig herzuleitende vertragliche Wegerhaltungspflichten könnten sich zwischen den Streitteilen nur auf die Obere Gasse beziehen. Ein Begehen oder Befahren der Unteren Gasse war und ist für die gewöhnliche Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts des Klägers nicht erforderlich.
[23] Die Vorinstanzen haben daher eine vertragliche Grundlage für den Klagsanspruch ohne Rechtsirrtum verneint.
[24] Für die Annahme „allgemeiner Verkehrssicherungspflichten“ bleibt im Anwendungsbereich des § 1319a ABGB kein Raum (RS0111360; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB4 § 1319a Rz 56).
[25] 3. Die Revision bekämpft auch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Beklagte als Wegehalterin auch nach § 1319a ABGB mangels grober Fahrlässigkeit nicht hafte. Sie habe zumindest unklare Verhältnisse geschaffen und aufrecht erhalten, worin ein unfallkausales grobes Verschulden liege.
[26] Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Die rechtliche Begründung des Berufungsgerichts ist insoweit nicht eindeutig, als sie sich mit der Art und Rechtsgrundlage der Verantwortung, der sich die Anrainer „bewusst“ waren und auf die sich die Beklagte verlassen hat, nicht auseinandersetzt.
[27] 3.1. Für die gesetzliche Verpflichtung zur Besorgung des Winterdienstes für einen öffentlichen Weg kommen grundsätzlich sowohl § 1319a ABGB als auch § 93 Abs 1 StVO in Betracht, die sich an unterschiedliche Normunterworfene wenden und unterschiedliche Haftungsmaßstäbe festlegen.
[28] Nach § 1319a ABGB ist es der Halter des Wegs, der für dessen Zustand verantwortlich ist, gemäß § 93 Abs 1 StVO sind es – nur für einen eingeschränkten räumlichen Bereich – die Eigentümer angrenzender Grundstücke im Ortsgebiet. Diese beiden Verpflichtungen bestehen nebeneinander (RS0030023, RS0030083) und können jeweils rechtsgeschäftlich auf Dritte überbunden werden.
[29] 3.2. Nach § 1319a ABGB haftet, wenn durch den mangelhaften Zustand eines Wegs ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird, derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Wegs als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat. Auf die Haftung kann sich nur derjenige Geschädigte nicht berufen, der den Weg unerlaubt oder widmungswidrig benutzt hat, wenn ihm dies erkennbar war.
[30] 3.3. Verantwortlicher Halter des Wegs ist nicht unbedingt der Eigentümer des Grundstücks, sondern allgemein derjenige, der die Kosten für seine Errichtung und Erhaltung trägt sowie die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zur Hintanhaltung von Unfällen zu setzen (RS0030011 [insbes T4]).
[31] 3.4. Die Beklagte hat eine Haftung nach § 1319a ABGB unter anderem mit der auch im Revisionsverfahren aufrecht erhaltenen Begründung bestritten, es handle sich um keinen öffentlichen Weg und begründet dies mit dem vorherrschenden Charakter als Anrainerzufahrt und der fehlenden Notwendigkeit bzw mangelnden Berechtigung des Klägers, sich dort aufzuhalten.
[32] 3.5. Diese Einwände sind nicht zielführend.
[33] Ein Weg iSd § 1319a ABGB ist eine Landfläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benützt werden darf, und zwar auch wenn sie nur für einen eingeschränkten Benützerkreis bestimmt ist, einschließlich der in ihrem Zug befindlichen, dem Verkehr dienenden Anlagen. Von diesem Begriff sind auch Anrainer- oder Zubringerwege erfasst, wenn sie für jedermann unter gleichen Bedingungen zu benützen sind (ua Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1319a Rz 3 vgl auch RS0029988).
[34] Die Beklagte hat nicht behauptet, dass andere Personen als Anrainer von der Benützung der Unteren Gasse durch Verbot ausgeschlossen sind, zumal sie sogar die Übertragung der beiden Wege in das öffentliche Straßengut plante.
[35] Auch die Erklärung des Geschäftsführers der Beklagten, das Parken des Klägers in der Unteren Gasse nicht zu genehmigen, sondern nur sanktionslos zu dulden, enthält kein Betretungsverbot. Hinzu kommt, dass dem Kläger wohl auch ein berechtigtes Interesse an der Benützung der in der Unteren Gasse errichteten Müllsammelstelle, die er im Unfallszeitpunkt aufsuchen wollte, zuzugestehen ist.
[36] Ausgehend von diesen Kriterien haben die Vorinstanzen die Untere Gasse zutreffend als öffentlichen Weg iSd § 1319a ABGB beurteilt.
[37] 3.6. Die sich aus § 93 Abs 1 StVO ergebende Räum- und Streupflicht im Ortsgebiet richtet sich nicht an den Eigentümer bzw Halter des Wegs (RS0075596; 2 Ob 235/15w), sondern an die Eigentümer der angrenzenden Liegenschaften. Sie haben dafür zu sorgen, dass die entlang ihrer Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege – mangels solcher der Straßenrand in der Breite von 1 m – in der Zeit von 6:00 bis 22:00 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind.
[38] Die Anrainer (oder eine gemäß § 93 Abs 5 StVO an ihre Stelle tretende Person) sind aber nicht als Halter des Wegs iSd § 1319a ABGB anzusehen. Sie haben bei Verletzung ihrer sich aus der StVO ergebenden Pflichten auch für leichte Fahrlässigkeit einzustehen (RS0030023).
[39] 3.7. Das im vorliegenden Verfahren festgestellte „Bewusstsein“ der angrenzenden Liegenschafts- bzw Wohnungseigentümer, für den Winterdienst zuständig zu sein, bezog sich (mangels anderer Anhaltspunkte) auf die sie tatsächlich nach dem Gesetz treffenden Pflichten, also die Räum- und Streupflicht nach § 93 Abs 1 StVO.
[40] Eine rechtsgeschäftliche Grundlage, mit der die Anrainer darüber hinaus die Pflichten des Wegehalters in Bezug auf die gesamte Straße übernommen hätten, wurde nicht behauptet. Die Nebenintervenientin hat zwar ein hinsichtlich des Leistungsumfangs nicht nachvollziehbar festgestelltes Vertragsanbot unterbreitet, die Beklagte hat sich danach für die Ausführung und das negative Ergebnis aber nicht mehr interessiert. Das „Bewusstsein“ der Anrainer, für einen Winterdienst verantwortlich zu sein, wurde nach dem Sachverhalt nie der Beklagten gegenüber in konkreter Form geäußert.
[41] Allein daraus, dass die Anrainer der Unteren Gasse möglicherweise über den 1 m-Bereich hinaus Räumarbeiten durchgeführt haben, kann nicht geschlossen werden, dass sie damit auch die Wegehalterpflichten nach § 1319a ABGB schlüssig übernehmen wollten, blieb ihnen doch wegen der Untätigkeit der Beklagten gar nichts anderes übrig, wenn sie ihre Häuser erreichen wollten (vgl zum umgekehrten Fall: RS0127603).
[42] 3.8. Soweit sich die Beklagte auch noch in der Revisionsbeantwortung auf Servitutsrechte der Anrainer beruft, macht sie erkennbar geltend, dass sie zumindest in dieser Eigenschaft auch Wegehalter gemäß § 1319a ABGB geworden seien.
[43] Ein Dienstbarkeitsberechtigter hat grundsätzlich – sieht man vom Fall einer gemeinsamen Nutzung oder abweichender Vereinbarung ab – nach § 483 Satz 1 ABGB die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Wegs, einschließlich der Pflichten des Wegehalters nach § 1319a ABGB, zu tragen und ist auch befugt, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen. Er ist unter diesen Voraussetzungen selbst der verantwortliche Halter des Wegs im Sinn dieser Gesetzesstelle (2 Ob 148/18f; vgl zu § 93 StVO auch RS0030011).
[44] Im vorliegenden Fall konnte die Existenz konkreter Benützungs- oder Servitutsvereinbarungen zwischen der Beklagten und den Anrainern nicht festgestellt werden.
[45] Allerdings entsteht nach ständiger Rechtsprechung im Fall der Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von welchen die eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, mangels anderer Vereinbarung schon unmittelbar durch den Übertragungsakt und auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit (RS0011618).
[46] Eine derartige Konstellation liegt hier vor. Die dauerhafte Widmung der Wegegrundstücke zur Verkehrsanbindung der Wohnungseigentumsobjekte ist offenkundig, sodass bereits mit dem Abverkauf der angrenzenden Häuser durch die Beklagte jeweils Wegedienstbarkeiten zugunsten der Eigentümergemeinschaften begründet wurden. Auf eine abweichende konkrete Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Anrainern hat sich keine Partei im Verfahren berufen.
[47] 3.9. Aus dieser Rechtslage ergibt sich aber noch nicht, dass die Beklagte von ihrer eigenen Wegehaltereigenschaft (zur Gänze) befreit wurde.
[48] Der Kläger hat vorgebracht, dass die Gebäude, an denen Wohnungseigentum begründet werden sollte, teilweise zum Unfallszeitpunkt noch nicht fertiggestellt bzw abverkauft waren und noch im Eigentum der Beklagten standen. Nach den Feststellungen befand sich tatsächlich am Ende der Unteren Gasse ein Rohbau für ein weiteres Wohngebäude der beklagten Partei, bei dem die Bauarbeiten zuletzt ins Stocken geraten waren.
[49] Als Eigentümerin einer angrenzenden, nur über ihr eigenes Weggrundstück erreichbaren und bebaubaren Liegenschaft war damit auch die Beklagte im Unfallszeitpunkt nach § 483 Satz 2 ABGB neben den Dienstbarkeitsberechtigten weiterhin anteilig mitverantwortlich für die Wegerhaltung und daher Mithalterin iSd § 1319a ABGB der Unteren Gasse.
[50] Mithalter haften nach der Rechtsprechung für die Verletzung der Wegehalterpflichten zur ungeteilten Hand (RS0058262 [T3]; 3 Ob 36/98k; vgl auch Reischauer in Rummel, ABGB³ § 1319a Rz 8).
[51] Auf der Grundlage des Sachverhalts wurde die Passivlegitimation der Beklagten für auf § 1319a ABGB gestützte Ansprüche von den Vorinstanzen somit im Ergebnis zutreffend bejaht.
[52] 4. Von diesen Voraussetzungen ausgehend ist die Frage des Verschuldens der Beklagten zu prüfen.
[53] Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass die Anrainer ihre gesetzliche Verpflichtung erfüllen würden, und durch das Unterlassen einer Nachfrage oder Kontrolle noch nicht grob fahrlässig gehandelt, hält sich bezüglich der sich aus § 93 Abs 1 StVO ergebenden Pflichten im Rahmen des den Gerichten bei der Verschuldensprüfung offen stehenden Beurteilungsspielraums.
[54] Von den Pflichten nach § 93 Abs 1 StVO wird aber – die Existenz von Gehsteigen oder Gehwegen wurde hier nicht behauptet – nur der Wegrand im Ausmaß von 1 m Breite erfasst. Die übrige Fläche der Unteren Gasse unterlag daher nur der Wegehalterpflicht nach § 1319a ABGB und gemäß § 483 Satz 2 ABGB damit der unmittelbaren Mitverantwortung der Beklagten. In diesem Bereich konnte sich die Beklagte entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht auf ein begründetes Vertrauen berufen, dass die Anrainer auch hier den Winterdienst in ausreichendem Maß besorgen würden, bestand doch dafür weder eine Vereinbarung, noch hat die Beklagte kontrolliert, ob und wie die übrigen Mithalter die gemeinsame Verpflichtung erfüllen. Durch das völlige Unterlassen jeglicher Erkundigungen und Vorkehrungen zur Erfüllung der Wegehalterpflicht war es nicht nur möglich, sondern geradezu wahrscheinlich, dass sich bei winterlichen Bedingungen Unfälle wie jener des Klägers ereignen. In diesem Umfang kann der – grundsätzlich einzelfallbezogenen – Beurteilung des Verschuldensgrades durch die Vorinstanzen nicht beigetreten werden.
[55] Die Unterlassung jedweder Vorkehrung zur Erfüllung der winterlichen Wegehalterpflichten, sei es durch eigene Initiative oder wenigstens irgendeine Kontrolle der Ausführung durch die Mitverpflichteten, stellt eine auffallende Sorglosigkeit dar, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlicher Weise verletzt wurde (RS0030171 [T3, T6; T15] ua).
[56] 5. Ob die nach § 1319a ABGB vorwerfbare, grob schuldhafte Unterlassung der Beklagten für den Unfall kausal war, lässt sich anhand des festgestellten Sachverhalts aber noch nicht endgültig beantworten, weil ihm nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen ist, wo genau der Kläger gestürzt ist.
[57] Sollte sich herausstellen, dass die Unfallstelle auf einem schon nach § 93 Abs 1 StVO von den Anrainern zu räumenden und streuenden Randstreifen lag, wäre die eigene Haftung der Beklagten nach § 1319a ABGB zu verneinen, weil sie an der mangelhaften Ausführung des Winterdienstes in diesem Bereich keine grobe Fahrlässigkeit trifft. Lag die Unfallstelle aber außerhalb dieses Bereichs, wäre die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu bejahen.
[58] 6. Zur erforderlichen Ergänzung des Sachverhalts, gegebenenfalls auch im Hinblick auf die Beurteilung des Mitverschuldenseinwands und die Höhe des Anspruchs ist die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unumgänglich.
[59] Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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