OGH 8Ob129/22m

OGH8Ob129/22m21.11.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei B* B*-V*, vertreten durch Dr. Stephan Messner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V* B*, vertreten durch Mag. Heinz Wolfbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unwirksamkeit und Löschung bücherlicher Eintragungen, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. Oktober 2021, GZ 35 R 83/21x‑28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 16. Februar 2021, GZ 31 C 83/20z‑18, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00129.22M.1121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin schenkte mit einem am 9. 1. 2020 notariell unterfertigten Schenkungsvertrag der Beklagten, ihrer Tochter, zwei Eigentumswohnungen. Die Vertragsteile bestätigten darin, dass die Übergabe der Wohnungen bereits stattgefunden habe. Die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechts der Geschenknehmerin wurde am 31. 1. 2020 vollzogen.

[2] Dem Vertragsabschluss waren umfangreiche Besprechungen und Planungen der Streitteile vorausgegangen, in denen sie sich auf ein Konzept zur Finanzierung der Sanierung und Lastenfreistellung sowie zur künftigen Nutzung der beiden geschenkten Wohnungen und einer weiteren (bereits im Eigentum der Beklagten stehenden) Eigentumswohnung geeinigt hatten. Unter anderem war vereinbart, dass die Beklagte einen von der Klägerin aufgenommenen, bücherlich auf deren Liegenschaftsanteilen sichergestellten Kredit ausbezahlen und ihrerseits für die erwarteten Sanierungskosten einen Kredit aufnehmen sollte, für den die Klägerin sodann eine Bürgschaft und Sachhaftung übernehmen sollte. Die Kreditrückzahlung selbst sollte aus den erwarteten Mieterträgnissen erfolgen.

[3] Die Entwürfe der Schenkungsverträge waren vom Vertragsverfasser vor Unterschriftsleistung zweimal auf Wunsch der Klägerin, die zusätzliche Bedingungen reklamiert hatte, abgeändert worden.

[4] Der Beklagten waren von der Klägerin schon vor Vertragsunterfertigung Schlüssel zur Durchführung der vereinbarten Renovierung der einen Wohnung bzw einer Heizungsreparatur in der anderen übergeben worden, ebenso hatte sie den zu einer der Wohnungen bestehenden Mietvertrag erhalten. Schon im Laufe des Jahres 2019 hatte die Beklagte mit ihrem Lebensgefährten im Sinne des Gesamtkonzepts einen Kredit zur Finanzierung der Wohnungsrenovierung aufgenommen und mit der Valuta vereinbarungsgemäß auch den offenen Hypothekarkredit der Klägerin getilgt.

[5] Die Bestandnehmerin der vermieteten Wohnung wurde zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt von der Klägerin über den bevorstehenden bzw bereits stattgefundenen Eigentümerwechsel informiert. Nachdem sie sich im März 2020 nochmals nach dem Stand der Dinge erkundigt hatte, bezahlte sie die Miete ab April 2020 an die Beklagte.

[6] Nach Unterfertigung der Schenkungsverträge verschlechterte sich die schon vorher ambivalente Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Ab Februar 2020 äußerte die Klägerin den Wunsch, die Schenkungen anzufechten und rückgängig zu machen.

[7] In der Klage brachte sie vor, die Schenkungsverträge seien nichtig, weil sie mangels tatsächlicher Übergabe des Geschenks in den Besitz der Beklagten der Notariatsaktsform bedurft hätten. Die Nichtigkeit sei auch durch die erfolgte bücherliche Einverleibung nicht geheilt worden.

[8] Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Unwirksamkeit der Einverleibung des Eigentumsrechts der Beklagten an den geschenkten Wohnungen und bücherliche Löschung gerichtete Klagebegehren ab. Durch die Aushändigung der Schlüssel der Wohnungen und des Mietvertrags sowie die Ermöglichung der vereinbarten Sanierung und Heizungsreparatur sei eine schlüssige Besitzübergabe vor Vertragsunterfertigung erfolgt. Notariatsaktspflicht habe daher nicht bestanden.

[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.

[10] Über Antrag der Klägerin erklärte es die ordentliche Revision gemäß § 508 Abs 5 ZPO nachträglich für zulässig. Es sei eine Klarstellung sinnvoll, ob es der Annahme einer dem Übereilungsschutz dienenden wirklichen Besitzübergabe entgegenstehe, dass nach Vertragsunterfertigung noch Mietzins an die Geschenkgeberin bezahlt wurde und sie für einen Sanierungskredit der Geschenknehmerin eine Bürgschaft und Sachhaftung übernommen habe.

[11] Die Revision der Klägerin, mit der sie eine Klagsstattgebung anstrebt, ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Eine wirkliche Übergabe im Sinne des § 943 ABGB bzw § 1 lit d NotariatsaktsG kann durch die körperliche Übergabe, die Übergabe durch Zeichen, die Besitzauflassung und die Besitzanweisung bewirkt werden (RIS‑Justiz RS0011143). Bei Liegenschaften genügt dazu die außerbücherliche Übergabe (RS0011228 [T11]). Der Ausdruck „wirkliche Übergabe" bedeutet nichts anderes als das Gegenteil der bloßen Zusicherung oder des bloßen Schenkungsversprechens (RS0011295; RS0011383 [T6]). Der Geschenkgeber muss einen vom Schenkungsvertrag verschiedenen und als Übergabe erkennbaren Akt setzen, der nach außen (aber nicht notwendig gegenüber Dritten, RS0011383 [T14]) in Erscheinung tritt und geeignet ist, seinem ernstlichen Willen Ausdruck zu verleihen, das Schenkungsobjekt aus seiner Gewahrsame in die des Beschenkten zu übertragen (RS0011383; 2 Ob 122/17f [verst Senat]).

[13] 2. Die Beurteilung, ob nach den Tatsachenfeststellungen eine wirkliche Übergabe erfolgt ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl RS0011214 [T2]) und bildet damit grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0044088 [T8, T9]).

[14] Die Begründung der angefochtenen Entscheidung entspricht den dargestellten Grundsätzen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Es liegt keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vor, wenn das Berufungsgericht die Übergabe des Mietvertrags und der Schlüssel, verbunden mit dem Auftrag an die Beklagte, sich als neue Eigentümerin um die Wohnungssanierung und Heizungsreparatur zu kümmern, als wirkliche Übergabe im Sinn des § 943 ABGB ansah. Dabei sind auch der Zusammenhang mit dem gemeinsamen Sanierungs- und Nutzungskonzept, mit der Entgegennahme der Tilgungszahlung für den Hypothekarkredit, die ausdrückliche Einwilligung im Vertrag und das bis zur Verbücherung festgestellte Verhalten der Klägerin zu berücksichtigen, um den von den gesetzlichen Bestimmungen angestrebten Übereilungsschutz für die Geschenkgeberin als verwirklicht anzusehen (vgl 4 Ob 189/12s).

[15] Ob die Mieterin einer der beiden Wohnungen vor oder erst nach dem Vertragsabschluss durch die Klägerin vom Wechsel auf Vermieterseite in Kenntnis gesetzt wurde, steht nicht fest, spielt aber auch – zumal es auf die Erkennbarkeit der Übergabe für Dritte nicht ankommt – ebensowenig eine Rolle wie die Frage, ob und aus welchen Motiven die Klägerin eine Haftung für den Kredit ihrer Tochter übernommen hat.

[16] Ausgehend davon, dass das vereinbarte Gesamtkonzept der Streitteile vorgesehen hatte, dass die Klägerin eine der Wohnungen nach der von der neuen Eigentümerin durchgeführten, kreditfinanzierten Sanierung selbst beziehen sollte, ist darin eher eine zusätzliche Bestätigung des Schenkungswillens gegenüber der Geschenknehmerin zu erblicken.

[17] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. In der Revisionsbeantwortung der Beklagten wurde auf das Fehlen der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass der Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

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