OGH 1Ob147/22g

OGH1Ob147/22g12.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich *, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die beklagte Partei V*gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Kopp – Wittek Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Übergabe eines Bestandobjekts, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 8. Juni 2022, GZ 22 R 95/22g‑18, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00147.22G.1012.000

 

Spruch:

I. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird in ihrem Punkt I. in der Urschrift dahin berichtigt, dass Punkt 1. des erstinstanzlichen Urteils zu lauten hat:

„1. Der gerichtliche Übergabsauftrag gemäß § 567 ZPO vom 26. August 2021 zu AZ 34 C 459/21v des Bezirksgerichts Salzburg ist im Umfang von Punkt 2. dieser Entscheidung wirksam.“

Die Durchführung der Berichtigung in der Urschrift und den Ausfertigungen obliegt dem Berufungsgericht.

II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

I. Zum Berichtigungsbeschluss:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Nach § 419 Abs 1 ZPO kann das erkennende Gericht jederzeit Schreib- und Rechnungsfehler oder andere offenbare Unrichtigkeiten einer Entscheidung berichtigen. Eine Berichtigung kann nach § 419 Abs 3 ZPO auch in höherer Instanz angeordnet werden. Unter einer solchen „Anordnung“ ist nicht eine Weisung an das ursprünglich erkennende Gericht zu verstehen, einen Berichtigungsbeschluss zu fassen, sondern die Berichtigung durch das Gericht höherer Instanz selbst; nur der Vollzug der Berichtigung obliegt dem ursprünglich erkennenden Gericht (M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 III/2 § 419 ZPO Rz 15; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 419 Rz 9; beide mwN). Entscheidungen der Vorinstanzen können insbesondere auch aus Anlass der Zurückweisung einer (außerordentlichen) Revision berichtigt werden (2 Ob 169/20x; 8 ObA 31/21y, jeweils mwN).

2. Eine solche Berichtigung hat hier zu erfolgen:

[2] 2.1. Die Berichtigung ist zulässig, wenn das, was ausgesprochen wurde, offensichtlich nicht dem Willen des Gerichts zur Zeit der Fällung der Entscheidung entsprochen hat und sich dies aus dem ganzen Zusammenhang und insbesondere aus den Entscheidungsgründen ergibt (RS0041418). Durch die Berichtigung soll der wahre Entscheidungswille zum Ausdruck gebracht werden (RS0041519), der schon vor der Berichtigung den materiellen Gehalt der Entscheidung bestimmt (RS0041489).

[3] 2.2. Im vorliegenden Fall betraf der erstinstanzliche Übergabsauftrag vom 26. 8. 2021 auch die Grundflächen von zwei Gebäuden. Nach diesbezüglicher Einschränkung des Klagebegehrens nahm das Erstgericht diese Flächen nicht in seine Entscheidung über die Verpflichtung zur Übergabe des Bestandgegenstands auf (Punkt 2.). In Punkt 1. seines Urteils sprach es (offenkundig irrtümlich) aus, dass die „Aufkündigung“ wirksam sei.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte Punkt 2. des erstinstanzlichen Urteils mit einer Maßgabe betreffend die Räumungsfrist. Zugleich berichtigte es in Punkt I. seiner Entscheidung den Punkt 1. des erstinstanzlichen Urteils dahin, dass der vom Erstgericht erlassene Übergabsauftrag (statt unrichtig: Aufkündigung) aufrecht bleibe. Dieser Ausspruch über das Aufrechtbleiben des Übergabsauftrags sollte offenkundig mit jenem über die Verpflichtung zur Räumung übereinstimmen. Der Wortlaut von Punkt 1. verweist aber eindeutig auf den Übergabsauftrag des Erstgerichts vom 26. 8. 2021, der auch die weiteren, von der Räumungsverpflichtung nach Punkt 2. des Urteils nicht erfassten Flächen enthielt. Damit liegt ein offenkundiger, vom Berufungsgericht zweifellos nicht gewollter Irrtum vor, der – um einen widersprüchlichen Spruch zu vermeiden – zu berichtigen ist.

II. Zur außerordentlichen Revision:

[5] 1. Ob zwischen den Vertragsteilen eines Bestandvertrags ein Endtermin bestimmt wurde, ist durch Auslegung zu ermitteln (RS0070201 [T4]). Die Auslegung eines Vertrags im Einzelfall bildet grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, das Berufungsgericht hätte infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt (RS0042936 ua). Davon kann im vorliegenden Fall aufgrund der Vereinbarung über die Vertragsdauer von fünf Jahren vom 1. 1. 2017 bis 31. 12. 2021, die auch für den Geschäftsführer der Beklagten klar war, woraus sich eindeutig das Ende des Bestandverhältnisses mit Ablauf des 31. 12. 2021 ergibt, keine Rede sein. Die in den Vertrag aufgenommene Bestimmung für die „bewilligungspflichtigen Anlagen“ kommt – entgegen der Ansicht der Beklagten – schon deshalb nicht zur Anwendung, weil Gegenstand des Vertrags nur die Nutzung von Grundstücksflächen und nicht von solchen Anlagen war.

[6] 2. Die in der Revision angesprochene Frage, ob die Rechtsprechung, wonach ein einheitlicher Bestandvertrag nicht in Teilen gekündigt werden kann und eine Teilkündigung unwirksam ist (vgl 9 Ob 66/14t; 3 Ob 245/16z ua), auch auf den Übergabsauftrag nach § 567 ZPO übertragen werden kann (oder nicht), stellt sich nicht, weil kein solcher Fall zu beurteilen ist.

[7] Das Berufungsgericht ging davon aus, dass hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Bestandflächen ein (eigenständig zu beurteilendes) Mietverhältnis bestand und die Vereinbarung über den (nicht mehr verfahrensgegenständlichen) restlichen Grundstücksteil aus näher dargelegten Gründen als „rechtlich selbständige Bestandvereinbarung“ anzusehen ist. Gegen die darauf beruhende Beurteilung, dass die Klägerin im (während des Verfahrens eingeschränkten) Übergabsauftrag nur die Übergabe des Bestandgegenstands eines beendeten Mietverhältnisses und nicht die Räumung eines Teils einer einheitlichen Bestandsache begehrt, wendet sich die Revisionswerberin nicht und zeigt damit keine Fehlbeurteilung auf.

[8] 3. Die Einschränkung des Klagebegehrens ist – anders als die Beklagte meint – nicht als Klagsänderung anzusehen und daher auch ohne ihre Zustimmung zulässig (vgl RS0039535; RS0039651). Warum im vorliegenden Fall die Einschränkung des Übergabsauftrags auf ein bestimmt bezeichnetes Bestandobjekt nicht zulässig gewesen sein sollte, vermag die Revisionswerberin nicht nachvollziehbar aufzuzeigen.

[9] 4. Endtermin ist das Ende des letzten Tages des Bestandverhältnisses; es muss außer dem Zeitpunkt, zu dem ein Bestandvertrag enden soll, nicht noch ein besonderer Räumungstermin angegeben werden. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung ist zudem eine Richtigstellung eines unrichtig angegebenen Räumungstermins zulässig (8 Ob 647/93 mwN). Die Klägerin hat im Antrag auf Erlassung des Übergabsauftrags den Endtermin des Bestandverhältnisses richtig mit 31. 12. 2021 bezeichnet. Dass sie die Übergabe bereits zu diesem Termin begehrte und nicht – wie vereinbart – drei Monate später, konnte von ihr im Verfahren berichtigt werden.

[10] 5. Die behaupteten Aktenwidrigkeiten sind nicht von Relevanz (§ 510 Abs 3 ZPO).

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