OGH 8ObA63/22f

OGH8ObA63/22f16.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Andrea Kehrer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl.‑Päd. G*, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Land Salzburg, Amt der Salzburger Landesregierung, 5010 Salzburg, Mozartplatz 9, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 19.002,77 EUR brutto sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Endurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 8. Juni 2022, GZ 12 Ra 23/22x‑18, mit welchem das Teil‑ und Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 30. November 2021, GZ 59 Cga 58/21z‑13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00063.22F.1216.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Teil‑ und Zwischenurteil des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass es in der Hauptsache lautet:

„Es wird gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass auf das Dienstverhältnis zur klagenden Partei weitere 22 Monate und 19 Tage als Vordienstzeiten angerechnet werden und die klagende Partei daher schon mit 1. 10. 2020 in die Entlohnungsgruppe I 2a 2/11 einzureihen ist.

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig der klagenden Partei binnen 14 Tagen 19.002,77 EUR brutto samt 9,2 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 2.811,10 EUR seit 1. 1. 2019, aus 5.296,20 EUR seit 1. 1. 2020, aus 6.317,33 EUR seit 1. 1. 2021 und aus 4.578,14 EUR seit 1. 10. 2021 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.“

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin absolvierte von September 1991 bis Juni 1994 an der Pädagogischen Akademie des Bundes in Salzburg den sechssemestrigen Studiengang für das Lehramt an Volksschulen. Danach war die Klägerin zeitweise bei der Lebenshilfe Salzburg gGmbH als Erzieherin tätig. Ab März 2000 absolvierte die Klägerin zudem ein zweisemestriges Aufbaustudium für das Lehramt an Sonderschulen. Seit Jänner 2003 ist die Klägerin bei der Beklagten als Sonderschul‑ bzw Integrationslehrerin beschäftigt, wobei anfangs jeweils auf ein Jahr befristete Dienstverträge und erst im Februar 2007 ein unbefristeter Dienstvertrag abgeschlossen wurde. Da die erstmalige Festsetzung des Vorrückungsstichtags der Klägerin unter Ausschluss der vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten erfolgte, war die besoldungsrechtliche Stellung der Klägerin nach § 84b Abs 1 VBG neu festzusetzen.

[2] Aufnahmeerfordernis für die Tätigkeit der Klägerin als Sonderschul‑ bzw Integrationslehrerin war das Studium für das Lehramt an Sonderschulen. Damals gab es unterschiedliche Ausbildungswege zur Sonderschulpädagogin, nämlich zum einen das Lehramt für Volksschulen (6 Semester) samt Aufbaustudium (2 Semester) und zum anderen das Lehramtsstudium zur Sonderschulpädagogin (6 Semester). Durch ihre Vortätigkeit als Erzieherin konnte die Klägerin gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit für die Beklagte ohne Einarbeitungszeit besser auf die Kinder eingehen und eine höhere Unterrichtsqualität erreichen, als es ohne diese Vorerfahrung möglich gewesen wäre.

[3] Die Klägerin begehrt 19.002,77 EUR brutto sA und die Feststellung, dass ihr weitere 22 Monate und 19 Tage als Vordienstzeiten anzurechnen seien. Die Beklagte habe bei der Berechnung ihres Vorrückungsstichtags das einjährige Aufbaustudium für das Lehramt an Sonderschulen und einen Teil ihrer Tätigkeit als Erzieherin im Ausmaß von 10 Monaten und 19 Tagen nicht berücksichtigt.

[4] Die Beklagte wendet ein, dass die Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin für ihre Verwendung als Lehrerin weder unerlässlich noch von besonderer Bedeutung gewesen sei und ihr die Zeiten der Ausbildung zur Sonderschullehrerin ohnehin im Ausmaß von drei Jahren angerechnet worden seien.

[5] Das Erstgericht sprach mit der angefochtenen und als „Teil- Zwischenurteil“ bezeichneten Entscheidung aus, dass die beklagte Partei „dem Grunde nach“ verpflichtet sei, auf das Dienstverhältnis zur Klägerin weitere 22 Monate und 19 Tage als Vordienstzeiten anzurechnen. Die Tätigkeit der Klägerin als Erzieherin sei für ihre Verwendung als Sonderschullehrerin von besonderer Bedeutung gewesen. Das Aufbaustudium für das Lehramt an Sonderschulen sei ein Aufnahmeerfordernis gewesen.

[6] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass die Klage abgewiesen wurde. Da die Klägerin im Zeitpunkt der Übernahme in das unbefristete Dienstverhältnis bereits mehrere Jahre als Sonderschul‑ bzw Integrationslehrerin tätig war, seien ihre vorherigen Erfahrungen als Erzieherin „überdeckt“ worden, sodass ihnen keine besondere Bedeutung für ihre Tätigkeit als Lehrerin mehr zugekommen sei. Da Aufnahmeerfordernis ein Lehramtsstudium zur Sonderschulpädagogin in der Dauer von drei Jahren gewesen sei, habe die Klägerin keinen Anspruch auf Anrechnung weiterer Studienzeiten. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie eine Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Der Frage, ob bei der Berechnung des Vorrückungsstichtags nach § 26 Abs 2 Z 7 VBG idF BGBl 2007/96 ein Aufbaustudium zu berücksichtigen ist, obwohl das Aufnahmeerfordernis bei der Wahl eines anderen Studienzweigs ohne Aufbaustudium erfüllt werden kann, kommt über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Entsprechendes gilt für die Frage, ob Vordienstzeiten nach § 26 Abs 3 VBG anzurechnen sind, wenn sie angesichts der Berufserfahrung des Vertragsbediensteten in einem dem unbefristeten Dienstverhältnis vorausgehenden befristeten Dienstverhältnis an Bedeutung verloren haben.

[11] 2. Im Fall der Klägerin sind für die Ermittlung des Vergleichsstichtags nach § 94c Abs 2 Z 1 VBG die Bestimmungen des § 26 VBG idF BGBl 2007/96 anzuwenden. Nach § 26 Abs 2 Z 7 lit c VBG idF BGBl 2007/96 ist die Zeit eines abgeschlossenen Studiums an einer Pädagogischen Hochschule, das für den Vertragsbediensteten Aufnahmeerfordernis gewesen ist, bis zum Höchstausmaß von insgesamt zwei Jahren, sofern jedoch das Studium lehrplanmäßig länger dauert, bis zum Höchstausmaß des lehrplanmäßig vorgesehenen Studiums zur Gänze anzurechnen.

[12] 3. Nach den Vorgaben des Gesetzes ist die Zeit des tatsächlich absolvierten Studiums anzurechnen, nicht jene eines fiktiven anderen Studiums. Die im Lehrplan vorgesehene Studiendauer ist nur ein Bestimmungsfaktor für die Berücksichtigung der tatsächlichen Studiendauer (VwGH 90/12/0145; 95/12/0136; 98/12/0498). Deshalb muss bei der Anrechnung der Vordienstzeiten auf den Lehrplan des tatsächlich absolvierten Studiums abgestellt werden. Dass die Klägerin das Aufnahmeerfordernis auch durch das Lehramtsstudium zur Sonderschulpädagogin innerhalb von drei Jahren erfüllen hätte können, steht der Anrechnung der tatsächlich absolvierten Studienzeit deshalb nicht entgegen, solange die im Lehrplan für das gewählte Studium vorgesehene Studiendauer nicht überschritten wird.

[13] 4. Nach § 26 Abs 3 VBG idF BGBl 2007/96 können Zeiten, in denen der Vertragsbedienstete eine Tätigkeit ausgeübt hat, im öffentlichen Interesse insoweit zur Gänze berücksichtigt werden, als die Tätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Vertragsbediensteten von besonderer Bedeutung ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, hat der Vertragsbedienstete einen Anspruch auf Anrechnung (RIS‑Justiz RS0082094 [T1]).

[14] 5. Dass die Vortätigkeit für die spätere Verwendung „praktisch unerlässlich“ sein müsste, wie dies von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung gefordert wird, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Ein „öffentliches Interesse“ ist nach der Rechtsprechung vielmehr schon dann anzunehmen, wenn der Dienstgeber – ohne mit den Kosten einer weiteren Ausbildung und Praxis belastet zu sein – sogleich eine hochqualifizierte Dienstnehmerin erhält, die von Anfang an die ihr zugewiesene Funktion voll ausfüllen kann (RS0082090). Entscheidend ist, ob die Vortätigkeit von einer derart qualifizierten Bedeutung ist, dass der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung ohne die Vortätigkeit nur in einem beträchtlich geringeren Ausmaß gegeben wäre (RS0059620; RS0082096 [T2, T7]).

[15] 6. Um eine Ungleichbehandlung öffentlich Bediensteter zu vermeiden, orientiert sich der Oberste Gerichtshof bei der Auslegung des § 26 Abs 3 VBG idF BGBl 2007/96 seit jeher an der Rechtsprechung des VwGH zur Parallelbestimmung in § 12 Abs 3 GehG (RS0059610). Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Vortätigkeit für die erfolgreiche Verwendung als Beamter von besonderer Bedeutung ist, ausschließlich auf den Zeitpunkt der Anstellung als Beamter abzustellen, während es auf die Bedeutung privater Vordienstzeiten für eine vorher als Vertragsbediensteter des Bundes ausgeübte Tätigkeit nicht ankommt, sodass länger zurückliegenden privaten Vordienstzeiten angesichts der zwischenzeitlich als Vertragsbediensteter erworbenen Erfahrungen und Fähigkeiten typischerweise keine besondere Bedeutung für die Tätigkeit als Beamter mehr zukommt (VwGH 92/12/0107; 2000/12/0237; 2005/12/0264; Ro 2018/12/0001).

[16] 7. Im Einklang mit der Rechtsprechung des VwGH hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass bei der Beurteilung, ob die Vortätigkeit für die erfolgreiche Verwendung des Vertragsbediensteten von besonderer Bedeutung ist, auf den „Zeitpunkt des Dienstantritts“ abzustellen ist (8 ObA 26/18h). Dementsprechend kommt es für die Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten auch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht auf allfällige zukünftige Verwendungen, sondern auf die mit dem Einstiegsarbeitsplatz verbundenen Tätigkeiten an (RS0059620 [T5]).

[17] 8. Dennoch kann die Rechtsprechung des VwGH zur Übernahme eines Vertragsbediensteten in ein Beamtendienstverhältnis – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden, zumal die Klägerin in einem durchgehenden Dienstverhältnis zur Beklagten gestanden ist. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich bereits darauf hingewiesen, dass die Fortsetzung eines zunächst befristeten Dienstverhältnisses nicht zu einem „neuen“ Dienstantritt führt, selbst wenn der Vorrückungsstichtag – mangels Relevanz für das befristete Dienstverhältnis – erst mit Überleitung des Vertragsbediensteten in das unbefristete Dienstverhältnis festzusetzen ist (9 ObA 30/20g). In einem solchen Fall liegt vielmehr ein durchgehendes Dienstverhältnis vor, auch wenn der Dienstvertrag nicht ausdrücklich als „Umwandlung“ oder „Verlängerung“ des unmittelbar vorangegangenen Vertragsverhältnisses bezeichnet wurde (9 ObA 153/97h). Daraus ergibt sich, dass die Bedeutung der Vortätigkeit der Klägerin für ihren Verwendungserfolg nach § 26 Abs 3 VBG idF BGBl 2007/96 im Hinblick auf den Beginn ihres ersten befristeten Dienstverhältnisses als Vertragsbedienstete der Beklagten zu beurteilen ist.

[18] 9. Dass die Bedeutung der Vortätigkeit der Klägerin als Erzieherin im Zeitpunkt der Begründung des unbefristeten Dienstverhältnisses angesichts ihrer zwischenzeitlichen Tätigkeit als Lehrerin an Bedeutung verloren hat, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. Es entspricht nämlich dem Wesen der Anrechnung von Vordienstzeiten, dass die Bedeutung der Vortätigkeit für den Erfolg der Verwendung mit zunehmender Beschäftigungsdauer aufgrund der zunehmenden Berufserfahrung abnimmt, die Einstufung in das Gehaltsschema aber dennoch erhalten bleibt. Dass der gleiche Verwendungserfolg erzielt worden wäre, wenn die Klägerin nur kürzere Zeit als Erzieherin tätig gewesen wäre, hat die Beklagte nicht behauptet, sodass diese Zeiten insoweit zur Gänze anzurechnen sind (siehe 8 ObA 26/18h).

[19] 10. Da die Vortätigkeit der Klägerin als Erzieherin im Zeitpunkt ihres Dienstantritts als Lehrerin im Jänner 2003 von derart qualifizierter Bedeutung war, dass der durch sie verursachte Erfolg der Verwendung ohne diese Vortätigkeit nur in einem beträchtlich geringeren Ausmaß gegeben gewesen wäre, waren diese Zeiten nach § 26 Abs 3 VBG idF BGBl 2007/96 anzurechnen. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung weder die Feststellungen des Erstgerichts noch die Nichterledigung ihrer Beweisrüge rügt, war von den getroffenen Feststellungen auszugehen (RS0119339).

[20] 11. Es war daher das Teil‑ und Zwischenurteil des Erstgerichts im Ergebnis wiederherzustellen. Der Urteilsspruch war aber wie im Spruch ersichtlich zu berichtigen, zumal ein Zwischenurteil über ein Feststellungsbegehren schon begrifflich ausgeschlossen ist (RS0039037).

[21] 12. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 iVm § 393 Abs 4 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte